Pisa-Test:Die deutschen Lesemuffel

Eine Studie ergänzt eindrucksvoll die Pisa-Untersuchungen: Eltern legen in der Erziehung zu wenig Wert auf Bücher.

Birgit Taffertshofer und Tanjev Schultz

Die Pisa-Studie zeigt, dass viele Jugendliche in Deutschland nur sehr schlecht lesen können. Im Verstehen komplexer Texte "besteht nach wie vor der größte Entwicklungsbedarf, auch an den Gymnasien", heißt es im neuen Pisa-Bericht, der an diesem Dienstag erscheint.

Pisa-Test: Vorbild Bundespräsident: Was Horst Köhler hier macht, machen deutsche Väter offenbar viel zu selten. Nur acht Prozent der Kinder gab in einer Studie an, auch ihr Vater lese ihnen vor.

Vorbild Bundespräsident: Was Horst Köhler hier macht, machen deutsche Väter offenbar viel zu selten. Nur acht Prozent der Kinder gab in einer Studie an, auch ihr Vater lese ihnen vor.

(Foto: Foto: ddp)

Jeder fünfte 15-Jährige zählt zu den Risikokandidaten. Diese können zwar die Sätze lesen, das Gelesene aber kaum verstehen, weil sie am Ende des Satzes den Anfang schon wieder vergessen haben und die Bezüge nicht zu ordnen wissen. In Finnland hat nur jeder Zwanzigste solche Probleme.

Eine aktuelle Studie gibt Hinweise darauf, woher die Leseschwäche der Schüler in Deutschland herrührt: Mehr als ein Drittel aller Kinder bekommen offenbar nie vorgelesen, weder im Elternhaus, noch im Kindergarten oder in der Schule.

Die repräsentative Studie "Vorlesen im Kinderalltag 2008" lässt erstmals Kinder zu dem Thema zu Wort kommen. Die Forscher befragten 875 Vier- bis Elfjährige. 37 Prozent gaben an, niemals vorgelesen zu bekommen. Das Vorlesen ist aber nicht nur für die Sprachentwicklung wichtig, es stimuliert auch die Konzentration und die Neugier. Wer am Kinderbett keine Fragen beantwortet bekommt, hört irgendwann auf, Fragen zu stellen.

Mit dem Finger unter der Zeile

Nach den Ergebnissen der neuen Studie sind vor allem Väter die Vorlese-Muffel. Nur acht Prozent der Kinder sagten, auch ihr Vater lese ihnen vor. Mütter greifen fast acht Mal so häufig zu einem Kinderbuch. Ob sie berufstätig sind oder nicht, macht dabei einen geringen Unterschied aus. "Das ist eine der Kernbotschaften der Studie: Vorlese-Väter gesucht", sagt Heinrich Kreibich, Geschäftsführer der "Stiftung Lesen".

Für die ohnehin schwer zu erreichenden Jungen seien die Väter wichtige Vorbilder. Die Jungen gehören zu den Sorgenkindern des deutschen Bildungssystems. Bei den Pisa-Tests schneiden sie beim Lesen deutlich schlechter ab als die Mädchen. Der neuen Pisa-Studie zufolge ist der Rückstand der Jungen im Saarland und in Berlin am geringsten, besonders groß ist er in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und in Brandenburg.

Die meisten Eltern halten sich für fleißige Vorleser, sind es aus Sicht der Kinder jedoch gar nicht. Bei einer vorausgegangenen Befragung im Jahr 2007 gaben jedenfalls nur 18 Prozent der Eltern zu, niemals vorzulesen. Dem stehen jetzt aber 37 Prozent der Kinder gegenüber, die darüber klagen, vergebens auf Vorlesestunden zu warten.

Die Studie kann dabei die Annahme nicht bestätigen, dass Einkommen und Bildungsgrad der Eltern beim Vorlese-Verhalten eine bedeutende Rolle spielen. In der Pisa-Studie dagegen gibt es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Lage der Familien und den Leseleistungen der getesteten Jugendlichen.

Die Autoren der Lese-Studie fordern, Vorlesen als Abendritual, auf Reisen und durch Paten zu pflegen. Bei einem bundesweiten Vorlesetag an diesem Donnerstag, der von der Stiftung Lesen und der Wochenzeitung Die Zeit veranstaltet wird, wollen Prominente Kindern vorlesen, unter ihnen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Moderator Johannes B. Kerner. Um die lesefaulen Mütter und Väter zu ermuntern, werden seit Juni auch eine halbe Million Lesestart-Sets für einjährige Kinder verteilt. Jedes Set enthält unter anderem ein Bilderbuch und einen Ratgeber für die Eltern.

Verlässliche schulische Angebote, die die Leseleistungen von Kindern fördern, fehlen aber in den Bundesländern. Beispiele wie aus kanadischen Schulen, wo Kinder, die schlecht lesen, über Monate Einzelunterricht erhalten, sucht man in Deutschland noch vergebens. Und wenn Bildungspolitiker mehr Sprachförderung für Migranten in den Kindertagesstätten versprechen, gerät die Hilfe für die älteren Schüler dabei oft aus dem Blick.

Die Folgen sind bedrückend: In vielen Regionen haben 50 bis 70 Prozent der Hauptschüler große Probleme beim Verstehen von Texten. Aber auch an Gesamt- und Realschulen, teilweise sogar an Gymnasien gibt es Schüler, die zur "Risikogruppe" gehören und allenfalls auf Grundschul-Niveau mit Texten umgehen können. In Hamburg und Bremen betrifft das über alle Schulformen hinweg jeweils mehr als 27 Prozent der 15-Jährigen, in Schleswig-Holstein und Berlin fast jeden Vierten.

Am besten schneiden die Pisa-Sieger Sachsen und Bayern ab: Dort gehören "nur" 11,9 beziehungsweise 15,6 Prozent zur Gruppe der extrem leseschwachen Jugendlichen. Verglichen mit Finnland oder Korea sind dies aber weiterhin hohe Werte. Und wer am Ende der Schulzeit immer noch mit dem Finger unter der Zeile liest, wird es nicht nur beim Berufseinstieg schwer haben

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