Großraumbüros sparen Platz und fördern die Kommunikation. Ihr Nachteil ist, dass viele Menschen sich dort unwohl fühlen. Als Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke berät Professor Michael Kastner Firmen unter anderem in der Frage, wie das Arbeitsumfeld optimal gestaltet werden kann. Der Organisationspsychologe meint: Langfristig rechnen sich Großraumbüros nicht.
Großraumbüro: Angestellte fühlen sich beobachtet und sind durch Lärm und Unruhe abgelenkt.
(Foto: Foto: dpa)SZ: Was ist das größte Problem im Großraumbüro?
Michael Kastner: Der Lärm und die Unruhe, die vor allem durch die Gespräche der anderen entstehen. Das führt dazu, dass sich die Mitarbeiter nicht konzentrieren können. Die meisten Menschen fühlen sich außerdem unwohl, wenn sie sich nicht vor fremden Blicken abschirmen können oder sogar mit dem Rücken zu einem Durchgang sitzen. Das hat evolutionäre Gründe: Wir sind immer noch Jäger und Sammler und brauchen eine Höhle, ein Gefühl von Geborgenheit und Stabilität. Deshalb versuchen Mitarbeiter in Großraumbüros, sich mit Schränken oder Topfpflanzen ein bisschen abzuschirmen. Und Glaswände werden mit Postern als Sichtschutz zugeklebt.
SZ: In vielen Großraumbüros wechseln sich die Mitarbeiter in der Benutzung der Schreibtische ab und können sich deshalb nicht mal einen Höhlenersatz bauen...
Kastner: Wer sogar seinen Schreibtisch teilen muss, hat überhaupt keine Möglichkeit mehr, sein Arbeitsumfeld zu gestalten, er kann nicht mal mehr ein Familienfoto aufstellen. Je mehr Handlungsspielräume die Mitarbeiter aber bei der Gestaltung ihrer Büros haben, desto besser ist das für die Produktivität.
SZ: Warum sind Großraumbüros und Desksharing trotzdem so verbreitet?
Kastner: Weil die meisten Manager nur darauf bedacht sind, kurzfristig die Kosten zu senken. Wer alle Wände rausreißt, kann natürlich mehr Hühner in den Käfig setzen - man spart sofort Platz und Heizkosten. Langfristig führt es aber zu Produktivitätseinbußen, weil die Mitarbeiter in einer ungünstigen Umgebung schlechter arbeiten. Leider sehen die Verantwortlichen diese Kosten oft nicht.
SZ: Sie müssen ja auch nicht im Großraumbüro sitzen.
Kastner: Genau. Es gibt aber zum Glück auch Unternehmen, und zwar in ganz verschiedenen Branchen, die sich nach unseren Vorschlägen zur Arbeitsplatzgestaltung richten.
SZ: Hat in diesen Unternehmen jeder Mitarbeiter ein Einzelbüro?
Kastner: Nur im Einzelbüro zu sitzen ist nicht optimal. Ideal sind zwei Schreibtische pro Mitarbeiter. Der eine Schreibtisch gehört in einen kleinen abgetrennten Raum, in den man sich zurückziehen kann, um komplexe Aufgaben zu lösen. Der zweite Schreibtisch steht in einem offenen Bereich, in dem Kommunikation und "Management by walking around" stattfinden können. Am besten ist es, wenn man morgens, wenn die Leistungsfähigkeit am höchsten ist, ungestört im eigenen Büro arbeitet und mittags ins Großraumbüro wechselt. Konferenzen am Nachmittag sind viel sinnvoller, nach dem Mittagessen sind alle entspannt.
SZ: Für dieses Modell braucht man aber sehr viel Fläche.
Kastner: Nein, die abgetrennten Räume können ja ganz klein sein, sechs Quadratmeter sind genug. Allerdings sollten sie ein Fenster haben. Klimaanlagen sind übrigens auch ein klassisches Problem im Großraumbüro: Frauen und Männer haben ein unterschiedliches Kälteempfinden, Männern ist es meistens eher zu warm, Frauen zu kalt. Deshalb wird die Klimaanlage auf einen Mittelwert eingestellt - und niemand fühlt sich wohl.
SZ: Glauben Sie wirklich, der Trend zum Großraumbüro ist noch zu stoppen?
Kastner: Ich hoffe es. Wenn man Menschen bis ins 67. Lebensjahr leistungsfähig erhalten will, muss man eine entsprechende Arbeitsumgebung schaffen.