Pisa-Koordinator Prenzel:"Die Stundenkürzungen sind eine Chance"

Eltern klagen über zu viel Stoff und Stunden, Lehrer warnen dagegen vor Qualitätsverlust. Der Koordinator der Pisa-Studie, Manfred Prenzel, erklärt, wie der Unterricht am Gymnasium verbessert werden könnte.

Christine Burtscheidt

Die Elternvereinigung hat sich mit ihren Klagen über zu viel Stoff und Stunden am achtjährigen Gymnasium durchgesetzt. Kultusminister Siegfried Schneider will Intensivierungsstunden zur individuellen Förderung sowie den Unterricht in Fremdsprachen kürzen. Doch nun warnt der Philologenverband vor Qualitätsverlusten. Wer also hat recht? Die SZ befragte den Chef des Kieler Leibniz-Instituts für Pädagogik und deutschen Pisa-Koordinator, Manfred Prenzel.

Prenzel, dpa

Manfred Prenzel: "Entscheidend ist, was bei den Schülern übrigbleibt, und das ist bisher zum Teil sehr ernüchternd."

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Ist es denn möglich, nochmals ein Neuntel des Stoffes zu reduzieren?

Manfred Prenzel: Davon bin ich überzeugt. Bei Pisa haben wir gesehen, dass etwa die Hälfte der Schüler in Mathematik im Verlauf eines Schuljahres keine messbaren Fortschritte macht. Bei TIMSS waren keine Kompetenzzuwächse in der Mathematik von der 12. bis zur 13. Jahrgangsstufe nachweisbar. Wenn viel Stoff gelehrt wird, heißt das nicht, dass auch viel gelernt wird. Zurzeit beginnen wir in Deutschland erst damit, unseren Unterricht stärker auf ein nachhaltiges Lernen auszurichten.

SZ: Ist also die Forderung der Eltern nach Kürzungen berechtigt?

Prenzel: Ja, es gibt noch viele Möglichkeiten, Unterrichtsstoff zu konzentrieren, ohne an Qualität zu verlieren. Auch bei den Kernfächern.

SZ: Bayern will auch an den Stunden kürzen. Schüler sollen in den acht Jahren nur mehr 260 statt 266 Wochenstunden unterrichtet werden. Könnte das zu einem Qualitätsproblem für das bayerische Gymnasium werden?

Prenzel: Wir reden hier über sechs Stunden! Es gibt in Deutschland nach wie vor viele Unterrichtsstunden, in denen viel Leerlauf stattfindet. Nutzen wir also die Stunden wirklich für intensives Lernen? Wir haben immer wieder erlebt, dass Übungsphasen aus dem Unterricht herausfallen, Hausaufgaben nicht vorbesprochen werden und das Üben so dem Elternhaus aufgebürdet wird.

SZ: Der Philologenverband argumentiert genau umgekehrt: Kürzt man Unterrichtsstunden, muss am Nachmittag mehr nachgearbeitet werden.

Prenzel: Ich sehe Kürzungen eher als Chance, sich zu fragen, was wirklich wichtig ist, um sich darauf zu konzentrieren. Entscheidend ist letztlich, was bei den Schülern übrigbleibt, und das ist bisher zum Teil sehr ernüchternd.

SZ: Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen viel Unterrichtsstunden und hoher Qualität?

Prenzel: Finnland ist ein schönes Beispiel: Dort erhalten die Schüler weniger Unterricht in Mathematik und in den Naturwissenschaften als bei uns, und dennoch ist das Land bei Pisa so erfolgreich. Der entscheidende Punkt ist: Wie nutzt man die Zeit für das Lernen. Und nicht, wie viele Unterrichtsstunden bringt man in einer Woche unter.

SZ: Die Philologen sagen, mit je drei Stunden etwa in Deutsch oder Mathematik von der Mittelstufe an sei Bayern bundesweit bereits Schlusslicht.

Prenzel: Nein, mit drei Stunden stehen die Bayern in der Mathematik noch gut da. Da sehe ich kein Problem. Die Lehrer in Bayern werden es sicher schaffen, diese neue Herausforderung zu meistern und den Unterricht noch weiter zu verbessern. Entscheidend ist aber, wie man die Unterrichtszeit über den Tag verteilt, damit die Schüler sich auch einmal erholen können und Gelegenheiten finden, das Gelernte selbst weiter zu vertiefen.

SZ: Besteht die Gefahr, dass die Intensivierungsstunden zur individuellen Förderung als künftig überwiegend freiwilliges Angebot an Bedeutung verlieren?

Prenzel: Wenn diese gut gemacht sind, wird es auch attraktiv sein, dorthin zu gehen. Das ist doch der Punkt.

SZ: Also liegt Kultusminister Schneider mit seinem jetzt ausgehandelten Konzept richtig?

Prenzel: Ich denke, dass dies ein viel versprechender Weg ist. Es wäre gut, die Veränderungen als Chance zu nutzen.

SZ: Wird also Bayern auch noch 2009 unter den nationalen Pisa-Siegern sein?

Prenzel: Man weiß nie, was passiert, aber die aktuellen Veränderungen in Bayern verschlechtern die Lage nicht. Das gilt genauso für die G8-Länder Sachsen und Thüringen.

SZ: In den ostdeutschen Ländern haben die Schüler aber 268 Jahreswochenstunden, während es in Bayern nur mehr 260 sein werden.

Prenzel: Glauben Sie ernsthaft, dass man mit acht Stunden mehr Qualität erreichen kann? Ich glaube das nicht.

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