Pro und Contra Studiengebühren:Gerechter Beitrag oder unnötige Hürde?

Lesezeit: 6 Min.

Bayern und Niedersachsen halten derzeit als einzige Bundesländer noch an Studiengebühren fest - doch in München mobilisiert die Opposition wieder verstärkt dagegen. Doch ist, was nichts kostet, nichts wert? Oder offenbaren die Gebühren die Hohlheit des Geredes von der Bildungsrepublik? Unsere Autoren sind da unterschiedlicher Meinung.

Alexandra Borchardt und Johann Osel

Pro Studiengebühren

Streik gegen Studiengebühren im Jahr 2009: Inzwischen hat sich die Frage der Gebühren in dem meisten Bundesländern wieder erübrigt. Ursprünglich führten sieben Bundesländer die Gebühren ein - inzwischen müssen Studenten nur noch in Bayern und Niedersachen fürs Studium zahlen. Und in Bayern gibt es deutliche Bestrebungen für ein Volksbegehren gegen die ungeliebten Gebühren. (Foto: ddp)

Im Sparen sind die Deutschen groß. Sie legen Geld zurück für den Urlaub, für ein neues Auto, für Smartphone oder Flachbild-TV. Und wer meint, etwas oder alles davon sofort zu brauchen, nimmt einen Kredit auf. Nur eines finden viele undenkbar: Sparen fürs Studium.

Während zum Beispiel viele amerikanischen Eltern schon bei der Geburt eines Kindes damit beginnen, für die Ausbildung des Sohnes oder der Tochter zu sparen, denken Mütter und Väter in Deutschland in der Kategorie finanzielles Opfer bei dieser Gelegenheit erst einmal an den Umzug in eine größere Wohnung.

Das mit dem Studium später, das soll im Falle des Falles der Staat richten, befinden sie. Schließlich zahlt der deutsche Mittelverdiener, anders als der Amerikaner, auch reichlich in des Staates Kasse ein. Das ist aber auch schon das einzige Argument, das ein Studium zum Nulltarif rechtfertigen könnte.

Alles andere spricht dafür, die universitäre Ausbildung mit einem Preisschild zu versehen. Um es kurz zu sagen: Studiengebühren sind sozial gerecht, dienen der Wertschätzung und sollten von denen ersehnt werden, die sich bessere Lehre und Arbeitsbedingungen an den Universitäten erhoffen.

Wohlgemerkt: Dies ist ein Plädoyer für Studiengebühren, nicht für eine Art Studiersteuer. Es geht um Gebühren, die von den Universitäten erhoben werden und ihnen direkt zugutekommen, also nicht in ständiger Gefahr sind, zum Stopfen von Haushaltslöchern abgegriffen zu werden.

Geld in frühe Bildung stecken

Im Einzelnen: Studiengebühren tragen zur sozialen Gerechtigkeit bei, weil von einem hoch subventionierten Studium nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitiert. Die Weichen dafür, ob es einer auf die Hochschule schafft, werden schon in den ersten Schuljahren, ja zuweilen bereits im Kindergarten gestellt.

Wenn der Staat für Chancengleichheit sorgen möchte, muss er das Geld in diesem frühen Stadium der Bildung einsetzen. Subventioniert er dagegen die Universitäten voll, kommt das überwiegend denjenigen zugute, die ohnehin bessere Startchancen hatten.

Die so großzügig geförderten Studenten werden dann als Hochschulabsolventen später auch noch diejenigen sein, die im Durchschnitt deutlich höhere Gehälter heimbringen als ihre nichtakademisch ausgebildeten Kollegen. Facharbeiter und Handwerker sorgen also mit ihren Steuern dafür, dass Uni-Abgänger sie in der Regel später in den Einkommenstabellen übertrumpfen.

Auch gilt das Argument nicht, dass kostenpflichtige Hochschulen jungen Erwachsenen aus weniger begüterten Familien versperrt bleiben. Jeder kann einen Studienkredit aufnehmen oder sich ein leistungsabhängiges Stipendium erarbeiten. Mehr als Urlaub oder Auto sollte einem die eigene Ausbildung bedeuten.

Was zum Thema Wertschätzung führt. Was nichts kostet, ist nichts wert - dieser zugegeben überstrapazierte Spruch enthält Wahrheiten. Wer Geld für den Besuch einer Hochschule zahlt, wird weniger geneigt sein, sein Studium zu vertrödeln oder mehrfach Fächer zu wechseln. Und er wird sich schneller melden, wenn die Qualität von Lehre und Ausbildungsstätten Wünsche offenlässt.

