Professoren und Promotionsskandale:Mein Fach, mein Institut, meine Doktoranden

Der Fehler liegt im System: An deutschen Universitäten regieren Professoren an ihren Lehrstühlen und Kleinst-Instituten wie eitle Fürsten. Diese Selbstherrlichkeit begünstigt Plagiate und Billigpromotionen.

Jeanne Rubner

Neuerdings stecken im Briefkasten öfters bunte Zettel. Sie werben mit "VIP-Urlaub für Professoren und Doktoren". Der Luxusaufenthalt im 5,5-Sterne Hotel in Dubai kostet für Akademiker (mit Titel!) dann nur noch 699 statt 1599 Euro. Aha, denkt man sich. Doktoren und Professoren genießen noch großen Respekt, wenn auch die Gruppe der sehr wichtigen Menschen auf dieser Welt immer größer zu werden scheint. Zugleich hinterlassen die Reiseprospekte einen faden Nachgeschmack. Billigurlaub für die Elite? Wie weit sind Deutschlands Professoren und Doktoren gesunken?

Doktorarbeit

Das System der Lehrstühle und Kleinst-Institute an deutschen Universitäten ist überholt. Dort regieren die Professoren mitunter wie Fürsten.

(Foto: dpa)

Erneut lässt ein Fall von Billig-Promotionen die Professorenschaft in schlechtem Licht erscheinen. Dieses Mal ist es an der Universität Würzburg passiert, ein inzwischen emeritierter Professor für Medizingeschichte soll über Jahre hinweg eine Doktorfabrik betrieben haben: Für kleinere Arbeiten etwa über historische Heilpflanzen bekamen Zahnärzte und andere Mediziner ihren Titel.

Nun handelt es sich zwar um den Doktor med., der bekanntlich billiger zu haben ist als der Dr. jur oder der Dr. phil. Und der Würzburger Medizinhistoriker, der möglicherweise mit den Promotionen Geld für seine privaten Vereine eintrieb, ist mit Sicherheit auch nicht mit dem Bayreuther Juristen Peter Häberle zu vergleichen, der Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zum summa cum laude verhalf.

Und doch gibt es Parallelen. Wieder einmal zeigen sich Universität und Fakultät entsetzt - man habe das alles nicht geahnt, geschweige denn gewusst. Der Präsident der Würzburger Hochschule ist nach eigenen Angaben schockiert, der Dekan der medizinischen Fakultät kann sich das alles auch nicht erklären - und verweist in seiner Hilflosigkeit darauf, dass heutige Doktorarbeiten - anders als die Billigarbeiten unter der Regie des inkriminierten Professors mit gerade einmal 35 Seiten - im Schnitt 100 bis 150 Seiten stark seien. Als ob der Umfang einer Promotion (Guttenbergs Arbeit umfasste knapp 500 Seiten) auch nur irgendwie mit der Qualität des Inhaltes zusammenhinge.

Immerhin, der Dekan gesteht, die medizinische Fakultät habe die Kontrollinstrumente, die es durchaus gebe, nicht ausreichend genutzt. Auch in Bayreuth hatte sich sehr schnell eine Professorenfront formiert. Die Universität fühlte sich betrogen. Wir sind einem Betrüger aufgesessen, sagte Oliver Lepsius, der Staatsrechtler und Nachfolger von Häberle. Man lässt sich als Professor schließlich ungerne derart vorführen. Eine Dolchstoßlegende war geboren.

Bayreuth und Würzburg, der Fall Guttenberg und die im Verdacht stehenden FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin und Jorgo Chatzimarkakis - ist Deutschland ein Land der Billig-Promotionen? Oder handelt es sich jetzt nur um den unvermeidlichen Dreckeffekt - wenn man einmal genauer hinschaut, fallen Missstände plötzlich auf? Über die Zahl abgeschriebener, teilweise plagiierter, vollends gefälschter oder inhaltlich dürftiger Arbeiten kann man nur spekulieren.

Betrügereien passieren nicht zufällig

Ob nun tatsächlich jede zehnte Arbeit Mängel oder gar Plagiate enthält, wie manche mutmaßen, lässt sich kaum ermitteln. Fest steht aber, dass diese Fälle immer wieder passieren, der letzte größere Doktor-Skandal vor der Causa Guttenberg geschah 2009, um die fünfzig Hochschulen vor allem in Nordrhein-Westfalen waren darin verwickelt, gegen 100 Professoren wurde wegen Bestechlichkeit ermittelt.

