Promotionsverfahren:"Wir müssen die Abschreckung verstärken"

Nicht nur Doktoranden müssen schärfere Strafen fürchten, auch Professoren sollen strenger kontrolliert werden: Der Präsident des Hochschulverbandes fordert ein Umdenken in der Wissenschaft.

Tanjev Schultz

Nach der Plagiatsaffäre um die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg wird an den Hochschulen viel darüber diskutiert, wie sich die Wissenschaft vor Regelverstößen schützen kann. Der Deutsche Hochschulverband, die Standesvertretung der Professoren, setzt auf stärkere Kontrollen. Präsident des Verbands ist der Völkerrechtler Bernhard Kempen von der Universität Köln.

Bundestag - Guttenberg

Nichts mehr verstecken: Wer seine Promotion nicht regelkonform verfasst, soll künftig Konsequenzen fürchten, fordert der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen.

(Foto: dpa)

SZ: Wie lange wird die Plagiatsaffäre die Universitäten noch beschäftigen?

Kempen: Das wird noch eine Weile nachhallen. Es ist nötig, dass wir auch selbstkritisch fragen, wo wir vielleicht zu naiv waren. Als Professoren und als Verband müssen wir schauen, wo wir die Kontrollen verbessern und verschärfen können.

SZ: Gehen wir die Möglichkeiten einmal durch. Ein Ansatz wäre ja, Promotionen von Externen, die bereits im Arbeitsleben stehen, ganz abzuschaffen, weil man den Verdacht hat, dass diese Doktoranden in erster Linie ihre Eitelkeit befriedigen und im Beruf mit einem Titel mehr verdienen können. Vor allem bei Juristen ist das ein Thema.

Kempen: Ich bin dagegen, nur noch strukturierte Promotionsprogramme zuzulassen. Bei externen Promotionen gibt es oft eine Gemengelage an Motiven. Sicher gibt es Fälle, bei denen man nicht den Eindruck hat, dass der Kandidat wissenschaftliche Interessen verfolgt. Da sollten die Professoren dann nein sagen. Aber ich erlebe viele externe Promotionen auch als Bereicherung. Da kommen zum Beispiel gestandene Richter, die wertvolle Erfahrungen in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen.

SZ: Was sind Ihre Vorschläge?

Kempen: Ich bin kein Fan davon, alles mit dem Strafrecht zu regeln. Aber ich glaube schon, dass wir die Abschreckung verstärken müssen. Deshalb sollten alle Doktoranden eine eidesstattliche Erklärung abgeben müssen, dass sie die Arbeit selbst geschrieben und alle Quellen genannt haben. Bisher ist das an vielen Universitäten noch nicht der Fall. Außerdem sollten Dissertationen nicht nur auf Papier, sondern auch als Datei eingereicht werden, mit deren Hilfe man den Text standardmäßig oder stichprobenartig auf Plagiate überprüfen kann. An meiner Universität hier in Köln werden wir das in Jura künftig so machen.

SZ: sste man nicht auch die Gutachten auf mehr Schultern verteilen, vielleicht sogar Professoren aus anderen Hochschulen oder Fachbereichen hinzuziehen? Und sollte man nicht auch die Gutachten öffentlich machen?

Kempen: Es gibt ja bereits jetzt das Vier-Augen-Prinzip. Mindestens zwei Gutachter lesen und bewerten die Dissertation. Ich weiß nicht, ob Aufwand und Ertrag im richtigen Verhältnis stehen, wenn man noch mehr Professoren hinzuzieht. Eine Veröffentlichung der Gutachten wäre denkbar. Wir diskutieren im Hochschulverband außerdem darüber, ob man jede Dissertation im Internet zugänglich machen sollte - wenigstens in der Zeit zwischen Einreichung und Publikation in einem Verlag. Dann stünden die Texte jedem zur Prüfung offen.

SZ: Das werden die Verlage nicht gern sehen. Und Plagiatoren hätten im Internet ein noch größeres Reservoir fürs schnelle Kopieren zur Verfügung.

