Süddeutsche Zeitung

Promovieren in Deutschland:Doktoranden: Den Professoren ausgeliefert

Unklare Aufgabenstellungen, kaum persönlicher Kontakt und merkwürdige Notengebung: Es ist höchste Zeit für Änderungen in den Promotionsordnungen deutscher Universitäten. Viele Doktoranden werden vom System massiv benachteiligt.

Hendrik Jacobsen

Die Fälle Guttenberg und Koch-Mehrin haben die Gesellschaft sensibilisiert - für die Mängel im deutschen Promotionssystem. Es wird kritisiert, dass Hochschullehrer zugunsten eines Doktoranden schon mal ein Auge zudrücken, was die Erfüllung der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Promotion angeht, dass Erstgutachter zugunsten des Doktoranden dessen Dissertation willkürlich bewerten, und Zweitgutachter und Beisitzer die Einschätzung des Erstgutachters nicht beanstanden.

Die Vagheit deutscher Promotionsordnungen ermöglicht aber nicht nur die Begünstigung einzelner Doktoranden. Sie schafft auch die Voraussetzungen für deren Benachteiligung. Letzteres stellt quantitativ das wesentlich größere Problem dar. Sofern Universitäten nun auf Guttenberg und Koch-Mehrin mit Modifikationen der Promotionsordnungen reagieren, sollten sie dies simultan zum Anlass nehmen, auch Missstände zum Nachteil von Doktoranden zu eliminieren.

[] Die beginnen schon vor dem Schreiben der Doktorarbeit. Erfüllt ein Bewerber die Zugangsvoraussetzungen einer Promotionsordnung, heißt das in der universitären Praxis noch lange nicht, dass er auch promovieren darf. Hierzu benötigt er einen Betreuer, der sich bereit erklärt, die Dissertation zu begleiten. Faktisch können Hochschullehrer Bewerber jedoch willkürlich ablehnen. Diese Situation ist inakzeptabel. Deshalb sollten Promotionsordnungen künftig vorsehen, dass Bewerber, die die Voraussetzungen für ein Promotionsstudium erfüllen, einen Anspruch auf zeitnahe Aufnahme der Promotion und Zuweisung eines Betreuers haben.

[] Hat der Bewerber einen Betreuer gefunden, treffen beide typischerweise nur mündliche Absprachen. Dies gilt insbesondere für die Fixierung der Aufgabenstellung, die später Grundlage für die Beurteilung der Arbeit ist. Diese fehlende Dokumentation stellt nicht nur einen Nährboden für willkürliche Bewertungen dar, sondern auch für Missverständnisse. Deshalb bedürfen Promotionsordnungen dahingehend einer Ergänzung, als dass die Aufgabenstellung der Dissertation zwischen Betreuer und Doktorand vor Beginn der Bearbeitung schriftlich zu definieren ist.

Auch Änderungen in der Aufgabenstellung müssen schriftlich festgehalten werden. Ohne derartige Fixierungen muss der Doktorand damit rechnen, dass ihm nach vielen Jahren Arbeit wahlweise vorgehalten wird, es sei doch eine andere, eine erweiterte oder eine engere Aufgabenstellung abgesprochen gewesen.

[] Ist die Aufgabenstellung der Dissertation definiert, forscht der Doktorand regelmäßig drei bis vier Jahre, ohne überhaupt zu wissen, an welchem Maßstab die Qualität seiner Untersuchung schließlich gemessen werden wird. Betreuer neigen dazu, sich einen möglichst umfassenden Entscheidungsspielraum zu erhalten, indem sie sich auf nichts festlegen. Eine solche glücksspielähnliche Situation kann Doktoranden, die mehrere Jahre ihres Lebens in das Promotionsstudium investieren, nicht zugemutet werden.

Deshalb sollten die Promotionsordnungen den Betreuer zukünftig verpflichten, den späteren Bewertungsmaßstab schon vor Beginn der Bearbeitung zumindest in Grundzügen klar und schriftlich festzulegen. Der Doktorand muss schon vor Erstellung der Arbeit wissen, was von ihm erwartet wird. Ohne eine solche Festlegung kann der Betreuer im Nachhinein faktisch jede Bewertung rechtfertigen.

