Durch die Digitalisierung hat sich die Art, wie wir Informationen konsumieren, fundamental verändert. Wir besuchen virtuell Konferenzen und studieren online. Am Bahnhof scrollen wir noch schnell durch die Tagesschau-App, überfliegen Bruchstücke von Nachrichten. In Diskussionen googeln wir Fakten, um mit Wissen zu glänzen oder die Aussagen anderer Menschen zu überprüfen. Gleichzeitig sitzen wir in Veranstaltungen und hören Redner, die uns seitenlange Manuskripte vorlesen oder mit vollgeschriebenen Powerpoint-Präsentationen quälen.
Sieben Thesen, welche technologischen und gesellschaftlichen Trends die Sehgewohnheiten des Publikums verändert haben - und wie sich Redner darauf einstellen sollten.
1. Die Digitalisierung entgrenzt Reden räumlich
Immer mehr Veranstalter verbreiten den Inhalt ihrer Programme zusätzlich über digitale Kanäle. Dank Smartphone landet sogar mancher Vortrag im Netz, ohne dass der Redner darüber Bescheid weiß. Durch diesen Trend werden öffentliche Reden zeitlich und räumlich entgrenzt. Ob ein spontanes Video eines Zuschauers eine Protestwelle oder einen Begeisterungssturm auslöst, hängt einzig vom Redner ab.
Wer vor Publikum spricht, sollte sich daher schon bei der Vorbereitung fragen: Womit möchte ich jetzt und in Zukunft sichtbar sein? Welche Geschichten will ich öffentlich erzählen und damit auch digital in Erinnerung bleiben? Wie muss mein Auftritt sein, damit ich auch im nächsten Job weiterhin positiv wahrgenommen werde?
2. Zuschauer lieben Infotainment
Auf ein Übermaß an Fakten und monotonen Vortragsstil antwortet das Publikum schon jetzt mit dem gelangweilten Griff zum Smartphone. Wer zukünftig sein Publikum bei der Stange halten will, sollte seinen Vortrag auf Unterhaltungswert überprüfen. Gemeint sind nicht Comedy und lustige Filmchen, sondern emotionale Ansprache: Geschichten, Bilder, persönlicher Appell. Anstatt Stichworte von einer Powerpoint-Folie zu präsentieren, müssen Redner heute mehr denn je persönlich sein, mitreißende Geschichten erzählen und so Bilder und Gefühle ins Gehirn der Zuschauer pflanzen. Welche Informationen wir im Langzeitspeicher unseres Gehirns ablegen, hängt davon ab, welchen emotionalen Wert wir ihnen beimessen.
Unterhaltung ist also kein Firlefanz für diejenigen, die es nicht mehr schaffen, einen ganzseitigen Zeitungsartikel am Stück zu lesen. Sie ist schlichtweg die einfachste Möglichkeit, dem Publikum das Zuhören zu erleichtern und sicherzustellen, dass die Botschaft auch tatsächlich ankommt. Infotainment nennt sich das.
3. Livestreaming ermöglicht Rednern große Reichweite
Ob Pressekonferenz, Produktpräsentation oder Kulturveranstaltung - viele Unternehmen nutzen Live-Videostreaming, um ihre Inhalte in Echtzeit in die Welt zu bringen. Und die Zahl wird weiter steigen.
Was früher nur die Gäste im Veranstaltungssaal sahen, kann nun die ganze Welt live miterleben. Videostreaming ermöglicht Rednern heute eine Reichweite, wie sie sonst nur Fernsehmoderatoren bekommen. Deshalb müssen sich Redner zukünftig darauf einstellen, dass jedes Wort, jede Aussage sitzen muss. Sie werden mit demselben Maß gemessen wie all jene, die solche Auftritte berufsmäßig absolvieren. Und CEOs müssen damit leben, dass nicht alles kontrolliert werden kann. Sie sollten sich lieber bewusst machen, dass eine professionelle Auftrittspräsenz Teil ihres Jobs ist. Denn der Livestream ist das neue Fernsehen. Das Sendeformat der Zukunft.
4. Kürzere Präsentationen kommen Sehgewohnheiten entgegen
Wir konsumieren mit Vorliebe kurze Sequenzen - kurze Videoclips, kleine Online-Lerneinheiten und eben auch kurze Präsentationen. Die Länge der Vorträge hat in den vergangenen Jahren abgenommen. Betrug sie vor 20 Jahren noch durchschnittlich eine Stunde, so bringen es die meisten Präsentationen heute gerade einmal auf zwanzig Minuten. Immer häufiger begegnen mir bei Veranstaltungen sogenannte "Elevator Pitches" - Präsentationen in 90 Sekunden. Dahinter steckt die Idee, die Zuhörer in möglichst kurzer Zeit und ohne technische Hilfsmittel von einem Thema oder einem Produkt zu begeistern, um dann zu weiteren Gesprächen einzuladen. Oft bittet man auf Konferenzen mehrere Redner nacheinander zum Pitch. All diese Formate verbindet: Sie sind schnell, abwechslungsreich, unterhaltsam.
