Plagiatsvorwurf:An der Promotion hängt mehr als ein guter Ruf

Doktortitel als Karrierebeschleuniger - auch für Leute, die nicht an der Uni bleiben: Der Exzellenzforscher Richard Münch über Sinn und Unsinn akademischer Laufbahnschriften.

Jens-Christian Rabe

Richard Münch war von 1976 bis 1995 Soziologieprofessor in Düsseldorf. Seit 1995 lehrt er an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Aufsehen erregte 2007 seine fundamentale Kritik der jüngsten Bildungsreformen in dem Buch "Die akademische Elite". Zuletzt erschien 2009 "Das Regime des liberalen Kapitalismus. Inklusion und Exklusion im neuen Wohlfahrtsstaat".

SZ: Das Zitat ohne Anführungszeichen ist ein Problem, das Ihnen als Universitätslehrer nicht unbekannt sein dürfte. In einem der bekanntesten Handbücher für Studenten widmet Umberto Eco der Sache sogar ein ganzes Kapitel. Es heißt darin sehr nüchtern: "Diese Form des Plagiats kommt in der Abschlussarbeit häufig vor."

Münch: Vor etwa zehn Jahren wurden Plagiatsfälle in kleineren Arbeiten von Studenten - also Hausarbeiten, und kürzeren Seminar-Essays - tatsächlich zum Problem. Da hatten sich die Möglichkeiten, die das Internet bietet, herumgesprochen. Meine Beobachtung ist allerdings, dass die Lage heute viel besser ist als noch vor fünf Jahren. Nicht zuletzt sind mit dem Netz ja auch die Kontrollmöglichkeiten besser geworden.

SZ: Wie wichtig ist bei einer Promotion deren Originalität wirklich?

Münch: Grundsätzlich wird gefordert, dass eine Arbeit den Stand der Forschung zu einem Thema in Zitaten und Fußnoten dokumentiert und dann noch etwas Neues hinzufügt. Ist das der Fall, ist es mindestens eine akzeptable Leistung. Von einer Arbeit, die wie die Guttenbergs die höchste Note erhalten hat, erwartet man entsprechend mehr.

SZ: Sind geistes- und sozialwissenschaftliche Promotionen heute viel zu umfangreich und deshalb auch besonders anfällig für Schummeleien?

Münch: Grundsätzlich ja. Es gibt natürlich fachspezifische Unterschiede. Historische Arbeiten werden immer etwas mehr Platz brauchen. In der Soziologie liegt der Durchschnitt derzeit bei etwa 300 Seiten. 200 Seiten wären völlig ausreichend.

SZ: Wie kommt es eigentlich zur Note?

Münch: Es gibt meist eine Promotionskommission aus drei Professoren. Zwei schreiben je ein Gutachten, der dritte ist bei der mündlichen Verteidigung der Arbeit dabei. Der Doktorvater ist Erstgutachter. Die beiden anderen verhindern, dass zu viel Wohlwollen im Spiel ist.

SZ: Und wann schöpfen Sie Verdacht?

Münch: Wir überprüfen nicht jede Arbeit. Aber insbesondere studentische Hausarbeiten, die sehr flüssig geschrieben sind, sind verdächtig. Studenten können meistens doch noch nicht allzu flüssig wissenschaftlich schreiben. Bei Dissertationen hatte ich bislang noch keine Probleme dieser Art. Ich halte Plagiate grundsätzlich auch für ein Problem externer Dissertationen, die übrigens gehäuft in der Rechtswissenschaft vorkommen.

SZ: Wie erklären Sie sich das?

Münch: Doktoranden, die voll im Beruf stehen und den Titel nur für ihre Karriere brauchen, haben meist nicht genug Zeit und Ansporn, um sich mit ihrem Thema wirklich zu beschäftigen. Außerdem stehen sie meist nicht in so engem Kontakt zu ihrem Doktorvater wie das bei internen Doktoranden wie wissenschaftlichen Mitarbeitern, Promotionsstudenten oder Stipendiaten der Fall ist. Da fühlt man sich weniger verpflichtet. Ein Doktorand, mit dem ich ständig im Gespräch bin, kommt nicht auf dumme Gedanken.

SZ: Müsste die Konsequenz daraus nicht sein, externe Dissertationen abzuschaffen?

Münch: Ich bin auf jeden Fall dafür, die externen Promotionen massiv zurückzufahren. Wir haben in Deutschland etwa dreimal so viele externe Promotionen wie in den USA. Das hängt auch damit zusammen, dass der Titel hierzulande so ein effektives Karrierevehikel ist.

SZ: Sehen Sie die Promotion in Zukunft einzig als Teil der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses?

Münch: Das ist der genuine Sinn der Sache. Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen einer Promotion und einem außerakademischen Beruf.

SZ: Sind die im Rahmen der Exzellenzinitiativen zuletzt entstandenen Graduiertenkollegs eine gute Entwicklung oder ein Irrweg?

Münch: Die neuen Strukturen sind auch ein Problem. Noch bis vor etwa 15 Jahren war tatsächlich die Einzelbetreuung üblich von meist nur zwei oder drei am Lehrstuhl angestellten und an einer Dissertation arbeitenden wissenschaftlichen Mitarbeitern und Assistenten. Heute gibt es die Graduiertenkollegs und zudem viel mehr Promotions-Stipendien von Stiftungen.

SZ: Es gibt in den Geistes- und Sozialwissenschaften für diesen Nachwuchs doch nicht annähernd genug Stellen.

Münch: An der Balance müssen wir arbeiten. Der Wettbewerb um die wenigen Lehrstühle ist sehr hart und verlangt viel Geduld.

SZ: Ist das zwangläufig zum Wohle der Universität. Bleiben die Besten übrig?

Münch: Es bleiben auch die übrig, die am längsten durchhalten. Die Frauen sind in der Professorenschaft deshalb leider auch unterrepräsentiert.

SZ: Warum wird der Zugang zur Promotion nicht rigoros beschränkt? Dissertationen etwa nur über Graduiertenkollegs abgewickelt?

Münch: Man sollte nicht vergessen, dass Promotionen für Professoren auch Statussymbole sind. Es gibt längst einen heftigen Kampf um die Individualpromotion. Wenn, wie in den USA, in Zukunft nur noch an Graduiertenschulen promoviert werden würde, stünden viele Professoren ohne Promotionen da. Die Statusunterschiede innerhalb der Professorenschaft wären plötzlich gewaltig. An der Promotion hängt viel mehr dran als der gute Ruf eines einzelnen Ministers.

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