Privatschulen:Beten und lernen

Weil sie dem Staat misstrauen, schicken in Bayern immer mehr Eltern ihre Kinder auf kirchliche und private Schulen.

Katja Auer

Kriegsführung wird nicht mehr unterrichtet in Ettal, und auch sonst hat das Benediktinergymnasium nichts vom elitären Gehabe einer einstigen Ritterakademie. Fechten gehört zwar immer noch zum Sportunterricht, auch die Sprachen und der Tanzkurs sind geblieben, trotzdem ist der adelige Nachwuchs längst in der Minderheit in der Klosterschule. Das Internat, idyllisch eingebettet im Graswangtal nahe Garmisch-Partenkirchen, ist eine von über 500 Privatschulen in Bayern, die derzeit einen Aufschwung erleben. Jeder zehnte Schüler im Freistaat besucht mittlerweile eine private Schule, das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 6,7 Prozent.

Privatschulen: Schulparadies im oberbayerischen Graswangtal: Kloster Ettal beherbergt ein angesehenes Internat. Das morgendliche Gebet gehört zum selbstverständlichen Ritual.

Schulparadies im oberbayerischen Graswangtal: Kloster Ettal beherbergt ein angesehenes Internat. Das morgendliche Gebet gehört zum selbstverständlichen Ritual.

(Foto: Foto: Gerard)

Die meisten bayerischen Privatschulen werden von kirchlichen Trägern geführt, daneben entstehen ständig neue Montessori- und Waldorf-Schulen. Ob Reformpädagogik, anthroposophische Methoden oder christliche Erziehung tatsächlich besser funktionieren, ist ungewiss, zuverlässige wissenschaftliche Untersuchungen über den Bildungserfolg von Privatschulen gibt es bislang nicht. Der Pisa-Schock und das schwindende Vertrauen in das staatliche Schulsystem lassen dennoch immer mehr Eltern nach Alternativen suchen.

Schonraum für die Kinder

Weil die Zöglinge "von jenem, was etwan in der Stadt der Jugent mechte Gefehrliches anscheinen, entfehrnet" seien, gründete Abt Placidus 1711 seine Ritterakademie bewusst im abgelegenen Ettal. Die Schüler abgeschottet von der Welt zu erziehen war der Gedanke, unbeeinflusst von Ablenkungen und Vergnügungen.

Auch 300 Jahre später streitet Schulleiter Pater Maurus Kraß nicht ab, dass es die abgeschiedene Lage seiner Klosterschule ein bisschen leichter macht, die Schüler von eventuellen schädlichen Einflüssen fernzuhalten. Einen "Schonraum für die Kinder" nennt er Schule und Internat. "Aber wir können und wollen keine Käseglocke sein", sagt der Benediktinerpater, der die Schule seit zehn Jahren leitet. So ist die Welt in Ettal nicht heiler als anderswo, auch die Schüler sind nicht durchwegs Musterknaben.

Allgemeine Unsicherheit

Wie andere Schulleiter musste sich auch Pater Maurus schon mit Drogen auseinandersetzen, mancher Schüler bleibt auch in dieser Schule sitzen - und trotzdem ist Pater Maurus sicher, dass es insgesamt ein bisschen besser läuft in Ettal. Dass immer mehr Eltern ihre Kinder auf kirchliche Schulen schicken wollen, führt Internatsleiter Frater Thomas Neumann auf eine allgemeine Unsicherheit zurück. Das Bildungssystem werde von vielen Eltern derzeit kritisch gesehen, ein kirchlicher Träger genieße dagegen mehr Vertrauen.

Werte sollen ihre Kinder lernen, das erhoffen sich die Eltern vom Ettaler Schulleben, das dem Kirchenjahr folgt, von regelmäßigen Gebeten geprägt ist, vom obligatorischen Sonntagsgottesdienst. Getauft müssen die Kinder sein, die aufgenommen werden wollen, ob katholisch oder evangelisch spielt keine Rolle. Klösterlich geht es trotzdem nicht zu auf dem Schulgelände, das Fußballspiel im Schatten der Basilika gehört genauso zum Alltag. Werteerziehung hat in Ettal mit Frömmelei nichts zu tun, "man muss es den Kindern vorleben", sagt Pater Maurus.

Auf den kirchlichen Aspekt lässt er seine Schule ohnehin nicht reduzieren. Er ist stolz darauf, dass in Ettal die Umstellung auf das achtstufige Gymnasium nahezu problemlos abgelaufen ist und der vielerorts beklagte Unterrichtsausfall bei ihm gegen Null tendiert. Sein Rezept heißt Flexibilisierung. "Wir wollen keinen geklonte staatliche Schule sein", betont er und so steht er zum Wochenend-Unterricht. Jeden Samstag müssen die Schüler in Ettal die Schulbank drücken - und haben eigentlich gar nichts dagegen. "Dafür haben wir keinen Nachmittagsunterricht", erzählen schon die Fünftklässler mit einem gewissen Stolz, um gleich noch aufzuzählen, welche Instrumente sie am Nachmittag spielen und wie viel Zeit für die vielen Sportangebote bleibt. "Die Kinder sollen Zeit haben, sich daheim in Vereinen zu engagieren und im Internat brauchen wir die Zeit zum gemeinsamen Leben", erklärt Pater Maurus die Entscheidung für den Samstagsunterricht.

