Eigentlich stimmte alles: Lebenslauf, Ambitionen, Alter, Gehaltsvorstellung. Und selbstbewusst wirkte der Softwareentwickler auch, als er zum Vorstellungsgespräch mit dem IT-Direktor eines großen Unternehmens zusammentraf. Doch gleich nach dem Händeschütteln hob der Bewerber an zu einem viertelstündigen Vortrag: Warum der Webshop der Firma komplett umgebaut werden müsse. Wie er das tun würde. Wann er damit anfangen und wann er damit fertig sein könne. Anschließend schaute er erwartungsfroh in die Runde, doch der IT-Direktor kniff den Mund zusammen, und der Personalberater, der das Treffen vermittelt hatte, lächelte peinlich berührt. Soeben hatte sich sein Kandidat virtuos ins Aus geschossen.
"Der Bewerber hat nicht verstanden, dass seine Äußerungen als Angriff aufgefasst werden mussten, gegen die man naturgemäß eine Abwehr aufbaut", erklärt André Soder, Personalberater aus Hamburg, dem diese Geschichte vor einiger Zeit passiert ist. "Das war ungeschickt. Die Firmenvertreter kennen die Schwachstellen ja selbst, da muss man sie nicht extra darauf hinweisen", sagt er. "Bis zu einem bestimmten Punkt ist die Darstellung des eigenen Denkens und Könnens gut. Aber wenn der Vorgesetzte oder Personalleiter den Eindruck gewinnt, der Bewerber wisse alles besser, ist es vorbei."
Jeder Personaler kennt Kandidaten, die sich in Vorstellungsgesprächen übertrieben in Szene setzen und ihr raumgreifendes Ego zur Schau stellen. "Solche Typen fordern geradezu zum Nachbohren heraus", sagt Torsten Schneider, Personaldirektor bei der Kölner Rechtsanwaltsgesellschaft Luther. Was sich hinter der Fassade verberge, könne man mit den richtigen Fragen herausfinden. Zum Beispiel: "Nennen Sie mir ein konkretes Beispiel für die gerade von Ihnen herausgestellte gute Eigenschaft oder Fähigkeit." Das wird nur gewertet, wenn es aus dem beruflichen Bereich stammt und wenigstens im Ansatz belegt werden kann.
Entlarvende Grenzgespräche
Die zweite Testfrage: Gab es Situationen, in denen er oder sie überfordert war? "Ein Dampfplauderer", sagt Schneider, "nennt entweder ganz banale Dinge oder ist mit der Frage überfordert. Jemand mit Substanz wird tatsächlich glaubhaft antworten. Gute Leute haben kein Problem, über ihre Grenzen zu sprechen."
Das ist ehrlich - aber fördert es tatsächlich den beruflichen Aufstieg? Neue Erkenntnisse der Persönlichkeitspsychologie sollten Personalchefs und Berater ins Grübeln bringen. Denn Michael Dufner, promovierter Psychologe an der Uni Leipzig, hat in einer Studie herausgefunden, dass die Überschätzung des eigenen Wissens und Könnens - ein verbreitetes menschliches Phänomen - gewinnbringender ist als die gemeinhin geforderte realistische Selbsteinschätzung. Das heißt: Wer sich für besser hält, als er tatsächlich ist, gilt bei seinen Mitmenschen als emotional stabil, sozial attraktiv und einflussreich. Das droht die beste Eignungsdiagnostik auszuhebeln.
"Selbstüberschätzung kann man von außen nicht gut erkennen", sagt Dufner. "Nicht einmal die besten Freunde merken, ob sich jemand innerlich für überlegen hält und dabei überschätzt." Im Gegenteil: Die Menschen im Umfeld folgten treu und brav der Selbsteinschätzung ihres Freundes oder Kollegen, unabhängig davon, ob sie passt oder ein paar Nummern zu groß ist. "Selbstüberschätzung ist hilfreich", sagt Dufner. Sogar dann, wenn andere wider Erwarten doch spürten, dass es sich um ein verzerrtes Selbstbild handelt. "Wer als starkes Ego wahrgenommen wird, ist zwar nicht beliebt", sagt der Wissenschaftler, man solle damit auch keinesfalls übertreiben. "Trotzdem kommt so jemand leichter auf Führungspositionen."
Personalberater sind in der Regel davon überzeugt, Blender erbarmungslos zu entlarven, ganz gleich aus welcher Altersklasse. "Die Jungen gehen selbstbewusst und naiver in Vorstellungsgespräche", sagt Jörg Breiski von der Managementberatung Mercuri Urval in München, "solches Verhalten nimmt man denen nicht übel. Bei den Älteren ist es Taktik, sie wollen ihre Vorstellungen durchsetzen. Das geht meist nach hinten los. Hokuspokus überzeugt nicht."
Michael Faller von der Unternehmensberatung Baumann in Frankfurt ordnet die übergroßen Egos mehrheitlich der Generation Y zu: "Mir gehört die Welt - diese Haltung ist ein echtes Problem." Er merke das schon beim ersten Telefonat, "etwa an der Gesprächsführung oder wie jemand seine Erwartungen formuliert". Trotzdem prüft Faller, ob der Bewerber in das Unternehmen und zum Vorgesetzten passt. "Dann stelle ich ihn vor - oder nicht."
"Viel heiße Luft"
Renate Schuh-Eder aus Baldham bei München macht mit Aufschneidern kürzeren Prozess. "Bei Positionen vom mittleren Management bis zur Geschäftsführung erleben wir dieses Gebahren regelmäßig: Das bin ich, das kann ich, das will ich - viel heiße Luft." Den Kunden stellt sie solche Kandidaten gar nicht vor. Allerdings weiß die Personalberaterin auch: "Ab einer bestimmten Führungsebene braucht es ein gewisses Ego. Sonst wird es schwer, sich in der männlichen Welt durchzusetzen."
Verständnis für die selbsternannten Supertalente zeigt hingegen Maik Lehmann vom Institut für Personal- und Unternehmensberatung in Köln: Bei Menschen, die seit ihrer Kindheit auf Leistung getrimmt worden seien, kreise alles um das eigene Ego: "Die dürsten nach Anerkennung, ganz gleich ob in Form von Status, Gehalt, Firmenwagen oder Lob." Mit seinem Rat rückt der Jurist nahe an das, was Sozialpsychologen wie Dufner herausgefunden haben. "Man sollte sich bewusst machen, dass man ein starkes Ego hat. Kluge Menschen gehen dann an die Wurzel und fragen sich: Warum bin ich so? Damit beginnen sie, sich selbst zu reflektieren. Diese Kandidaten sind mir und den Arbeitgebern am liebsten."