Professoren-Sprechstunde:Hallo, jemand zu Haus?

Wer ein erfolgreicher Student werden will, muss die Angst vor seinem Professor überwinden und etwas ganz Unerhörtes tun: Er muss in die Sprechstunde gehen.

Christina Wächter

Ich hatte mein Studium keineswegs mit dem festen Vorsatz begonnen, nie in direkten Kontakt mit einem Professor treten zu müssen. Im Gegenteil! Im Zimmer meiner neu bezogenen Studenten-WG hatte ich mir freudig ausgemalt, wie ich wöchentlich auf dem Sofa meines Lieblings-Literaturprofessors Platz nehmen würde und bei einer Tasse grünem Tee über meine Fortschritte in der Erforschung der Romantik parlieren würde, um später bei einem Glas Portwein zu den großen Themen überzugehen und dabei vom unerschöpflichen Wissen meines Lehrers zu profitieren.

Ich hatte das genauestens studiert in all den amerikanischen und britischen College-Filmen, die ich mir zur Vorbereitung auf mein Studium ausgeliehen hatte, und freute mich auf eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit mit all den Genies, die nun meine Lehrer sein sollten.

Leider begann ich mein Studium nicht in Oxford oder Yale, sondern an einer sehr exzellenten, aber aufgrund ihrer Größe zur Anonymität neigenden Hochschule in Deutschland. Dort konnte ich mein ausuferndes Wissen des englischsprachigen Hochschulbetriebs nicht so recht in die Realität umsetzen.

Statt dessen gewann ich schnell den Eindruck, dass die meisten Professoren mehr Spaß daran fanden, sich einer mehrstündigen Wurzelbehandlung zu unterziehen, als sich mit den immer gleichen Fragen und Anliegen ihrer Studenten auseinandersetzen zu müssen. Und so lernte ich bereits im ersten Semester eine wichtige Regel kennen, an die ich mich fortan halten wollte: Nerve den Lehrkörper so wenig wie möglich, dann revanchiert er sich bei dir mit völliger Gleichgültigkeit, bis hin zum Ignorieren deiner Existenz.

Um ehrlich zu sein, kam mir diese Verhaltensregel sehr entgegen. Schon seit frühester Kindheit hatte ich panische Angst vor allem, was auch nur im Entferntesten nach einer Respektsperson aussah. Egal, ob ich von einem Bademeister gemaßregelt oder von einer Kassiererin zur Eile gerufen wurde: Immer war mir klar, dass die anderen im Recht und ich vermutlich demnächst mit einer Verhaftung zu rechnen hatte.

Zu Tränen gelangweilt

Universitäts-Professoren waren in der Kategorie Respektsperson ganz weit oben angesiedelt, irgendwo zwischen der Polizei und Gott. Die Vorstellung, eine so wichtige Person mit so nichtigen Dingen wie meinem Stundenplan zu behelligen, erschien mir absurd. Es war ja schon aufregend genug, wenn ich mich im Seminar einmal mit einem Wortbeitrag meldete oder ein Referat hielt, von dem ich ahnte, dass es meinen Professor zu Tränen langweilen musste.

Der einseitig geschlossene Vertrag zwischen den Professoren und mir funktionierte lange Zeit hervorragend. Ich studierte vor mich hin, war mitunter etwas langsamer als meine Kommilitonen und erreichte oft nur auf reichlich verschlungenen Umwegen mein Ziel. Dafür perfektionierte ich die Fähigkeit, unbemerkt in der Masse unterzugehen und hatte das beruhigende Gefühl, niemandem zur Last zu fallen.

In der Streberecke fing es an

Leider ging dieser paradiesische Zustand mit dem Abschluss des Grundstudiums zu Ende. In der Streberecke fing es an; immer öfter schnappte ich Gesprächsfetzen auf, in denen es um Sprechstundenzeiten ging, Termine und angebliche schrullige Eigenheiten des Lehrkörpers. Als nach einiger Zeit auch die Studenten, die ich bisher für sympathische Tagediebe gehalten hatte, anfingen, in die Sprechstunde zu pilgern, als gäbe es dort etwas umsonst, begriff ich, dass mein genialer Plan nicht aufgehen würde.

Probleme nur zwischen 11.15 und 12 Uhr

Wenn ich mein Studium zu Ende bringen wollte, musste ich den Vertrag aufheben und in direkten Kontakt mit einem Professor treten. Ich wagte gar nicht daran zu denken, was mich zum Ende meines Studiums erwarten würde, wenn ich tatsächlich einen Professor finden musste, der meine Magisterarbeit betreuen würde.

Für mein erstes Mal nahm ich mir eine leichtere Aufgabe vor: Ich musste mir nachträglich einen Seminarschein ausstellen lassen, ohne den ich mein Hauptstudium nicht fortsetzen konnte. Im Vorlesungsverzeichnis erfuhr ich die Sprechzeiten, die ganz dem gängigen Klischee entsprachen: Alle zwei Wochen zwischen 11:15 und 12 Uhr, allerdings nicht in der vorlesungsfreien Zeit und nur nach vorheriger Anmeldung im Sekretariat war mein Professor bereit, sich die Sorgen und Nöte seiner Studenten anzuhören.

Einlass ins Allerheiligste

Nachdem ich tatsächlich einen Termin bekommen hatte, saß ich im Gang und wartete darauf, in das Allerheiligste eingelassen zu werden. Ich hatte genug Zeit, mir alle möglichen Szenarien auszumalen, mein Anliegen schriftreif auszuformulieren und alle etwaigen Reaktionen meines Gegenübers zu antizipieren. Ich war auf alles gefasst, ich wusste auf jede Frage eine Antwort. Dann wurde ich aufgerufen.

Das Sprechzimmer des Professors war weder gemütlich noch Denkerstube, ein Sofa hätte auch hochkant keinen Platz gehabt, und Verpflegung war nicht vorgesehen. Es gab einen Schreibtisch und gegenüber einen Stuhl für Besucher. Darauf nahm ich Platz und trug mit leicht wackliger Stimme mein Anliegen vor.Der Professor schaute mich verständnislos an und wies mich knapp an, ihn mit bürokratischen Nichtigkeiten dieser Art nicht weiter zu belästigen und den Schein gefälligst bei seiner Sekretärin abzuholen. Zwei Minuten später hatte ich die erste Sprechstunde bei einem echten Professor hinter mir. Ich fühlte mich zittrig und ein klein wenig verwegen. So, wie man sich fühlt, wenn man etwas Großes erlebt hat.

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