Plan W:Schneller als die Formel 1

Plan W: Weiblichkeit und Windkanal passen für die Maschinenbauerin Katharina Kreitz bestens zusammen.

Weiblichkeit und Windkanal passen für die Maschinenbauerin Katharina Kreitz bestens zusammen.

(Foto: Sima Dehgani)

Katharina Kreitz schlug nach dem Studium Angebote der besten Firmen aus und machte sich selbstständig. Ihr Plan: Autos, Flugzeuge, U-Boote schneller zu machen.

Von Ulrike Schuster

Was, wenn sie gescheitert wäre? Die Frage hört Katharina Kreitz oft. Und beantwortet sie mit einer Gegenfrage: Was, wenn sie es nicht probiert hätte, obwohl die Idee funktioniert? Der inzwischen 30-Jährigen standen am Ende ihres Maschinenbaustudiums die Türen offen. BMW, Lufthansa, EADS, die NASA - alle machten ihr das gleiche Jobangebot: sicher bis zur Rente, starke Marke, respektables Einstiegsgehalt, ­dazu Arbeitszeiten, bei denen man nicht den Stresstod stirbt. Katharina Kreitz lehnte ab. "Im Konzern wirst du glatt gebürstet", sagt sie. Wer sich nicht an die Regeln halte, werde nichts im Unternehmen und selbst wenn, werde man nicht glücklich. Zumindest sie nicht.

Stattdessen wünschte sie sich mehr Verantwortung als für die dritte Schraube hinten rechts unterm Sitz. Sie wollte tüfteln, ausprobieren, umsetzen und mit Leuten zusammenarbeiten, die so motiviert sind wie sie selbst.

Trotzdem schlägt niemand so attraktive Jobangebote ohne gute Alternative aus. Ihre war: ein Traum. Sie wollte die kleinste Strömungssonde der Welt bauen. Dieses Gerät erfasst Anströmwinkel, Druck und Geschwindigkeit von Luft, Gas, Wasser oder Öl - also ganz egal, was da strömt, es wird bis ins Detail erfasst. Mit den Messdaten lassen sich Maschinen dann so entwickeln, dass sie weniger Energie verbrauchen und gleichzeitig mehr leisten. Der Windhund ist ja auch nur deshalb so schnell, weil er die perfekte Figur hat. Aber wie konstruiert man so etwas? Die Ausgangsfrage für Katharina Kreitz lautete: Wie passe ich das Auto, die Drohne, das U-Boot optimaler an Wind, Wasser und Widerstand an?

Bisher bediente nur eine einzige Firma den Weltmarkt mit Sonden aus Edelstahl. Doch die seien groß, schwer und aus einem Dutzend Einzelteile zusammengesteckt wie ein Uhrwerk, so Kreitz. "Störanfällig" und standardisiert, entweder ganz gerade, in L-Form oder geschwungen wie eine Kobra, und somit nicht für jede Anwendung tauglich. "Das geht effizienter durch Individualisierung", dachte sich Kreitz - "mit filigranem 3-D-Druck."

Für ihre Idee gab's Geld vom Wirtschaftsministerium, das "EXIST-Stipendium", 20 000 Euro für Hardware und Software, 5000 Euro für Coaching-Kurse plus 2000 Euro Gehalt pro Monat, ein Jahr lang. Im Oktober 2014 ging es los, Kreitz und Kollege Christian Haigermoser, Doktor der Aerodynamik, bezogen einen Keller in der TU München. Sie entwickelten den Prototyp, ein 14 Zentimeter kleines "S" aus Edelstahl und hielten es in den Windkanal. Danach gaben sie "S" ein Gehirn, will heißen: Sie fütterten ihre Software mit Messdaten zu Geschwindigkeit und Anströmwinkel.

"Ich träumte nicht davon, das nächste Google zu werden"

Die schlaue Sonde tauften sie "Vectoflow", im Januar 2015 setzten sie ihr Produkt auf eine Homepage. Das war's. Sie machten keine Werbung, posteten keine Like-mich-Notiz auf Facebook. "Wir steckten noch voll in der Entwicklung", ans Verkaufen dachten sie noch gar nicht. Umso mehr überraschte der erste Anruf im Februar. Am Apparat war ein Rennstall aus der Formel 1. Ihr Auftrag lautete: "Eine Sonde bitte, damit der Rennwagen schneller fährt und weniger Sprit verbraucht." Acht Wochen später lieferten Kreitz und Co. Der 3-D-Drucker presste das Titan, die Feinarbeit übernahm die Ingenieurin an der Fräse. Das Ergebnis war eine 15 Zentimeter lange Titansonde in L-Form. Sie sieht aus wie ein Würmchen und streckt sich direkt vor den Augen des Rennpiloten vom Autometall Richtung Himmel. Das ist der optimale Ort für den Sondenwurm, weil der Fahrtwind dort direkt auf das Auto trifft, also ohne Störung gemessen werden kann. Der Rennstall meldete "Super" und überwies 15 000 Euro auf Kreitz' Firmenkonto.

