Süddeutsche Zeitung

Plagiat:An den Abgründen der Wissenschaft

Über dem Festakt der Deutschen Forschungsgemeinschaft liegt ein Schatten: die Plagiatsaffären. Ausgerechnet der jüngst entdeckte Abkupferer, Niedersachsens Kultusminister Althusmann, soll ein Grußwort sprechen - doch den Termin lässt er lieber ausfallen.

Tanjev Schultz, Bonn

Eine Professorin aus Bremen führte die Festgemeinde hinab in die Tiefsee. Als die Kanzlerin in der Bonner Kunsthalle eintraf, fletschte ein auf die Videowand projizierter Anglerfisch seine Zähne. Die Meeresforscherin Antje Boetius präsentierte außerdem einen seltsamen Fisch, bei dem das Gehirn allmählich unsichtbar wird. Das amüsierte wohl auch Angela Merkel, die hinterher voll des Lobes war für den Vortrag. Ja, so schön kann Wissenschaft sein. Doch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die in Bonn ihr Jahrestreffen und überdies ihr 60-jähriges Bestehen feierte, blieb am Mittwochabend auch von den hässlichen Seiten nicht verschont.

Im Meer der Forschung schwimmt so manches, was dort nicht hingehört. Fast im Wochentakt werden neue Plagiatsvorwürfe erhoben; nach Guttenbergs Rücktritt traf es weitere Politiker. Ausgerechnet an dem Tag, als die DFG mit Klaviermusik und Festreden der Forschung huldigen wollte, platzte der nächste Fall in die Runde. Der niedersächsische Bildungsminister Bernd Althusmann (CDU) soll in seiner Doktorarbeit die Zitierregeln nicht korrekt beachtet haben.

Der mutmaßliche Plagitor sollte als Redner auftreten

Althusmann ist derzeit Präsident der Kultusminister-Runde aller Bundesländer, als solcher wollte er bei der DFG ein Grußwort sprechen. Daraus wurde nichts, Althusmann hat jetzt andere Sorgen. So verwandelte sich das Programmheft, in dem noch sein Name stand, in eine permanente Mahnung. Die Meeresforscherin entführte das Publikum in die Tiefsee. Oben schwammen die Plagiate.

Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, druckste nicht lange herum. Sie nannte die DFG eine "Wächterin ethischer Grundsätze" und sagte, der Ruf der Wissenschaft dürfe keinen Schaden nehmen. Fehlverhalten müsse Konsequenzen haben. Auf Althusmann ging Kraft aber nicht direkt ein. So hielten es auch die anderen. Niemand konnte und wollte hier schon ein Urteil darüber fällen, ob man dem Minister eine Täuschung nachsagen kann.

Die Kanzlerin will über "gute wissenschaftliche Praxis sprechen"

Angela Merkel bemerkte lediglich, man müsse gemeinsam "über die Standards guter wissenschaftlicher Praxis sprechen". Was und wie sie das konkret gemeint hat, blieb offen. In ihrer Ansprache vermied die Kanzlerin ansonsten jeden Bezug zu den Plagiatsfällen der jüngsten Zeit. Allein ihr Auftritt war aber bereits ein Statement. In der Gemeinde der Wissenschaft haben es ihr viele übelgenommen, dass sie Karl-Theodor zu Guttenberg anfangs verteidigt hatte. Merkels Satz, sie habe ja keinen wissenschaftlichen Assistenten ins Kabinett berufen, war nicht gut angekommen.

Nun bedankte sich Merkel artig, dass sie an diesem Abend bei der DFG sein durfte und sagte: "Wir können in der Politik eine Menge von der Wissenschaft lernen." Sie würdigte die DFG als ein "gelungenes Stück" dieses Landes, "auf das wir stolz sein können". Das war Balsam auf die wunden Seelen so mancher Professoren, auch wenn Merkel das Lob in der ihr eigenen Sprödigkeit vortrug.

Mit einem Etat von 2,3 Milliarden Euro ist die DFG eine der weltweit größten Förderer von Forschungsprojekten. Der Bund finanziert sie zu etwa zwei Dritteln, die Bundesländer zahlen ein Drittel. Mitglieder der DFG sind Universitäten, Institute, Akademien und wissenschaftliche Verbände. Die DFG versteht sich als eine Organisation der Selbstverwaltung in der Wissenschaft; Tausende Professoren beteiligen sich ehrenamtlich als Gutachter.

Von der DFG gibt es Richtlinien für "gute wissenschaftliche Praxis", eine Art Sittenkodex, der nun bei den Plagiatsfällen zum Einsatz kommt. In seiner Rede thematisierte DFG-Präsident Matthias Kleiner allgemeine ethische Fragen. Manchmal müsse die Wissenschaft das "Gewissen" der Gesellschaft sein. Angesprochen auf die Plagiate, sagte Kleiner der Süddeutschen Zeitung, nötig sei eine "Qualitätsoffensive" der Universitäten. Gemeinsam müssten diese, um ihr Promotionsrecht als Privileg zu verteidigen, die Standards für die Betreuung verbessern. Man dürfe Doktoranden nicht jahrelang allein lassen. Nötig seien womöglich auch Regeln für Professoren im Ruhestand. Diese können noch Dissertationen betreuen, sind aber oft kaum noch eingebunden in den universitären Alltag.

An den Hochschulen befürchten manche Professoren mittlerweile eine Vertrauenskrise der Wissenschaft. Werner Müller-Esterl, der Präsident der Universität Frankfurt, räumte ein, viele Fakultäten hätten Qualitätskontrollen bei Promotionen zu lange vernachlässigt. Durch die Plagiate sei ein Schaden entstanden, aus dem die Universitäten jetzt Lehren ziehen müssten.

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SZ vom 08.07.2011/bbr
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