Wer zahlt, setzt sich in der Regel intensiver dafür ein, dass er eine gute Betreuung bekommt, dass die Öffnungszeiten von Bibliothek und Mensa stimmen. Kurz, er wird eher Verantwortung übernehmen. Er erwirbt sich ein Recht darauf, Ansprüche zu stellen, und die Professoren stehen stärker unter Druck, diese Ansprüche zu erfüllen.

Der Student ist Kunde, der Hochschullehrer Dienstleister. Wer gebührenfrei studiert, fühlt sich dagegen leicht in die Rolle des Almosenempfängers gedrängt, jenes Studierenden, der dankbar sein darf, wenn er im Seminarraum einen Platz auf dem Fußboden und einen Termin beim Dozenten bekommt.

Persönliche Reife, ja - doch nicht zum Nulltarif

Studiengebühren helfen außerdem dabei, jene Studenten ein wenig abzuschrecken, die nicht mit Blick auf einen Beruf studieren, sondern wegen des Unterhaltungswerts oder in Erwartung sonstiger psychosozialer Belohnungen. Dort, wo es kostenpflichtig wird, gibt es weniger Senioren, die aus reinem Interesse Scheine machen und dabei im schlimmsten Fall junge Menschen am Sammeln wichtiger Leistungsnachweise hindern.

Und es gibt weniger Kartei-Studenten, die sich nur wegen der Monatskarte immatrikulieren oder den Studentenstatus brauchen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie längst anderes aus ihrem Leben hätten machen sollen - eine Erkenntnis, die für alle Seiten umso vorteilhafter ist, je früher sie dem Betroffenen kommt.

Freilich, das Studium dient auch der Persönlichkeits- und Geistesbildung, und auch beim Ausprobieren verschiedener Fächer bildet sich die akademische Reife aus. Doch warum sollte es diese Reife zum Nulltarif geben?

Der Autofahrer trägt über Benzin- und Kfz-Steuer, in manchen Ländern über eine Maut dazu bei, dass das Straßennetz in Schuss gehalten wird. Ebenso sollte der Student über Gebühren dafür Sorge tragen, dass die akademischen Einrichtungen nicht nur instand gehalten werden, sondern im besten Fall aufblühen können.

Ideal ist es deshalb, wenn die Studiengebühren direkt an die Uni fließen, an der die Studierenden eingeschrieben sind. Denn dies setzt die Hochschulen unter Wettbewerbsdruck. Jede Institution wird sich bemühen, für Studenten besonders attraktiv zu werden, die besten Professoren anzuziehen, die angenehmste Lernumgebung zu schaffen. Und ist dies erreicht, zahlt sich das für alle aus.

(Alexandra Borchardt)

Deutsche Akademiker reproduzieren sich weitgehend selbst: 71 Prozent der Kinder von Eltern mit Uni-Abschluss studieren, von denen ohne akademischen Hintergrund nur gut ein Viertel. Zwar ist das Bild vom Malochersohn oder der Bauerstochter, denen generell ein Studium verwehrt bleibt, heute überholt und auch der abgehängte Migrant taugt als Stereotyp in der Breite nicht.

Denn es gibt immer mehr Wege an die Hochschulen, gerade in den vergangenen Jahren wurden Möglichkeiten ausgebaut, das Abitur abseits des klassischen Gymnasiums zu erwerben oder als Facharbeiter zu studieren. Grundsätzlich aber ist ein Studium nach wie vor für manche gesellschaftliche Milieus eine Selbstverständlichkeit; und für andere zwar durchaus möglich, aber doch noch eine Besonderheit.

Die Rahmenbedingungen laden junge Leute aus sozial schwächeren Schichten nicht gerade in die Universitäten ein. Das Bafög hatte neulich seinen 40. Geburtstag, und diese Art der Förderung hat schon Hunderttausenden geholfen - allerdings ist das Geld meist unzureichend.

Und es gibt Studiengebühren, in einigen Ländern noch, in der Regel 1000 Euro pro Jahr. Das klingt nach wenig; es kann aber viel sein, wenn die Eltern nicht oder kaum einspringen können. Das wird angesichts der hiesigen Gebührenhöhe nicht Kalamitäten verursachen, wie sie in Friedrich Hebbels Drama "Der Diamant" (1841) ein Bauer beklagte: "Das Schulgeld bezahl ich, nach wie vor, und esse nur alle vierzehn Tage Fleisch, um es zusammenzubringen."