In Ettal setzt man auf kleine Gruppen, so werden die Klassen im Latein- und Mathematikunterricht gedrittelt, um intensiver lernen zu können. Seine Lehrer seien möglicherweise engagierter als anderswo, es gebe tatsächlich Bewerber, die den sicheren Staatsdienst verlassen und für weniger Geld in Ettal arbeiten wollten.

Beten und lernen

Die Finanzen spielen an Privatschulen stets eine große Rolle, nicht nur für den Schulleiter, der viel von Geldsorgen reden könnte, auch wenn private Schulen vom Staat bezuschusst werden. Weil das nicht reicht - in Ettal trägt das Kloster einen großen Teil der Kosten - müssen die Eltern Schulgeld bezahlen. 40 Euro sind das im Monat, das Internat kostet 550 Euro plus 75 Euro Nebenkosten. Wer das nicht bezahlen kann, wird von einem Förderkreis unterstützt. Nicht-kirchliche Schulen sind meist erheblich teurer, dass sich dennoch mittlerweile auch Eltern ohne überdurchschnittliches Einkommen den Luxus einer Privatschule leisten, zeugt von deren gutem Ruf.

"Eltern fangen an, bewusster zu entscheiden, obwohl sie sich immer noch zu wenig damit auseinandersetzen", sagt auch Günter Mattes, Elternvertreter im Vorstand des Montessori-Landesverbandes. Die Reformpädagogik von Maria Montessori, die vor 100 Jahren in Rom ihr erstes Kinderhaus eröffnete, erscheint vielen Eltern als optimale Lösung: Das Kind steht im Mittelpunkt, darf frei wählen, womit es sich beschäftigen will, unabhängig von Leistungsdruck und Prüfungsstress.

Ähnlich argumentieren Anhänger von Waldorfschulen. Dort können Kinder nicht sitzenbleiben, der Klassenverband - auch mit leistungsschwächeren Schülern - soll möglichst lange erhalten bleiben, weswegen Waldorfschulen Gesamtschulen sind. Gegründet 1919 von dem Anthroposophen Rudolf Steiner, stehen bei seiner Lehrmethode die kreativen Fähigkeiten der Schüler im Mittelpunkt, der Lehrplan wird der Entwicklung der Kinder angepasst.

In Bayern gibt es rund 20 Freie Waldorfschulen, daneben 75 Montessori-Schulen. Tendenz steigend, so Günter Mattes. Er spricht von Selbständigkeit, von sozialer Kompetenz und Individualität, wenn er von Montessori schwärmt. All das könnten die Regelschulen den Kindern nicht bieten. Die Schüler würden in Montessori-Schulen zu auffallend positiven Menschen, weil sie ihren kindlichen Bewegungsdrang voll ausleben könnten. "Sie werden nicht zum Mittelmaß erzogen."

"Nur Gestammel"

Wer kritisiert, dass die Kinder mit bunten Klötzchen spielen anstatt Rechenaufgaben zu lösen, den nennt Mattes oberflächlich. "Wer das Spielen, nennt, der hat's nicht begriffen." Er ist überzeugt davon, dass sich die Montessori-Pädagogik langfristig gegen den herkömmlichen Unterricht durchsetzen wird.

Beweisen kann er das freilich nicht - die Humboldt-Universität Berlin führt derzeit den ersten Pisa-Vergleich durch - und genau das kritisiert der Würzburger Pädagogik-Professor Winfried Böhm, der selbst lange Jahre Vorsitzender Montessori-Gesellschaft war. Er warnt davor, die Alternativschulen immer der Regelschule entgegenzuhalten: "Es gibt hundsmiserable Montessori-Schulen und genauso exzellente Regelschulen", sagt er. Böhm führt den Privatschul-Boom auf gesellschaftliche Veränderungen zurück, die in den Eltern "unerfüllte Träume von pädagogisch gestalteten Schulen" weckten. Ihn stört an der Schuldiskussion vor allem, dass sie lediglich mit Schlagworten geführt werde. "Die Eltern wollen für ihre Kinder immer Selbständigkeit, Freiheit und Werte, aber wenn man fragt, was dahinter steckt, dann kommt nur Gestammel."

Er gibt zu bedenken, dass Montessori-Schulen längst nicht für alle Kinder geeignet sind. "Sie können ja auch nicht sagen, wo ist der richtige Weg - das kommt ganz darauf an, wo sie hin wollen." Nicht jedes Kind komme damit zurecht, dass es in einer Montessori-Einrichtung machen könne, worauf es Lust habe, diese Entscheidung dann aber begründen soll. Vielen Kinder falle es leichter, mit Büchern und Rechenaufgaben zu arbeiten. Was das für die Schule der Zukunft heißt, weiß auch Böhm nicht zu sagen, er warnt aber vor überzogenen Träumereien. "Man kann die Schule nicht nur an einem Punkt reformieren", sagt er. Die Gesellschaft sei derart komplex, dass es einfache Lösungen nicht gebe.

Fragt man aber die Kinder, warum sie lieber eine Privatschule besuchen, gibt es zuweilen doch ganz einfache Antworten: Weil Ettal dem Zauberinternat Hogwarts aus den Harry-Potter-Romanen doch ein klein wenig ähnlich sein könnte.

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