[] Nach Fertigstellung und Einreichung der Dissertation wartet der Doktorand häufig bis zu einem Jahr auf die Bewertung seiner Arbeit. Abgesehen von der damit verbundenen emotiona-en Beanspruchung hat eine derart lange Wartephase auch ganz greifbare Nachteile. Zum einen veralten seine Forschungsergebnisse. Dadurch verliert die spätere Publikation der Untersuchung an Wert. Zum anderen wird Literatur, auf die der Doktorand in mühsam erstellten Fußnoten rekurriert, durch neue Auflagen ersetzt. Er muss daher vor der Veröffentlichung die ganze Dissertation noch einmal überarbeiten. Deshalb bedürfen Promotionsordnungen einer Regelung, nach der Dissertationen innerhalb von Fristen zu bewerten sind.

[] Diese Bewertung erfolgt durch den Betreuer der Dissertation als Erstgutachter. Wie im Fall Guttenberg anschaulich erläutert, schließt sich der Zweitgutachter typischerweise dem Erstgutachter an. Die Beisitzer in der Prüfungskommission schauen weg. Faktisch wird die Dissertation daher ausschließlich vom Betreuer beurteilt.

Dadurch gerät der Doktorand in ein Abhängigkeitsverhältnis. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter wird deshalb während seiner universitären Tätigkeit nur schwerlich Aufträge seines Betreuers ablehnen, wenn der final über seine Promotionsbewertung entscheidet. Um solche Ausbeutungsverhältnisse zu vermeiden, sollten Promotionsordnungen künftig vorsehen, dass nicht der Betreuer, sondern Prüfer außerhalb der Universität die Dissertation anonym beurteilen.

[] In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Dissertationen über die Bestehensfeststellung hinaus noch einer Benotung bedürfen. Anders als bei Klausurexamen oder mündlichen Prüfungen kann sich jeder Interessierte, insbesondere jeder zukünftige Arbeitgeber, ein eigenes Bild durch Lektüre der Untersuchung machen. Angesichts völlig unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe in Fächern und an Lehrstühlen sind Bewertungsergebnisse ohnehin kaum vergleichbar und damit irreführend. Deshalb sollte auf Benotungen zukünftig verzichtet werden.

[] Ist die Dissertation schließlich ausreichend gut bewertet worden, muss der Doktorand seine Untersuchung im Rahmen einer mündlichen Prüfung (Kolloquium) erläutern. Anschließend wird die endgültige Beurteilung auf Basis der schriftlichen Arbeit und der mündlichen Prüfung festgelegt. Nur in wenigen Promotionsordnungen ist allerdings geregelt, in welchem Verhältnis schriftliche und mündliche Prüfung zueinander stehen. Diese Entscheidung wird typischerweise der Prüfungskommission überlassen.

Diese Vagheit der maßgeblichen Normen verleitet zu willkürlichen Beurteilungen. Deshalb sollten Promotionsordnungen regeln, in welchem konkreten Verhältnis schriftliche Arbeit und mündliche Prüfung in die endgültige Beurteilung der Dissertation eingehen.

Menschen benötigen - unabhängig von ihrem Bildungsstandard und ihrer Funktion - klare Regeln und Kontrollen . Ohne solche Wegweiser laufen sie Gefahr, der Versuchung willkürlichen Handelns zu erliegen. Dies gilt es zu verhindern, unabhängig davon, ob es dem Dokto-randen zum Vorteil oder zum Nachteil gereicht.

Professor Hendrik Jacobsen ist Leiter des Studiengangs BWL - Steuern und Prüfungswesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Villingen-Schwenningen. Er selbst hat nach seinem Jura-Studium zum Thema "Steuerliche Gestaltungssuche im Rahmen der Unternehmensumstrukturierung" promoviert.

In einer vorherigen Version dieses Artikels schrieb der Autor, in keiner Promotionsordnung sei geregelt, in welchem Verhältnis schriftliche und mündliche Prüfung zueinander stehen. Das stimmt nicht, wie ein Leser bemerkte. Die Passage haben wir deshalb korrigiert. Herzlichen Dank für den Hinweis.

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