Praktikanten und Bezahlung:"100.000 Stellen in Gefahr"

Praktikanten sollen nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Deshalb kämpft die Regierung für eine angemessene Bezahlung. Doch das hat unerwünschte Nebenwirkungen.

C. Frank

Praktikanten sollen nicht als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden, findet Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD), deshalb lässt er seit dem Frühjahr ein Maßnahmenpaket zu ihrem besseren Schutz prüfen. Doch noch bevor die neuen Regeln vorgestellt wurden, melden sich Gegner zu Wort: Sollten die Gesetzesänderungen umgesetzt werden, würden mehr als die Hälfte der Unternehmen keine Praktikanten mehr einstellen, warnt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Dies hat der Verband in einer Umfrage unter 1100 Firmen aus Industrie, Bau, Handel und Dienstleistungen herausgefunden.

Praktikant

Praktikant gesucht: 30 Prozent der Praktikanten fühlen sich ausgenutzt.

(Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Konkret plant das Bundesarbeitsministerium, in Zukunft Praktika im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) klar als "Lernverhältnisse" zu definieren und damit von Arbeitsverhältnissen abzugrenzen. Weiterhin will Minister Scholz im BGB ein Anrecht der Praktikanten auf angemessene Vergütung festschreiben sowie eine "Beweislastumkehr", durch die im Streitfall der Arbeitgeber beweisen müsste, dass es sich bei einer strittigen Beschäftigung um ein Praktikanten-, nicht um ein Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Bislang liegt diese Pflicht bei den Hospitanten. Zudem sollen Ausschlussfristen abgeschafft werden, nach deren Ablauf Praktikanten keine Ansprüche mehr geltend machen können.

Einsatz als billige Arbeitskräfte

In seiner Studie hat der DIHK nun herausgefunden: Bei einer Einführung der Beweislastumkehr würden 45 Prozent der Firmen keine Praktikanten mehr einstellen, bei einem Wegfall der Ausschlussfristen geben das 54 Prozent an. "Wenn die Politik die diskutierten Regelungen umsetzt, sind mindestens 100.000 Praktikantenstellen in Gefahr", sagte Braun. Die Zahl der Plätze für Hospitationen wird auf noch 170.000 geschätzt.

Der Abbau treffe am härtesten Schüler und Studenten, für die Praktika eine Brückenfunktion ins Berufsleben darstellten. Auch in einer gesetzlichen Definition von Praktika als Lernverhältnisse sieht der DIHK keinen Sinn: Laut Umfrage stellt "nur eine kleine Minderheit" von 7,5 Prozent der Firmen Praktikanten zur Deckung von Personalengpässen ein, 3,3 Prozent gaben zu, sie als billige Arbeitskräfte einzusetzen.

Auf der nächsten Seite: Wie die "Personalpolitik mit der Zitronenpresse" funktioniert.

"100.000 Stellen in Gefahr"

Unbezahlt und ausgenutzt

Eine Befragung der Betroffenen selbst durch das Internationale Institut für Empirische Sozialökonomie (Inifes) zeigt ein ganz anderes Bild: Demnach fühlen sich 30 Prozent der Praktikanten ausgenutzt, 80 Prozent von ihnen sagten sogar, mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit als normale Kraft eingesetzt worden zu sein. 51 Prozent gaben an, für ihr Praktikum nicht bezahlt worden zu sein. Dies lege die Vermutung nahe, "dass die entsprechenden Unternehmen eher Interesse an einer unbezahlten Arbeitskraft" hätten, folgern die Inifes-Autoren.

Der DGB spricht von "Personalpolitik mit der Zitronenpresse". Auch Frank Schneider vom Praktikantenschutz-Verein Fairwork wundert sich über das Papier des DIHK: "Wenn bis zu 54 Prozent der Unternehmen bei verschärften Regeln keine Praktikanten mehr einstellen würden, könnte man meinen, dass derzeit 54 Prozent der Unternehmen unfaire Praktika anbieten."

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