Süddeutsche Zeitung

Probearbeiten ohne Lohn:Das machen wir doch gern

Arbeit zur Ansicht: Immer mehr Bewerber sollen unentgeltlich zur Probe arbeiten - betroffen sind nicht mehr nur Friseure und Kellner.

Christine Demmer

"Die spinnen doch!" Verständnislosigkeit und eine vage Furcht vor den neuen Spielregeln am Arbeitsmarkt befeuern den Zorn des jungen Einzelhandelskaufmanns aus Münster. "Ich hatte mich auf eine Stellenanzeige beworben", sagt er, "und als die Dame aus der Personalabteilung ein paar Tage später anrief, freute ich mich schon und dachte, es ginge um das Vorstellungsgespräch. Aber Pustekuchen: Ob ich bereit sei, zwei Wochen lang zur Probe zu arbeiten? Das sei die Vorbedingung, erklärte sie kategorisch, anders habe ein persönliches Kennenlernen keinen Sinn."

Als Mann?

Von Probearbeiten hatte der 25-Jährige schon gehört. Seine Freundin, eine soeben ausgelernte zahnmedizinische Fachangestellte, wurde unlängst auch dazu aufgefordert. "Einen Tag lang sollte sie am Stuhl assistieren", sagt ihr Partner, "das scheint branchenüblich zu sein, und einen Tag kann man sich das ja auch gefallen lassen. Aber gleich zwei Wochen? Und als Kaufmann?"

Und als Mann?, hätte er noch staunend hinzusetzen können. Denn mit der Aufforderung, ihr Geschick ein paar Stunden, Tage oder Wochen beim Arbeitgeber in spe unter Beweis zu stellen, werden vielfach Frauen konfrontiert. Friseurinnen, Floristinnen, Verkäuferinnen im Einzelhandel, Restaurantfachkräfte sowie Helferinnen in Arzt- und Zahnarztpraxen und Anwaltskanzleien kalkulieren inzwischen bei der Jobsuche die Arbeit zur Ansicht ein.

Frauen sind Vorreiterinnen

Sie sind daher Vorreiterinnen der Probearbeit, heißt es bei der Arbeitsagentur, weil es so viele von ihnen gibt, weil ihre Arbeitsverhältnisse oft nicht lange währen und weil sich aus ihren Zeugnissen zwar immer Positives, aber nicht immer die Wahrheit herauslesen lässt. Da machen die Chefs sich gerne selbst ein Bild.

"Der Trend geht zur Probebeschäftigung", bestätigt Ralf Kleine, Personalberater aus Frankfurt. "Noch betrifft das fast nur gering qualifizierte Arbeitnehmer, doch die höheren Berufsgruppen schließen auf." Bürofachkräfte, Assistentinnen, Programmierer und Techniker reihen sich in die Testkandidaten ein, auch Gesellen werden vorab auf Hand und Hirn geprüft. Hochschulabsolventen wissen ohnehin längst, wo der Hase langläuft. Nur kommt die Probearbeit in Agenturen, Studios, Beratungsfirmen und kaufmännischen Unternehmensbereichen gern als "Praktikum" daher. Das klingt zwar anspruchsvoller, ist inhaltlich jedoch meist Jacke wie Hose.

Auf dünnem Eis

Wer von einem Job heraus in einen anderen wechseln will, sollte sich eine Probearbeit gut überlegen. "Festangestellte Arbeitnehmer dürfen nicht gleichzeitig bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten", erklärt Kleine, "das verbietet das Arbeitsrecht." Der Personalprofi weiß: "Wer ein massives Interesse an einer Position hat, der lässt sich nach dem Grundsatz 'Wo kein Kläger, da kein Richter' durchaus darauf ein und verbringt zwei, drei Urlaubstage in einer anderen Firma." Dazu rät er aber nicht. "Wer das tut, begibt sich auf sehr dünnes Eis."

Stellensuchende hingegen dürfen das. Egal, ob der Bewerber oder die Bewerberin zwei Stunden, zwei Tage oder zwei Monate lang getestet werden soll: Wenn sie sich dazu bereit erklären, ist die persönliche Begutachtung von Wissen, Können und Wollen erlaubt. Allerdings sollte auch die Probearbeit entlohnt werden. Das aber scheint vielen Arbeitgebern entfallen zu sein - und kaum ein Kandidat traut sich, nach Bezahlung zu fragen. Nicht wenige bieten den kostenlosen Zehn- oder Dreißig-Tage-Test sogar von sich aus an, um ihre Chancen auf eine Anstellung zu erhöhen.

Wer offiziell als arbeitsuchend registriert ist und die Chance bekommt, über die Probearbeit in einen festen Job zu rutschen, hat einen Trumpf in der Hand: Für bis zu vier Wochen kann die Arbeitsagentur die Lohn-, Fahrt- und Kinderbetreuungskosten übernehmen. "Ich habe das immer dann befürwortet, wenn sich der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer nicht sicher waren, ob sie zusammenpassen", sagt der Nürnberger Agentursprecher Matthias Klar, vormals Fallmanager im gewerblich-technischen Bereich. "In eine Bewerbung kann man ja viel hineinschreiben, letztlich zählt aber doch das Manuelle. Und die Chemie muss stimmen. Das ist gerade in kleineren Betrieben wichtig."

Kein Schutz vor Ausbeutung

Doch nicht nur die wollen vor Vertragsabschluss wissen, mit wem sie es tun bekommen. Harald Mederski, Teamleiter im Agenturbezirk Berlin-Süd: "Die Größe der Firmen ist ganz unterschiedlich und die Art der Arbeit auch - von Sozialeinrichtungen, Sicherheitsdiensten, Reinigungsfirmen, Versicherungen bis hin zu Baufirmen und Steuerberatungsbüros ist alles dabei." In jeder dieser Branchen sei Probearbeit üblich. "Und selbstverständlich: Auch für Akademiker werden Probebeschäftigungen nachgefragt und gefördert."

Geld vom Amt gibt es freilich nur dann, wenn die Arbeitsagentur der Probearbeit zustimmt. Erfährt die Behörde erst im Nachhinein, dass gearbeitet wurde - egal, ob mit oder ohne Lohn -, dann kann sie das für diese Zeit gezahlte Arbeitslosengeld zurückfordern.

Gerne in der Freiluftsaison

Dass die Agentur Bescheid weiß, ist im Sinne des Arbeitnehmers. Denn die offizielle Anmeldung der Probebeschäftigung schützt vor Ausbeutung durch Jobvorgaukler. Matthias Klar: "In unserer zentralen Betriebsdatenbank wird festgehalten, wie viele Bewerber von einer Firma in der Vergangenheit zu Probearbeiten aufgefordert werden und wie viele dann tatsächlich eingestellt wurden." Schwarze Schafe, die nur mit der Hoffnung der Arbeitslosen spielen, gibt es überall. Der Blick in den Computer vor Bewilligung der Probearbeit soll den Missbrauch eindämmen.

"Die Anfrage ist saisonabhängig", sagt Harald Mederski von der Arbeitsagentur in Berlin. "Man kann damit rechnen, dass demnächst die Nachfrage im Bauhaupt- und Nebengewerbe steigen wird. Denn sobald der Winter überstanden ist, steigt der Wunsch nach Arbeitserprobungen. Auch die Gastronomie interessiert sich sehr für Probearbeitsverhältnisse. Vor allem dann, wenn die Freiluftsaison beginnt."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.7923
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.03.2010/holz
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.