Publizierende Professoren:Wiederkäuende Akademiker

Schreiben für die Nutzlosigkeit: An den deutschen Unis zählte bislang vor allem die Anzahl der Publikationen, nicht der Inhalt. Jetzt gibt es Widerstand gegen die Vielschreiberei.

Thomas Steinfeld

Wenn es mit der Universität so weitergehe, wie es jetzt laufe, meint der Jurist Bernhard Kempen, der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, dann gebe es dort bald keine lesenden Lehrer und Forscher mehr. Sondern nur noch schreibende. Dringend müsse sich die Wissenschaft darüber Gedanken machen, wie der "unnützen Publikationsflut" (oder der Flut unnützer Publikationen?) Einhalt geboten werde.

Inhalt statt Zahl

Deswegen schließt er sich nicht nur der in der vergangenen Woche vorgestellten Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an, ab dem 1. Juli dieses Jahres bei neuen Anträgen nur noch fünf Veröffentlichungen eines Antragstellers als Ausweis der wissenschaftlichen Qualifikation zu akzeptieren. Vielmehr will er diese Beschränkung auch auf andere Bereiche des akademischen Wettbewerbs ausgeweitet sehen: Am besten wäre es, so Bernhard Kampen, wenn solche Begrenzungen auch für die Verfahren gälten, in denen über die Lizenz zur Wissenschaft befunden wird: "Allein die Inhalte vorgelegter Publikationen" sollen über die Berufbarkeit entscheiden, "nicht ihre Zahl".

Schlimm ist das Bild, das einer der wichtigsten Funktionäre der deutschen Universität von seiner Institution entwirft: eine Versammlung von haltlosen Vielschreibern, die sich ihrer unendlich vielen Veröffentlichungen brüsten und die Welt darüber im Unklaren lassen, dass all diese Aufsätze in namenlosen Journalen und Sammelbänden erschienen sind und zumindest zum Teil aus immer wieder denselben, immer wieder neu verwendeten Gedanken und Materialien bestehen.

Weniger als zwei Leser

Schlimmer noch, dass dieses Bild so unrealistisch nicht ist: Schon vor Jahren war eine verlässliche Studie im Umlauf, dass eine gewöhnliche Veröffentlichung in einer gewöhnlichen geisteswissenschaftlichen Zeitschrift weniger als zwei Leser finde. Und so lässt die Initiative hoffen: welche Ersparnis an Kraft und Zeit, welche Rettung von Ressourcen, intellektuellen und materiellen, welche Entlastung eines ohnehin völlig überlasteten Betriebs.

Gewiss, es wird so sein, dass die Bewerber - als die freien Unternehmer ihrer selbst, die sie an der modernen Universität sein müssen - für den einen Antrag diese fünf Veröffentlichungen, für den anderen Antrag aber fünf andere anmelden werden. Aber immerhin: es scheint nicht nur ein Zwang zur strengeren Auswahl und damit zur Selbst-Kanonisierung zu entstehen, sondern auch zumindest die Möglichkeit, dass sich an der Universität wieder Autorenkarrieren entwickeln. Denn diese waren in den vergangenen Jahren zunehmend akademischen Dissidenten und emerierten Professoren vorbehalten.

Die zeigenössische Universität verhindert Autoren-Karrieren

Die zeitgemäße, an den Prinzipien von Bologna orientierte und dem Streben nach "Exzellenz" gewidmete Universität verhindert Karrieren, die durch große Bücher gehen - durch die Auflösung einer akademischen Ethik zugunsten eines scheinbar offenen Wettbewerbs, in dem sich die Professoren als freie Agenten von Wissenschaft und nicht als deren Repräsentanten verhalten müssen, durch die ausschließende Förderung von großen Arbeitszusammenhängen oder "Clusters" nach dem Modell der Natur- und Ingenieurwissenschaften und durch die Verschärfung des Wettbewerbs zwischen allen Teilen der Universität in Gestalt etwa der "Leistungsorientierten Mittelverteilung" (LOM), die den einzelnen Bewerber oder Antragsteller dazu zwingt, jede einzelne Publikation als Mittel in einem akademischen Auswahl- und Verdrängungsprozess zu behandeln.

