Pokerspielerin Sandra Naujoks:"Ich will mit Leistung überzeugen, nicht mit Dekolleté"

Frauen können genauso gut pokern wie Männer - das hat Sandra Naujoks schon oft bewiesen. Trotzdem würde sie sich vor jedem Turnier gerne einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Wieso hochgeschlossene Kleidung ein Muss ist, warum Männer es leichter haben und wie es zu ihrem Spitznamen "Black Mamba" kam.

Johanna Bruckner

Sandra Naujoks schreibt sich nach dem Abitur für Deutsch und Geschichte ein, auf Lehramt. So weit, so bürgerlich. Doch anstatt in den Staatsdienst zu gehen, wechselt die junge Frau aus Dessau den Studiengang (Kommunikation und Marketing) - und verschreibt sich wenig später dem Poker. Was sagt der Vater, als seine Tochter die sichere Beamtenlaufbahn verlässt und lieber Pokerspielerin wird? "Wenn du wirklich denkst, dass du Talent hast: Mach' das!" Und sie hat Talent: 2008 siegt Naujoks bei der Poker-EM, im Frühjahr darauf folgt ihr bisher größter und lukrativster Triumph - der Gewinn der European Poker Tour. Im Gespräch verrät die 30-Jährige, warum sie am Tisch ungern Dekolleté zeigt, wie sie auf dumme Sprüche von männlichen Kollegen reagiert und was ihre Stärke im Spiel ist.

Sandra Naujoks ist Europas beste Pokerspielerin

Kappe und Sonnenbrille? Braucht Sandra Naujoks nicht: "Zum Glück habe ich nicht so viele verräterische Angewohnheiten wie andere Spieler", sagt die 30-Jährige.

(Foto: dapd)

Süddeutsche.de: Frau Naujoks, wie sind Sie zum Poker gekommen? Sie sehen gar nicht wie jemand aus, der sich in Spielhöllen rumtreibt ...

Sandra Naujoks: Ich wurde sozusagen von Günther Jauch inspiriert. Ich habe aus Langeweile auf der RTL-Homepage die Fragen der letzten Wer wird Millionär?-Sendung durchgespielt. Seitlich gab es einen Button "Jetzt online Poker spielen", da habe ich draufgeklickt. Das ist jetzt sieben oder acht Jahre her.

Süddeutsche.de: Und haben Sie direkt um Geld gespielt?

Naujoks: Am Anfang war ich überhaupt nicht risikofreudig. Bevor ich auch nur einen Cent investiert habe, wollte ich erst mal trainieren. Mein heutiger Sponsor hat auf seiner Webseite eine Pokerschule, wo man um Spielgeld zocken kann. Als ich das Gefühl hatte, ich bin ganz fit und kann mich an einen echten Tisch wagen, bin ich in Berlin ins Kasino gegangen.

Süddeutsche.de: Vermutlich ein ziemlicher Kulturschock?

Naujoks: Klar, das ist etwas komplett anderes. Mir liegt das persönliche Spiel aber mehr als Online-Poker. Ich kann Gegner lesen und "Tells", wie wir sagen, also: verräterische Körpersprache, deuten. Als ich das erste Mal in Berlin an diesem Tisch saß, war ich endgültig infiziert und wusste: Das willst du machen! Von da an war ich jeden Abend im Kasino.

Süddeutsche.de: Lässt sich ein so intensives Nachtleben überhaupt noch mit einem normalen Beruf vereinbaren?

Naujoks: Ich habe damals als Grafikdesignerin gearbeitet. Die Entscheidung, mich ganz aufs Pokerspielen zu konzentrieren, fiel mit meinem Sponsorenvertrag. Ohne den wäre es schwierig geworden. Wir zahlen hohe Startgelder, zwischen 5000 und 10.000 Euro. Das kann der Normalbürger selten aus eigener Tasche bezahlen.

Süddeutsche.de: Wie haben Sie Ihren Eltern beigebracht, dass ihre Tochter den Lebensunterhalt jetzt mit Glücksspiel bestreitet?

Naujoks: Bis ich den Sponsorenvertrag in der Tasche hatte, habe ich geblufft. Ich hatte meinen Job schon vorher gekündigt, konnte vom Spielen Miete und Strom bezahlen. Um meine Eltern zu beschwichtigen, habe ich ihnen davon aber erst mal nichts erzählt, sondern behauptet, ich würde mich nach einer neuen Arbeitsstelle umsehen. Was überhaupt nicht stimmte. Als ich erste kleinere Erfolge verbuchen konnte, habe ich das Gespräch mit meinem Vater gesucht und ihm gesagt: "Hör zu, ich habe einen ganz großen Traum: Ich möchte Profi-Pokerspielerin werden." Zu meiner Überraschung meinte er nur: "Klingt gut, mach' das!"

Süddeutsche.de: Klingt, als läge die Risikobereitschaft in der Familie.

Naujoks: Mein Vater ist überhaupt keine Spielernatur! Aber ich glaube, er fand einfach spannend, was ich mache. Er hat mich dann auch mal ins Kasino begleitet. Ich habe ihm erklärt, dass Poker für mich kein Glücksspiel ist, sondern dass ich es als Strategiespiel verstehe. Und ich habe ihm versprochen, dass er eine Harley bekommt, wenn ich mal richtig groß gewinnen sollte.

