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Plagiatsvorwürfe gegen Bildungsministerin Schavan:Das Problem mit den Quellen

Sie schäme sich nicht nur heimlich - diesen Satz sagte Annette Schavan im Zuge der Plagiatsaffäre um Guttenberg. Nun ist sie selbst in den Fokus von Plagiatsjägern geraten. Welche Substanz haben die Vorwürfe? Vergleichen Sie selbst in einer interaktiven Grafik.

Roland Preuß und Tanjev Schultz

Es wäre interessant zu hören, was der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) dazu sagt. Vor gut einem Jahr galt seine Kabinettskollegin Annette Schavan (CDU) als die Politikerin, die ihm in seiner Plagiatsaffäre in den Rücken fiel. Als jemand, der selbst promoviert und viele Doktoranden begleitet habe, "schäme ich mich nicht nur heimlich", sagte Schavan damals. Einen Tag später trat der Verteidigungsminister zurück. CSU-Chef Horst Seehofer warf Schavan unsolidarisches Verhalten vor.

Klicken Sie auf das Bild, um Stellen aus Schavans Doktorarbeit mit den Originalquellen zu vergleichen.

Und nun ist Schavan mit ihrer 32 Jahre alten Doktorarbeit plötzlich selbst in den Blick von Plagiatejägern geraten - ausgerechnet die als integer und intellektuell geltende Bundesbildungsministerin, Honorarprofessorin für Katholische Theologie an der FU Berlin.

Die anonym im Internet erhobenen Vorwürfe lösen aber längst nicht mehr so einen Wirbel aus wie bei Guttenberg. Das liegt nicht nur an einem Gewöhnungseffekt. Die Anschuldigungen sind von anderer Qualität. Guttenberg hatte seine Arbeit großflächig zusammenkopiert, etwa zwei Drittel seiner schließlich aberkannten Dissertation beruhten auf Plagiaten und unsauberen Zitaten. Schon bei der Einleitung hatte er sich seitenweise bei anderen Autoren bedient. Schavan werden dagegen bisher nur einige nicht ganz korrekt zitierte Sätze und Absätze vorgehalten.

Dennoch: Der anonyme Plagiatejäger listet Ungereimtheiten auf immerhin 56 von 325 Textseiten in Schavans Doktorarbeit auf. Und die Ministerin nahm die Vorwürfe doch so ernst, dass sie sofort die Universität Düsseldorf bat, ihre Dissertation zu überprüfen. Das wird nun dauern. Schavan beteuert derweil, nach "bestem Wissen und Gewissen" gearbeitet zu haben. Diese Wortwahl ist einerseits etwas unglücklich, weil auch Guttenberg ebendies sagte, als er mit seinen Plagiaten konfrontiert wurde. Andererseits sollte Schavan eine Expertin in Gewissensfragen sein. Der Titel ihrer Dissertation lautet: "Person und Gewissen".

Welche Substanz haben die Vorwürfe? Die SZ hat besonders kritisierte Stellen in der Doktorarbeit mit Hilfe mehrerer Originalquellen geprüft. Dabei zeigt sich: Die im Internet veröffentlichten Ungereimtheiten und die Ähnlichkeiten zwischen nicht oder nicht genau zitierten Quellen und den Passagen in der Dissertation gibt es tatsächlich. Die Frage ist nur, für wie schwerwiegend man sie hält. Dass die Vorwürfe teilweise haarspalterisch sind, zeigt ein Satz, in dem Schavan die Theorie des Psychologen Erik Erikson referiert (siehe Grafik).

Ihre Formulierung ist sehr ähnlich wie der Satz in einem von Schavan dort nicht genannten - aber im Literaturverzeichnis aufgeführten - Buch von Gerhard Klier. Ist so etwas wirklich ein Plagiat? Wer Eriksons Theorie zur Kindesentwicklung prägnant wiedergeben will, kommt kaum daran vorbei, Worte wie "ineinander übergehende Phasen" oder "ineinander übergehende Stadien" zu verwenden.

Schon vor Wochen haben Aktivisten von "Vroniplag", einem Online-Forum von Plagiatejägern, Schavans Doktorarbeit analysiert. Unter Pseudonymen wie "Hotznplotz" oder "Bummelchen" haben sie, noch ohne Schavans Namen zu veröffentlichen, genau jene Funde zusammengetragen, die nun auf der Internetseite Schavanplag stehen. Bei Vroniplag vertrat eine Mehrheit die Meinung, die Plagiate seien nicht zahlreich und gravierend genug, um sie weiter zu thematisieren.

Einige sahen das aber anders - und es gibt durchaus ein paar wirklich problematische Stellen in Schavans Dissertation. So übernimmt sie aus Ernst Stadters Buch "Psychoanalyse und Gewissen" viele Schnipsel wörtlich, ohne ihn in Fußnote oder Literaturverzeichnis zu nennen (siehe Grafik). In der Regel sind keine ganzen Sätze gleich. Nach der strengen Schule kann man dies als besonders raffinierten Täuschungsversuch werten, weil sie damit die Übernahme verschleiert. Man kann dies aber auch so sehen, dass Schavan nach eigenen Formulierungen für die ohnehin bekannten Thesen Sigmund Freuds suchte.

Im Vergleich zu den bisherigen Plagiatsfällen erinnert Schavans Fall am ehesten an den des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann (CDU). Auch er hatte weit weniger kopiert als Guttenberg. Es ging vor allem um Satzschnipsel und wörtliche Übernahmen, auf die Althusmann nur mit einem "vergleiche" in der Fußnote hinwies. Dadurch verschleierte er, wie viel er sich bei anderen Autoren tatsächlich bedient hatte. Seine Universität in Potsdam stellte "Mängel von erheblichem Gewicht" fest. Ein Plagiat sah sie jedoch nicht, Althusmann blieb Doktor. Das alles schadete seinem Ruf. Doch er ist noch heute Kultusminister in Hannover.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2012/hai
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