Süddeutsche Zeitung

Professor:Getaktete Trucker

Heilbronner Wissenschaftler haben untersucht, warum der Typ des klassischen Vollblut-Fernfahrers vom Aussterben bedroht ist.

Interview von Miriam Hoffmeyer

Manne, Heiner, Olli - früher prangte am Fahrerhaus ein stolzes Namensschild, heute sind solche Lastwagen im Straßenbild kaum noch zu sehen. Wer wie einst Manfred Krug "auf Achse" sein will, passt nicht mehr in die deregulierte und industrialisierte Transportbranche. Das geht aus der zweiten "Zukunftsstudie Fernfahrer" hervor, für die Professor Dirk Lohre und seine Kollegen von der Hochschule Heilbronn neben Branchenexperten auch etwa 2200 Fernfahrer befragt haben.

SZ: Sie teilen Fernfahrer in vier Typen ein. Der Typus des "Berufenen" ist danach akut vom Aussterben bedroht. Was zeichnet ihn aus?

Dirk Lohre: Die "Berufenen" sind die klassischen Vollblut-Fernfahrer, die nicht nur viel Spaß am Fahren haben, sondern ihrem Beruf fast alles unterordnen. Ihr Herz schlägt für ihren 40-Tonner, den sie lieben und pflegen. Diese Fahrer gibt es immer noch, aber ihr Anteil geht stark zurück. Die Zukunft gehört wohl eher den "Rationalen", die die Vor- und Nachteile des Berufs bewusst gegeneinander abwägen und sich auch vorstellen können, etwas ganz anderes zu machen.

Warum wollen die Jüngeren von Trucker-Romantik nichts mehr wissen?

Zum einen wollen die jüngeren Fahrer nicht mehr tage- und wochenlang von zu Hause weg sein, da gibt es einen Wertewandel. Zum anderen ist der Reiz des Exotischen verloren gegangen. Die internationalen Langstrecken werden heute in erster Linie von osteuropäischen Transportunternehmen befahren. Der Kostendruck ist in diesem Bereich so hoch, dass deutsche Unternehmen nicht mithalten können. Deshalb sind deren Angestellte heute vor allem innerhalb Deutschlands unterwegs. Ihr Alltag ist von der Industrialisierung der Transport- und Logistikbranche geprägt.

Was heißt das konkret?

Alles wird standardisierter, die Prozesse sind durchgetaktet und viel besser aufeinander abgestimmt als früher. Das bedeutet weniger gefühlte Autonomie für die Fahrer. Erfolgreiche Unternehmen betrachten einen Lkw auch nur als eine Art Maschine, die möglichst gut ausgelastet sein muss und im Mehrschichtbetrieb gefahren wird. Die Fahrer müssen dann auch das Fahrzeug wechseln. In dieses System passen die "Berufenen" nicht mehr hinein. Aber die Industrialisierung bietet auch Vorteile für Fahrer.

Weil sie ihr Leben dann besser planen können?

Genau, es gibt zum Beispiel Modelle, bei denen Fahrer immer nur einen Teilabschnitt einer Fernstrecke fahren und dann in einem anderen Lkw wieder zurück. Dadurch sind die Fahrer zwar nicht unbedingt jeden Abend zu Hause, aber zumindest in regelmäßigen und planbaren Abständen. Viele Speditionen versuchen derzeit, ihre Systeme entsprechend umzustellen, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Allerdings braucht man dafür einen großen Fuhrpark - und die Branche ist immer noch von Kleinunternehmen mit sieben oder acht Lkw geprägt. Auch deshalb wird sich der Konzentrationsprozess in der Branche noch verstärken.

Die Frauenquote unter den Fernfahrern liegt bei etwa zwei Prozent. Lässt sie sich steigern?

Nicht in den Bereichen, in denen der Fahrermangel am größten ist. Für Frauen ist es aufgrund des tradierten Rollenverständnisses in den Familien schwerer zu realisieren als für Männer, mehrere Tage von zu Hause abwesend zu sein. Auf kürzeren Strecken oder im Linienverkehr mit berechenbaren Arbeitszeiten sehe ich aber Potenzial für mehr Lkw-Fahrerinnen.

Warum ist das Image der Branche eigentlich so schlecht?

Es könnte daran liegen, dass jeder von uns schon mal hinter Lastwagen im Stau gestanden und sich über Elefantenrennen geärgert hat. Also paradoxerweise an der gestiegenen Leistungsfähigkeit des Transportsektors, der für unsere Volkswirtschaft so enorm wichtig ist. Als Konsumenten sehen wir ja nicht seinen immensen Nutzen, sondern nur die negativen Folgen auf der Autobahn.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2016
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