Kempen: Solche Gefahren muss man bedenken. Jede Maßnahme, die wir ergreifen, hat vielleicht unerwünschte Nebenfolgen. Deshalb sollten wir vorsichtig und nicht zu überstürzt vorgehen, wenn wir neue Kontrollen einführen.

Schwarze Schafe unter den Professoren

SZ: Sollte es nicht auch für alle Magister- und Master-Arbeiten eine Veröffentlichungspflicht geben? Es muss ja nicht im Verlag sein, aber wenigstens in der Bibliothek sollten sie zugänglich sein.

Promotionsverfahren: Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands, fordert stärkere Kontrollen im Promotionsverfahren.

Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands, fordert stärkere Kontrollen im Promotionsverfahren.

(Foto: oh)

Kempen: Darüber kann man nachdenken. Bereits zu Beginn des Studiums muss noch stärker vermittelt werden, was gründliches und redliches wissenschaftliches Arbeiten ausmacht.

SZ: Es gibt ja beileibe nicht nur unter Studenten und Doktoranden schwarze Schafe. Auch einige Professoren sind schon für Plagiate von ihren Hochschulen gerügt worden. Man hat allerdings den Eindruck, dass Professoren bislang nicht so scharfe Konsequenzen fürchten mussten wie ein Doktorand, der am Ende seinen Titel einbüßt.

Kempen: Es darf natürlich nicht sein, dass der Eindruck entsteht: Die "Großen" lässt man laufen und nur die "Kleinen" müssen mit ernsten Konsequenzen rechnen, wenn sie gegen wissenschaftliche Regeln verstoßen. Wenn Professoren grob gegen den Kodex verstoßen, sollte man das mit dem Disziplinarrecht verfolgen und ahnden.

SZ: Oft geht es bei Professoren nicht um Plagiate oder Fälschungen, sondern um eine Anmaßung der Autorenschaft. Ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter schreiben eine Studie, der Professor setzt aber seinen Namen darunter.

Kempen: Dieses Problem taucht manchmal auf. Sowohl unser Verband als auch die Hochschulen sind dafür seit langem sensibilisiert. Wir haben dazu Richtlinien und Empfehlungen herausgegeben, die klarstellen, wie die gute wissenschaftliche Praxis aussieht. Und es gibt ja glücklicherweise überall Ombudsleute und Kontrollkommissionen, die sich um Verstöße kümmern. Das alles gibt es an den Hochschulen nicht erst seit der Plagiatsaffäre um Herrn zu Guttenberg. In der Wissenschaft ist das Bemühen groß, Missbrauch zu verhindern und zu verfolgen.

SZ: Welche Rolle spielt der Publikationsdruck? Ohne lange Literaturliste wird man nicht Professor.

Kempen: Das ist vielleicht eine Erklärung für manche Regelverstöße. Aber es kann natürlich überhaupt keine Entschuldigung sein. Wenn wissenschaftliche Mitarbeiter oder Professoren Texte abschreiben oder unsauber arbeiten, dann beschädigen sie nicht nur ihren eigenen Ruf, sondern den Wert der Wissenschaft insgesamt. Ich vermute, dass sie schon im ersten Semester nicht ausreichend für die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis sensibilisiert worden sind. Es muss von Anfang an klar sein, was erlaubt ist und was nicht.

SZ: Sorgfältiges Arbeiten kostet Zeit. Und auch Kontrollen erfordern Zeit, die an den Universitäten notorisch knapp ist. Viele Wissenschaftler fühlen sich ständig gehetzt und überfordert von den vielen Verpflichtungen: Gutachten sind zu schreiben, die Lehre ist zu bewältigen und dann sind auch noch originelle Forschungsleistungen zu erbringen. Muss mehr Ruhe in das Wissenschaftssystem?

Kempen: Auch die Hetze darf keine Entschuldigung für Regelverstöße sein. Aber man kann sich schon fragen, welche Folgen es hat, wenn man alles nur am Output misst. Wenn eine Fakultät mehr Geld bekommt, weil sie die Zahl ihrer Promotionen gesteigert hat, muss man nachhaken, ob auch die Qualität stimmt.

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