Süddeutsche Zeitung

Plagiate in der Wissenschaft:Scheinheilige Professoren

Neuer Kampf gegen Plagiate? Solange Professoren Texte ihrer Assistenten als ihre eigenen ausgeben, wirkt der Eifer gegen schummelnde Doktoranden scheinheilig. Man darf auch die Großen nicht laufen lassen.

Volker Rieble

Jenes Dissertationsplagiat ist nahezu abgearbeitet; aber was geschieht nun? Wie wollen Universitäten die erforderliche Qualitätssicherung für ihre teils verdorbenen Wissenschaftsprodukte bewirken? Hatte man anfangs das Gefühl, die deutsche Wissenschaft wolle es so wie immer halten - Augen zu und durch -, lassen sich nunmehr erste Reformvorschläge vernehmen. So hat sich der Deutsche Hochschulverband als Gewerkschaft der Hochschullehrer über seinen Präsidenten Bernhard Kempen zu Wort gemeldet.

Die Vorschläge zielen auf Doktoranden und deren Betreuer, so als wären Plagiate vor allem dort zu finden. Die einen meinen, die freie Dissertation sei abzuschaffen und die Doktoranden seien in strukturierte Doktorandenprogramme einzusperren. Andere fordern, dass jeder Doktorand eine eidesstattliche Versicherung, dass die Arbeit selbst geschrieben ist, abgeben müsse - was an vielen Hochschulen schon praktiziert wird.

Die falsche eidesstattliche Versicherung ist Straftat; doch wird das Verfolgungsrisiko durch die fünfjährige Verjährungsfrist begrenzt. Mitunter vergehen ab Einreichung der Dissertation mit Abgabe jener Versicherung bis zur Publikation schon zwei bis drei Jahre, sodass für die Aufdeckung des Plagiates und die verjährungsunterbrechende Aufnahme der Strafverfolgung wenig Zeit bleibt.

Das Netz vergisst nichts

Für Doktoranden womöglich gefährlicher wäre eine verpflichtende "Internetauslage" der Dissertation. Ob eine solche Zwangsveröffentlichung der Prüfungsversion einer Dissertation, die von der späteren Druckversion abweichen kann, mit den Autorenrechten vereinbar ist, ist erst noch zu fragen. Auch müssen die Universitäten das verwaltungsrechtliche Prüfungsgeheimnis achten, weswegen die Veröffentlichung der zwei Dissertationsgutachten ebenso zweifelhaft ist: Prüfungen finden zumeist fakultätsöffentlich und nicht weltöffentlich statt. Eine harte Kritik des Zweitgutachters könnte dem Kandidaten lebenslang schaden - weil das Netz nichts vergisst. Hier wird nur auf die Plagiate geschaut, aber womöglich redlichen und mäßigen Kandidaten geschadet.

Indes gilt hier wie sonst auch: Ein Zuviel an Prävention stellt zahllose redliche und ernsthafte Doktoranden unter Generalverdacht. Manchmal ist Repression der bessere Weg: Dementsprechend ist es sinnvoll, den Entzug des Doktorgrades wegen unwissenschaftlicher Leistung öffentlich zu machen und dabei den Namen des "Verfassers" und den Titel der Arbeit zu benennen.

Das ist kein Pranger und keine Ehrenstrafe, sondern wirkt nur dem Kollateralschaden entgegen, den die Veröffentlichung des Plagiates bewirkt: In all den Bibliotheken stehen Hunderte Plagiate als scheinbar wissenschaftliche Werke, sie werden rezipiert und verdrängen die Originale. Allerdings brauchen die Universitäten hierfür eine Ermächtigungsgrundlage - die in den Hochschulgesetzen erst zu schaffen wäre. In der Sache ist das nichts anderes als ein Produktrückruf wegen erheblicher Mängel.

Professoren beschwichtigen

So sehr es zu begrüßen ist, dass der eine Fall und im Tatsächlichen atypische, an eine Köpenickiade erinnernde Fall zu Guttenberg nun zu einer gewissen Diskussion über die Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Redlichkeit und Qualität führt, so deutlich sind Beschwichtigungsversuche zu erkennen, soweit es um den professoralen Plagiarismus geht. Der DHV-Präsident Kempen betont zu Recht, dass man die Großen nicht laufenlassen dürfe. Doch er sieht die Universität gut gerüstet: Bei "groben" Verstößen sei das Disziplinarrecht der meist beamteten Professoren einschlägig. Auch gebe es "glücklicherweise überall Ombudsleute und Kontrollkommissionen, die sich um Verstöße kümmern". Und weil es so viele Kümmerer gibt, passiert doch gerade: nichts. Persönlichkeitsschutz der Professoren sorgt für Anonymität.

Unter deren Schutz lassen sich zuerst eine ganze Reihe von Verstößen ignorieren; das Ausstellen von Persilscheinen ist eine hierzulande beherrschte Kulturtechnik. Erst wenn das Professorenplagiat an die Öffentlichkeit drängt und Kritik laut wird, dann reagiert die Wissenschaft. So war es bei einem namhaften Berliner Rechtswissenschaftler und einem seiner Kollegen aus Darmstadt: Sie erfuhren keine ernsthafte Sanktion, mehr als eine Rüge der Universität brauchten sie nicht zu fürchten. Und auch aus dem DHV wurden sie erst Jahre später herausgebeten.

Enttarnte Kopisten arbeiten weiter wie bisher

Enttarnte Kopisten arbeiten an deutschen Universitäten und es geschieht: nichts. Auch jene, die Dissertationsplagiate schrecklich finden, ertragen es willig, mit jenen zusammenzuarbeiten. Doch solange Abschriftsteller und solche, die Assistentenwerk für eigenes ausgeben, an den Unis beschützte Werkstätten genießen, wirkt der Eifer gegen Doktoranden doch etwas scheinheilig. Wer aus der Diskussion zu einer reformatio finden will, der darf beim Fegen die oberen Stufen nicht auslassen!

Der Autor lehrt Bürgerliches Recht an der Universität München und beschäftigt sich seit langem mit Plagiaten.

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SZ vom 31.03.2011/holz
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