Süddeutsche.de: Haben Sie Ihr Versprechen schon eingelöst?

Naujoks: Ja, nach dem Gewinn der Europameisterschaft.

"Die meisten Frauen sind lebende Werbetafeln"

Süddeutsche.de: Haben Sie als Frau Vorteile in der Männerdomäne Poker?

Naujoks: Es hilft natürlich, zum Beispiel wenn es darum geht, einen Sponsorenvertrag zu bekommen. Bei internationalen Turnieren gibt es nur drei bis vier Prozent Frauen. Davon ist der kleinere Teil erfolgreich. Die meisten Frauen sind lebende Werbetafeln, die mit Logo-Sticker auf der Brust und tiefem Dekolleté am Tisch sitzen - damit die Kameras was zum Zoomen haben. Eine Frau, die tatsächlich auch mal Turniere gewinnt, sticht doppelt heraus.

Süddeutsche.de: Achten Sie darauf, wie Sie sich am Tisch kleiden?

Naujoks: Auf jeden Fall! Ich will mit Leistung überzeugen, nicht mit Dekolleté. Ich ziehe aber meinen Hut vor den Mädels. In den Räumen ist die Klimaanlage meistens voll aufgedreht und die sitzen bei 17 Grad im Spaghettiträger-Top da. Ich gucke, dass ich mich warm anziehe: Hoodie, Schal - damit man nicht am nächsten Tag mit einer Erkältung aufwacht.

Süddeutsche.de: Und Kappe und Sonnenbrille gegen die prüfenden Blicke?

Naujoks: Ich spiele meistens ohne Hilfsmittel. Zum Glück habe ich nicht so viele verräterische Angewohnheiten wie andere Spieler. Es gibt mittlerweile viele Poker-Shows im Fernsehen: In den Aufnahmen sieht man ganz genau, welche Zuckung man sich beim nächsten Mal besser verkneifen sollte.

Süddeutsche: Mussten Sie sich von Ihren Mitspielern schon mal dumme Sprüche gefallen lassen?

Naujoks: Es gab mal einen jungen Kerl, der getönt hat, Frauen könnten nicht bluffen. Dem habe ich gesagt: "Ich möchte nicht wissen, wie oft dir deine Freundin schon einen Orgasmus vorgespielt hat." Dann war Ruhe. Aber dass jemand kein Benehmen hat, ist sehr selten. Man stellt sich immer vor, Pokerspieler seien düstere Gestalten mit Macho-Attitüde. Tatsächlich treffen sich am Tisch aber alle möglichen Menschen: vom Studenten über den Beamten bis zum Millionär.

Süddeutsche.de: Spielen Frauen anders als Männer?

Naujoks: Ich glaube, Frauen liegt Poker nicht so sehr. Man muss aus einem ganz bestimmten Holz geschnitzt sein, um in dieser Männerdomäne standhaft zu bleiben. Poker ist ein aggressives Eins-gegen-eins-Spiel: Man sitzt sich gegenüber und starrt sich in die Augen. Frauen scheuen diese Art der Konfrontation eher.

Süddeutsche: Haben Sie manchmal das Gefühl, gegenüber Ihren männlichen Kollegen benachteiligt zu werden?

Naujoks: Wenn ich könnte, würde ich mich vor jedem Turnier einer Geschlechtsumwandlung unterziehen. Es ist einfach schwerer, als Frau am Tisch zu sitzen. Die Männer spielen härter gegen mich als gegen männliche Kollegen, weil sie denken: Wenn ich nur genug Druck ausübe, wird sie schon nachgeben. Deshalb werde ich häufig vor harte Entscheidungen gestellt; muss zum Beispiel auch mit einem miesen Blatt bezahlen, in der Hoffnung, dass der Gegner noch schlechtere Karten hat. Wir nennen solche Ansagen "hero calls": Dafür braucht man Eier.

Süddeutsche.de: Ihr Spitzname "Black Mamba" müsste die männlichen Kollegen doch einschüchtern. Haben Sie sich den selbst gegeben?

Naujoks: Um Gottes willen, nein! Der Spitzname stammt noch aus der Zeit, als ich hobbymäßig gepokert habe. Damals waren meine Haare schwarz gefärbt, deshalb "black". Und tatsächlich hatte ich auch eine Schlange. Ich war auf Wohnungssuche, als mir ein Freund sein Appartement angeboten hat. Allerdings unter der Voraussetzung, dass ich auch seine Schlange übernehme. Ich war eine arme Studentin und froh, dass ich überhaupt eine schöne Wohnung in Uninähe gefunden hatte - also habe ich mich mit meiner Mitbewohnerin arrangiert.

Süddeutsche.de: Würden Sie sich mehr Frauen im Pokersport wünschen?

Naujoks: Bei uns gibt es keine Frauenquote, zum Glück. Ich bin auch kein Freund der Ladies Events, die parallel zu großen Turnieren stattfinden. Da sitzen vor allem die Freundinnen von Profi-Spielern am Tisch. Ich sehe das so: Entweder man hat das Zeug und die Fähigkeiten, sich gegen Männer wie Frauen zu behaupten. Oder man ist in dem jeweiligen Bereich falsch. Also, Ellenbogen raus und sich einen Platz erkämpfen!

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