Süddeutsche Zeitung

Psychologische Beratung:"Die Nachfrage ist gestiegen"

Lesezeit: 2 min

Immer mehr Studenten wenden sich an den Psychologischen Beratungsservice der Universität Oldenburg, weil sie unter Überforderung leiden.

Interview von Annkathrin Weis

Aus manchen Krisen kommt man allein kaum wieder raus, man braucht professionelle Hilfe. In diesen Fällen können sich Studenten an die psychologischen und psychotherapeutischen Beratungsstellen der Hochschulen wenden. Wilfried Schumann ist Leiter des Psychologischen Beratungsservice der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg in Kooperation mit dem Studentenwerk. Seit mehr als 30 Jahren betreut er Studenten in allen Lebenslagen.

SZ: Weshalb brauchen gerade Studienanfänger Unterstützung?

Wilfried Schumann: Viele kommen mit hohen Erwartungen und Anforderungen an sich selbst und an die Uni. Sie haben das Gefühl, alles noch besser und schneller und intensiver machen zu müssen als bisher. Das überfordert die jungen Menschen, sie stoßen an ihre Grenzen. Daraus resultiert dann wiederum der Gedanke, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Deswegen möchte ich Studierende ermutigen, sich klar zu machen, dass es beispielsweise kein Muss ist, die Regelstudienzeit unbedingt einzuhalten. Es ist kein Weltuntergang, wenn das nicht klappt, mehr als die Hälfte aller Studierenden braucht länger.

Welche Rolle kommt den psychologischen Beratungsstellen zu?

Viele leben das erste Mal an einem neuen Ort, müssen dort ohne ihre Familie zurechtkommen und ihren Alltag eigenständig organisieren. In solchen Umbruchsituationen ist natürlich auch die Psyche ein wenig wackelig. Einige Studierende kommen mit dieser Anpassungsleistung auch allein relativ gut zurecht, bei anderen ist es gut, wenn sie Ansprechpartner und Unterstützung bei einer Beratungsstelle finden. Wir arbeiten präventiv und bieten Kurse und Vorträge an, in denen sich die Teilnehmer mit möglichen Belastungen auseinandersetzen und Überlebenstechniken fürs Studium mitbekommen.

Wer empfängt Studierende in den Beratungsstellen der Unis?

Die Berater haben in der Regel Psychologie oder ein verwandtes Fach wie zum Beispiel Pädagogik studiert und sich zusätzlich als Berater oder Therapeuten weiterqualifiziert. Studenten arbeiten hier höchstens auf Praktikantenbasis mit, sie sind eher bei studentisch organisierten Telefonhotlines aktiv. Wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen der psychologischen und der sozialrechtlichen Beratung: Dabei werden grundlegende Fragen zur finanziellen Absicherung, zur Kranken- oder Sozialversicherung geklärt. All das trägt auch zur Stabilität des studentischen Lebens bei.

Hat sich beim Beratungsbedarf in den vergangenen Jahren etwas verändert?

Die Nachfrage ist gestiegen; das liegt auch an der Verkürzung der Schulzeit. Die Themen Erschöpfung, Überforderung und Versagensängste sind präsenter geworden. Je jünger die Erstsemester sind, umso weniger Erfahrung haben sie natürlich, auf die sie schon zurückgreifen können. Grundsätzlich ist der Start ins Unileben aber auch schon vor 30 Jahren eine kritische Phase gewesen. Aber inzwischen haben die Universitäten darauf reagiert, dass viele Anfänger jünger sind als früher, und bieten Orientierungswochen und Einführungssysteme an, damit sich Studierende beim Start umgehend vernetzen können. Denn Einsamkeit kann schnell zu großem Frust führen. Leider machen nicht alle Betroffenen von den Angeboten Gebrauch.

Wie gut sind die Universitäten und Hochschulen in Deutschland bei der Beratung aufgestellt?

Der Standard der psychologischen Beratung kann sehr unterschiedlich sein. Grundsätzlich finden sich - das begrüße ich sehr - an allen größeren Hochschulen Ansprechpartner bei psychologischen Problemen. Dass es diese Angebote braucht, stellt niemand mehr infrage. Wir haben dringenden Personalbedarf in diesem Bereich. Abgesehen vom Studienstart haben wir eine unglaublich hohe Nachfrage von Studenten, die mit dem System und ihrem Leben manchmal einfach nicht klarkommen. Da ist frühzeitige und leicht zugängliche Unterstützung sinnvoll, denn dann kann man viele Probleme noch gut ausbügeln. Sonst besteht die Gefahr, dass sie chronisch werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4475751
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.