Mini- und Mikro-Präsentationen gehen aber nur dann auf, wenn der Vortragende sie beherrscht. Es ist viel anspruchsvoller, in wenigen Minuten auf den Punkt zu kommen als ausschweifend zu schwafeln. Anstelle ein paar Powerpoint-Folien mit bunten Diagrammen aufzupeppen, müssen Redner ihre Zeit in die Entwicklung ihrer Story und die Wirkung ihres Auftritts investieren.
5. Zuschauer lassen sich durch Bilder begeistern
Ein Facebook-Post mit Video hat 300 Prozent mehr Zuschauer als ein reiner Textbeitrag. Diese Zahl auf sinkendes intellektuelles Niveau der Gesellschaft zurückzuführen, wäre zu kurz gedacht. Denn es kommt unseren Sehgewohnheiten von Natur aus näher, ein Bild anzuschauen anstatt einen Text zu lesen. Das Bild im Stein war vor der Schrift. Und das Bild ist auch heute noch vor der Sprache im Kopf. Deshalb macht es auch bei Präsentationen mehr Spaß, ein Bild anzuschauen und eine Geschichte dazu zu hören, als Fakten an der Wand zu lesen.
Wer heute und in Zukunft seine Zuschauer begeistern will, muss die Kraft der Bilder nutzen und keine Angst davor haben, wenig Informationen in Form von Text auf Folien zu präsentieren. Brillante Redner erzählen Geschichten, die in Erinnerung bleiben. Sie zeigen Bilder, die berühren. Wenn sie Text darbieten, dann zeigen ihre Präsentationen nur ein Wort, eine Zahl oder eine Schlagzeile. Wem Detailtiefe wichtig ist, der kann auch in Zukunft gut und gerne ein Handout weitergeben.
6. Präsentationen 4.0 sind die Zukunft
Die Bank ist es neuerdings, die Industrie sowieso - Ihr Vortrag sollte es auch sein: Vierpunktnull. Der Begriff steht für automatisierte Prozesse, für die Vernetzung von Menschen und Dingen. Präsentieren 4.0 bedeutet, die Intelligenz der Nutzer in den Vortrag einzubeziehen. Und nicht nur das: Eine zeitgemäße Präsentation vernetzt nicht nur das Publikum und den Redner, sondern auch die Gäste untereinander. Digitale Anwendungen und neue Formate machen es möglich.
Aktuell im Trend sind sogenannte Audience Response Tools, mit denen der Redner live und anonym seine Gäste befragen kann. Sie heißen etwa Slido, Mentimeter oder Voxr und sind webbasierte Anwendungen. Um sie zu nutzen, brauchen die Zuhörer nichts außer ihr Smartphone oder einen Tablet PC. Wenn der Redner zum Beispiel fragt: "Welche Ideen haben Sie, um den Kundenservice zu verbessern?", schreiben die Gäste ihre Ideen ins Textfeld des Browsers und die Antworten erscheinen live auf der Präsentationsleinwand.
Bei den neuen interaktiven Formaten werden die Teilnehmenden zu Gestaltenden von Events und Inhalten und vernetzen sich maximal. Bei einem Bar Camp etwa geht es darum, Wissen zu teilen sowie neue Impulse und Ideen zu gewinnen. Dazu stellt sich zu Beginn des Events jeder Teilnehmer vor. Wer Interesse hat, bietet sein Thema in einer Session an. Das Publikum entscheidet, welche Session es sehen möchte. Präsentationen können dabei mit den Gästen geteilt werden. Sie können liken, kommentieren und sie auf sozialen Kanälen teilen. Auf Social Media Walls können Gäste ihr persönliches Feedback zu den Inhalten einer Veranstaltung posten. Das ist direkt und das ist ehrlich.
7. Die Rednerpersönlichkeit steht im Mittelpunkt
Selbst wenn die technologische Entwicklung in gleichem Tempo voranschreitet und irgendwann ein künstlich intelligenter Roboter auf der Bühne einen sprachlich und inhaltlich ausgefeilten Vortrag halten kann, glaube ich nicht, dass die Maschine den Menschen als Redner ersetzen kann. Wir sind soziale Wesen, die sich am stärksten von anderen Menschen bewegen lassen, die am besten gemeinsam mit und von Anderen lernen.
Deshalb wird auch weiterhin der Redner selbst im Mittelpunkt stehen. In einer technologisch hoch entwickelten Welt wird es zukünftig sogar mehr darauf ankommen, menschlich aufzutreten. Mit Emotionalität und Fehlbarkeit. Mit Leidenschaft und innerer Überzeugung. Ob eine Rede oder eine Präsentation ihr Ziel erreicht, wird davon abhängen, ob der Redner es schafft, mit seiner Persönlichkeit und seinem Auftritt zu überzeugen. Er muss ehrliches Interesse an seinem Publikum haben und es ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit stellen. Die Zuschauer wollen spüren, dass da ein Mensch spricht, der es ernst meint, den sie beim Wort nehmen können. Einen Roboter können sie das nicht.