Denn nur, weil das so ist, muss jede noch so kleine Konferenz in einen Tagungsband münden. Und nur so kommt es zu den beliebten Kurzbiographien, in der sich Kandidaten als Autoren von hundert oder gar zweihundert "papers" vorstellen, ohne dass sich darunter eine Monographie fände, in der tatsächlich neues Wissen dargeboten würde - denn das einsame Schreiben von solchen Büchern entzieht ihre Autoren den immer zu kurzfristig angelegten Verwertungsmechanismen, die seit geraumer Zeit das akademische Leben diktieren.

An der Grenze des Absurden

Offensichtlich ist, dass die jüngste Modernisierung der deutschen Universität den Idealen des ökonomischen Liberalismus nachgebildet ist. Doch wo diese ihren Erfolg in Absatzzahlen und Gewinnmargen berechnen kann, also schlicht in Geld, fehlt der Universität meist ein solches äußerliches Kriterium für Leistung. Das gilt sogar für die Natur- oder Ingenieurwissenschaften, wo die so erwünschten Patente oft gar nicht dem Zweck dienen, neue Erkenntnisse zu schützen, sondern konkurrierende zu verhindern.

In den Geistes- und Sozialwissenschaft fehlen solche Maßstäbe gleich völlig. Was bedeutet, dass sie nachgebildet werden: in Gestalt von Quasi- oder Pseudomärkten, die keine ökonomische oder politische Relevanz besitzen, in denen aber gleichermaßen ausschließend vorgegangen wird.

Verwalter der eigenen Existenz

So entsteht nicht nur das entfesselte Antragswesen, sondern auch die alles überwältigende Dokumentations- und Rechtfertigungspflicht, die jeden Hochschullehrer in einen bürokratisch hochentwickelten Verwalter der eigenen Existenz verwandelt - wie diese Metamorphose im einzelnen verläuft, beschreibt der Bamberger Soziologe Richard Münch in seinem Buch "Globale Eliten, lokale Autoritäten" (Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2009). Deswegen entspricht, wie es in diesem Buch heißt, die Menge der Publikationen vor allem einem: nämlich der Namenlosigkeit ihrer Autoren.

Wenn die Deutsche Forschungsgesellschaft nun bei neuen Anträgen nur noch fünf Veröffentlichungen berücksichtigen will, wenn sie tatsächlich alle Projekte, für die wie bisher fünfzig Publikationen angeführt werden, zur Überarbeitung an die Autoren zurückschicken will, dann hat sie offensichtlich bemerkt, dass hier ein Verfahren an die Grenzen des Absurden führt. Und vergessen, dass sie selbst die Institution war, die das Akkumulieren von oft nur scheinbar vorhandenem symbolischen Kapital entscheidend förderte - etwa in der praktischen Einrichtung des Prinzips "Exzellenz".

Emanzipation von der Bürokratie

Wer immer dabei mitmachen wollte, musste bis jetzt nicht nur nachweisen, mit welchen Partnern innerhalb und außerhalb der Universität er arbeiten wolle, musste nicht nur den Forschungsstand nachweisen, das Konzept erläutern und in seinen einzelnen "Feldern" präsentieren sowie darlegen, auf welche Weise der wissenschaftliche Nachwuchs und die Gleichstellung der Geschlechter befördert werden solle. Er musste schließlich für jeden beteiligten Wissenschaftler die fünfundzwanzig wichtigsten Publikationen sowie fünfundzwanzig weitere Qualifikationsnachweise nennen.

Eher, als dass die jüngste Initiative der DFG eine Befreiung darstellt, eher, als dass sie den Gutachtern nun Anlass zu Jubel gäbe, weil sie pro Antragsteller nur noch fünf Schriften lesen sollen, eher also, als dass diese Demarche eine Emanzipation von Bürokratie und Bluff darstellt, ist sie Ausdruck eines Dilemmas: Denn es geht kein Weg zurück zur alten Universität mit ihrer professoralen Ethik und ihrer akademischen Selbstverwaltung.

Schicksal Überflüssigkeit

Gleichzeitig scheint die Unterwerfung der Universität unter die Prinzipien der modernen Unternehmensführung zu solchen Mengen an Überflüssigkeit, wenn nicht Ineffizienz zu führen, dass sie die große Erneuerung der deutschen Universitäten im Kern gefährden. Der Versuch, die Vielschreiberei zu bändigen, wird nicht die letzte Reform in der Reform bleiben.

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