Heute baut man dort aufgrund der gesammelten Daten ein anderes Auto als früher (um welches es sich handelt, unterliegt der Geheimhaltung). Ab da war sich Kreitz sicher, die Sonde funktioniert und "nicht nur uns gefällt, was wir machen". Heute nutzt Siemens die Technik für Gasturbinen, Audi für ein Le-Mans-Auto, die Firma Soler & Palau für ein Ventilationssystem. Und jede Sonde sieht anders aus: Mal wie Zahnarztbesteck, mal wie ein Haarkamm, mal aus Keramik, mal aus Plastik. Form und Material sind schlicht abhängig vom Einsatzort.

Nach nur zwei Monaten war Kreitz auf das Geld des Stipendiums nicht mehr angewiesen, nach 14 Monaten zahlte sie sich zum ersten Mal selbst ein Gehalt, ein Jahr später verbuchte sie Gewinn. Kreitz und ihr Team bezogen neue Büros auf dem Gelände des ESA Inkubator Centers Bayern, einem Forschungszentrum für junge Firmen aus Luft- und Raumfahrt. Ein Ort, um zu wachsen. Der Investor AM Ventures ging an Bord, ein auf industriellen 3-D-Druck spezialisierter Risikokapitalgeber. Er finanzierte der Firma einen neuen Windkanal und das Weiterentwickeln der Sonde. Für 2017 rechnet Kreitz mit einem Umsatz von einer Million Euro.

Ein Start-up sind sie längst nicht mehr. Das wollte Kreitz aber auch nie sein. Sie stellte Vectoflow immer als "junge Firma" vor; nicht mehr und nicht weniger. "Ich träumte nicht davon, das nächste Google zu werden." Ihr Ziel war grundsolide, eine "schöne Maschinenbaufirma" gründen, die mit ihrem Produkt eine Lücke füllt. Alles bei Vectoflow wirkt daher so unspektakulär wie authentisch, und das Büro kommt ohne Hängematte und Tischkicker aus. Auffällig ist hingegen, dass Kreitz die einzige Frau unter mittlerweile zehn Kollegen ist. Nur eine weibliche Bewerberin gab es in den vergangen drei Jahren. Das war Maria, 30 Jahre alt, Maschinenbauerin der Luft- und Raumfahrt, "tolle Frau, brillante Ingenieurin, sie bekam ein super Angebot von uns." Geholfen hat es nichts. Maria entschied sich für einen anderen Job und die Liebe in Graz.

Allein unter Männern zu sein, ist Kreitz gewohnt. Im Maschinenbaustudium an der TU München war sie eine von 140 Frauen unter 1400 Männern, in den Konzernen die einzige Ingenieurin. Trug sie mal Pumps, hörte sie: "Wir sind in der Technik, nicht in der Designabteilung." Ihre Strategie war, "nicht jammern, ordentlich klotzen und nicht bei jedem Kleinmist nachfragen", denn anfangs müsse Frau immer doppelt so hart schuften. Habe man aber erst einmal den Respekt, sei die Bewährungsprobe bestanden, so Kreitz. Bewähren muss sie sich allerdings auch heute immer wieder von Neuem. Macht sie Termine für Vectoflow beim Kunden, heißt es schon mal: "Kommen Sie allein oder bringen Sie einen Experten mit?" Kreitz amüsiert das, gleichzeitig kann sie sich heftig genug darüber aufregen, um etwas daran ändern zu wollen.

Für den Sommer konnte sie für Vectoflow eine Praktikantin aus Turin gewinnen. Alice war die einzige Bewerberin unter zwölf Männern. Sie überzeugte nicht mit den besten Noten, aber sie hatte "richtig Lust, war keine graue Maus und brachte den Mund auf". Von den Jungs könne Alice lernen, wie man jede Arbeit als Spitzenarbeit verkauft - und von ihr selbst, wie man aus allem etwas Eigenes macht.

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