Aber 1000 Euro sind viel Geld für eine Familie, die auf jede Ausgabe zu achten hat, und für deren Kind, das selbst mit dem Bafög-Höchstsatz (670 Euro) sparsam leben und zusätzlich jobben muss (wofür in Zeiten der straff organisierten Bologna-Studiengänge übrigens weniger Raum bleibt).

Zu Recht Wahlkampfthema

Für 1000 Euro bekommt ein Student viele hundert Mensa-Mahlzeiten, er kann in München gut zwei Monatsmieten eines WG-Zimmers bezahlen, in Tübingen, Hof oder Buxtehude vier oder fünf. Kurzum: Studiengebühren können sehr wohl ein finanzieller Einschnitt sein, wenn vielleicht auch nicht für alle Studenten. Haben sich Kinder aus ärmeren oder bildungsfernen Familien in der Sortieranlage Schulsystem bis zum Abitur gekämpft, wartet auf sie prompt eine neue Hürde.

Zu Recht dienen die Gebühren und ihre soziale Komponente daher als Wahlkampfthema. Löblicherweise ließen sich Regierungen nicht auf die Radikalforderung ein, sie per Handstreich zu kippen - sondern sie organisierten erst die Kompensation für die Hochschulen über den Landesetat. Übrig bleiben als Gebührenländer bald nur noch Niedersachsen und Bayern.

Deren Wissenschaftsminister, Johanna Wanka (CDU) und Wolfgang Heubisch (FDP), werden nicht müde zu betonen, dass sie an den Beiträgen festhalten. Schließlich drängen gerade in die Unis der beiden Länder derzeit so viele Studenten wie nie zuvor - Gebühren sind nicht abschreckend, heißt es.

Die Chuzpe des bundesweiten Sonderweges dürfte in zehn, vielleicht fünfzehn Jahren Wankas und Heubischs Nachfolgern vergehen. Dann nämlich kippt der demographische Trend, Studenten werden vielerorts ausbleiben, Gebührenfreiheit wird zum Standortvorteil.

Studiengebühren sollen nach dem Willen ihrer Erfinder die Studienbedingungen verbessern. Zweifelsohne gibt es in Gebührenländern oft zusätzliche Dozenten und Tutoren, längere Öffnungszeiten von Bibliotheken, modernisierte PC-Räume. Allerdings: Optimale Ausstattung - eben genügend Dozenten, passende Öffnungszeiten und PC-Räume - muss Aufgabe und Ziel des Staates sein.

Befristete Jobs, miesbezahlte Tätigkeiten

Nur ein mediokres Studium zu gewährleisten und die Verantwortung für ein gutes Studium abzuwälzen, verträgt sich nicht mit den hehren Worten quer durch alle Parteien, dass Bildung Priorität habe und das Land mehr Akademiker brauche. 240 Millionen Euro betrug das jährliche Gebührenaufkommen zuletzt in NRW. Das ist deutlich weniger, als das Land Rheinland-Pfalz in den Flop-Freizeitpark am Nürburgring gepumpt hat.

Gebühren-Fans behaupten, dass sich Studenten - anders als Lehrlinge - schon alleine deshalb an den Kosten ihrer Ausbildung beteiligen sollen, weil sie später ja gut verdienen. Dabei werden zwei Dinge vergessen: Erstens verdient definitiv nicht jeder Akademiker gut.

Man muss gar nicht mit dem Beispiel des Taxi fahrenden Minnesangexperten kommen; Studien belegen, dass sich Geistes- und Sozialwissenschaftler oft über Jahrzehnte mit befristeten Jobs, Honorarverträgen oder mies bezahlten fachfremden Tätigkeiten zufriedengeben müssen.

Und diejenigen Theaterwissenschaftler oder Ethnologen, die eine feste Stelle finden, werden teils mit 20.000 brutto im Jahr abgespeist - die These vom gut verdienenden Akademiker, der dreist die Früchte des staatlich finanzierten Studiums genießt, ist eine Mär aus dem marktfundamentalistischen Lehrbuch.

Zweitens ist es am Ende die gesamte Gesellschaft, die von den steuerzahlenden Akademikern profitiert - und auch vom Impuls eines darbenden Schöngeistes. Daher ist es zentrale Aufgabe des Staates, ein bestmögliches Bildungssystem zu schaffen, in dem sich jeder - wenn gewünscht und intellektuell befähigt dazu - ohne Hürden entfalten kann. Nimmt der Staat den Anspruch einer Bildungsrepublik ernst, muss er das ohne Extra-Einnahmen aus dem studentischen Portemonnaie stemmen.

(Johann Osel)

© SZ vom 07.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: