Psychische Erkrankung im Job:"Burn-out klingt besser"

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Jeder vierte Arbeitnehmer leidet an einer seelischen Erkrankung. Psychiater Werner Kissling spricht über erste Anzeichen und den Umgang mit kranken Kollegen.

Maria Holzmüller

Jeder vierte Arbeitnehmer leidet im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer psychischen Erkrankung. Psychiater Werner Kissling, Leiter des Centrums für Disease Management am Klinikum rechts der Isar der TU München, spricht über erste Anzeichen und darüber, wie Chefs kranken Mitarbeitern helfen können.

"Jeder Vierte leidet im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung", sagt Dr. Werner Kissling. (Foto: Foto: iStock)

sueddeutsche.de: Wie hat sich die Bedeutung psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz in den letzten Jahren verändert?

Werner Kissling: Die Zahl der durch psychische Erkrankungen verursachten Fehltage ist in den vergangenen Jahren um etwa 80 Prozent gestiegen. Im Schnitt leidet jeder Vierte im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung. Für die Unternehmen ist das ein großes Problem, zehn bis elf Prozent der gesamten Krankmeldungen gehen mittlerweile auf psychische Erkrankungen zurück. Die Dunkelziffer ist noch höher. Viele Arbeitnehmer trauen sich nicht, offen über ihre Krankheit zu sprechen, weil sie Angst haben, es könnte ihrer Karriere schaden. Deshalb ignorieren sie ihre Probleme lieber und reagieren oft zu spät. Das ist fatal für alle Beteiligten.

sueddeutsche.de: Welche Folgen hat das für das Unternehmen?

Kissling: Wer an einer psychischen Krankheit leidet, fehlt im Durchschnitt 30 Tage. Das kostet das Unternehmen natürlich sehr viel Geld. Noch gravierender ist jedoch die Zeit, die ein Betroffener noch weiter arbeitet, obwohl er bereits an einer psychischen Erkrankung leidet. Die Fehlerquote im Vorfeld einer Depression beispielsweise ist sechs Mal höher als normal.

sueddeutsche.de: Welche psychischen Krankheiten treten am Arbeitsplatz vornehmlich auf?

Kissling: Die häufigsten Erkrankungen sind Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen.

sueddeutsche.de: Was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen Burn-out und Depressionen?

Kissling: Zeichen einer Depression sind gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit, manchmal auch körperliche Beschwerden und Selbstmordgedanken. Burn-out ist ein Zustand emotionaler und körperlicher Erschöpfung, der häufig im Zusammenhang mit beruflicher Überforderung auftritt. Die Übergänge zwischen beiden Störungen sind fließend und ein Burn-out kann häufig in eine Depression übergehen. Depressionen gelten noch immer als Zeichen von Schwäche, sie sind eine stigmatisierte Krankheit. Gerade Führungskräfte wollen deshalb nicht eingestehen, dass sie an Depressionen leiden. Burn-out klingt da einfach besser.

sueddeutsche.de: Wie können Kollegen oder Vorgesetzte erkennen, ob ein Mitarbeiter an Depressionen leidet?

Kissling: Wenn ein Kollege über längere Phasen still in der Ecke sitzt, sich nicht mehr an Unterhaltungen beteiligt und sich zurückzieht, könnte das ein erstes Anzeichen sein. Die ersten Symptome eines Burn-out-Syndroms erscheinen den Vorgesetzten manchmal sogar eher positiv: Ein Mitarbeiter bleibt jeden Abend länger im Büro und nimmt an den Wochenenden Arbeit mit nach Hause. Was nach Übereifer aussieht, ist aber nur ein Zeichen, dass er sein Arbeitspensum nicht mehr bewältigt. Weitere Anzeichen sind Appetitlosigkeit, wenig Mimik, eine flache, kaum modulierte Stimme. Und im Extremfall die Andeutung von Suizidgedanken.

sueddeutsche.de: Wie sollte man reagieren, wenn man bei Kollegen Anzeichen für eine Depression wahrnimmmt?

Kissling: Man sollten das Thema vorsichtig ansprechen. Um nicht als Hobbypsychologe aufzutreten, sollte man sich gut auf das Gespräch vorbereiten und sich auf das Arbeitsverhalten des Gesprächspartners konzentrieren, ohne Vorwürfe zu äußern. Einfach die Dinge nennen, die einem aufgefallen sind, vielleicht hat der Betroffene ja eine schlüssige Antwort darauf. Nicht jede psychische Auffälligkeit hat Krankheitswert. Man sollte jedoch am Ende des Gesprächs auf jeden Fall darauf hinweisen, wo es professionelle Hilfe gibt. Je früher sich ein erkrankter Mitarbeiter behandeln lässt, desto besser für ihn und das Unternehmen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wann Depressionen der Karriere schaden.

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sueddeutsche.de: Wo gibt es diese professionelle Hilfe?

Dr. Werner Kissling ist Leiter des Centrums für Disease Management in der Psychiatrischen Klinik der TU München. Er berät Unternehmen im Umgang mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz. (Foto: Foto: oH)

Kissling: Die erste Anlaufstelle wäre der Betriebsarzt. Viele Mitarbeiter scheuen sich jedoch, sich ihm anzuvertrauen, da sie glauben, ihr Leiden könnte bekanntwerden und dann ihrer Karriere schaden.

sueddeutsche.de: Ist diese Angst berechtigt?

Kissling: Manchmal ja. Es hängt vor allem von der individuellen Situation und den Vorgesetzten ab. Für manche Betroffene ist es eine große Erleichterung, wenn sie endlich kein Geheimnis mehr aus ihrer Depression machen müssen. In anderen Fällen ist es durchaus ratsam, die Krankheit zunächst für sich zu behalten, zum Beispiel während der Probezeit. Einen pauschalen Rat kann man nicht geben.

sueddeutsche.de: Warum sind psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz trotz ihrer Häufigkeit noch immer so ein heikles Thema?

Kissling: In vielen Köpfen herrscht die Vorstellung, wer einmal psychisch krank war, wird nie wieder richtig leistungsfähig sein. Das stimmt nicht, manche psychischen Erkrankungen können nach sechs Wochen schon wieder völlig überstanden sein.

sueddeutsche.de: Können die Betroffenen nach ihrer Krankheit sofort wieder in den Arbeitsalltag einsteigen?

Kissling: Der betroffene Arbeitnehmer sollte stufenweise wieder eingegliedert werden, anfangs nur stundenweise arbeiten. Diese Reintegrationsphase sollte etwa zwei Monate dauern. Das Problem ist, dass in der Wirtschaftskrise viele so schnell wie möglich wieder einsteigen wollen. Die Chefs nehmen dieses Angebot meist gerne an, was allerdings kurzsichtig ist. Wer zu früh wieder 100 Prozent arbeitet, fällt meist ziemlich schnell wieder auf die Nase.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt die Arbeit bei der Entstehung einer Depression?

Kissling: Es heißt ja häufig, Arbeit mache krank. Erwiesen ist jedoch, dass der stabilisierende Effekt der Arbeit weitaus größer ist als der krankmachende. Das sieht man auch an den zahlreichen Depressionsfällen unter Arbeitslosen. Allerdings kann Arbeit immer auch Stress bedeuten, gerade in Zeiten der Umstrukturierung. Viele Mitarbeiter wissen heute nicht, wo sie morgen arbeiten. Diese ständige Unsicherheit begünstigt psychische Erkrankungen - meist spielen aber auch private Probleme eine Rolle.

sueddeutsche.de: Welche Menschen sind besonders gefährdet, psychisch zu erkranken?

Kissling: Prinzipiell kann es jeden von uns treffen, aber es gibt eine erbliche Veranlagung, die das Krankheitsrisiko erhöht. Statistisch gesehen sind gerade Führungskräfte gefährdet.

sueddeutsche.de: Was können Unternehmen tun, um psychischen Erkrankungen ihrer Mitarbeiter vorzubeugen?

Kissling: Gerade in der derzeitigen Wirtschaftskrise sollten sie geplante Veränderungen offen kommunizieren, um ihren Mitarbeitern unnötige Unsicherheit zu ersparen. Zudem gibt es einfache Maßnahmen zum Stressabbau: täglich zehn Minuten Bewegung, im besten Fall im Unternehmenseigenen Fitnesstudio, während der Arbeit mal fünf Minuten Musik hören, kurz an die frische Luft gehen. Jeder muss sich bewusst machen, dass der Beruf nicht alles ist. Der Erholung im Privatleben muss genügend Raum gegeben werden.

Mehr Informationen gibt es unter http://www.cfdm.de/works

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