Und doch gibt es gute Gründe zu vermuten, dass die Betrügereien nicht nur dann und wann und eher zufällig passieren, weil ein ambitionierter und dann überforderter Politiker als Doktorand angenommen wurde oder weil geldgierige Hochschullehrer ihre Gehälter aufbessern wollen. Der Fehler liegt auch im System. Deutschlands Hochschulen zeichnen sich, verglichen mit den Universitäten anderer Länder, durch ihre Lehrstühle und Institute aus.

Der Lehrstuhl stammt von der lateinischen "cathedra" ab, das war der erhöhte Lesestuhl des Lehrers an einer Universität. Heute gehört der Lehrstuhl dem Lehrstuhlinhaber. Auch wenn es den Ordinarius seit der Hochschulreform der siebziger Jahre offiziell nicht mehr gibt, so lebt der ordentliche Professor in der Besoldung und auch in der inneren Struktur der Universität fort. Idealerweise herrscht er über ein eigenes Institut. Vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wo die Differenzierung der Disziplinen möglichst feinkörnig ist, schätzt man die Institute als geistige Fürstentümer.

Mein Fach, mein Institut, meine Assistenten, meine Doktoranden, meine Studenten. Im universitären Fürstentum haben auch die Kollegen nichts zu sagen, geschweige denn der Dekan der Fakultät oder der Universitätspräsident. Die deutsche Universität ist stolz auf ihre interne Autonomie, die Beharrungskräfte sind groß. Man frage nur einmal die Präsidenten und Rektoren der Hochschulen, was sie so täglich erleben, wenn sie Hochschulen inhaltlich gestalten wollen.

Das auf den Lehrstuhlinhaber zugeschnittene System mochte im vorvorletzten Jahrhundert gut funktionieren. Im Zeitalter der Massenuniversität werden seine Schwächen offensichtlich. Sie reichen von der zuweilen mittelmäßigen, weil wenig internationalisierten Forschung bis hin zum schmutzigen Geschäft mit Titeln. Denn paradoxerweise führt die Lehrstuhlstruktur nicht dazu, dass der Professor sich intensiv um seinen Doktoranden kümmert. Das freilich ist auch bei der schnell wachsenden Zahl von Studenten und Promovenden und der weitaus weniger schnell wachsenden Zahl von Hochschullehrern schwierig geworden.

Doktorprüfung im familiären Rahmen

Doch die Betreuung ist mangelhaft nicht nur, weil der Professor zu wenig Zeit hat, sondern weil das Idealbild der Hochschule überholt ist. Sie sieht im Doktoranden den eigenständigen Forscher, den man ein paar Jahre sich selbst und seinen Büchern überlässt, um dann nach fünf Jahren zum ersten Mal ein Blicken ins sein Promotionsmanuskript zu werfen - und nicht, wie in den USA oder Großbritannien üblich, einen Studenten, dem man durchaus etwas beibringen muss.

Zur inneren Autonomie der Hochschule gehört auch die Doktorprüfung im familiären Rahmen. Dass der Doktorvater Gutachter der Dissertation und zugleich Prüfer beim Rigorosum ist, begünstigt Missbrauch und Manipulation. Häufig entstammt der Zweitgutachter dem engeren Kollegenkreis, er wird sich dem Urteil des Erstgutachters kaum widersetzen. Wenn dann auch noch - wie häufig in den Geistes- und Sozialwissenschaften - der internationale Maßstab fehlt, muss man sich nicht über nepotistische oder ausbeuterische Auswüchse wundern, nicht über Gefälligkeitsgutachten statt strenger, wissenschaftlich fundierter Benotung einer Arbeit.

Immerhin: In den vergangenen Jahren ist die Erkenntnis gewachsen, dass Doktoranden besser betreut werden müssen. Wichtiger noch: Die jüngere Generation von Wissenschaftlern arbeitet internationaler und wettbewerbsorientierter als ihre Vorgänger; der junge Professor legt mehr Wert darauf, sein wissenschaftliches Renommee durch eine anständige Publikationsliste zu pflegen als allein durch den einmal erworbenen Lehrstuhl. Die Kleinst-Institute werden auch immer häufiger abgelöst von fachübergreifenden Zentren, in denen Kollegen zusammenarbeiten statt zu konkurrieren.

Wenn der Doktor ein echter, wissenschaftlicher Abschluss wird, wenn der Professor sich vorrangig durch seine akademischen Meriten auszeichnet, dann mag das gesellschaftliche Renommee der Doktoren und Professoren abnehmen. Wissenschaftliche Solidität verträgt sich schlecht mit Society-Glamour. Dann wird es zwar keine VIP-Reisen nach Dubai für 699 Euro mehr geben. Der gute Ruf der Akademiker wird umso nachhaltiger sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: