Süddeutsche Zeitung

Phorms-Privatschule München:Lernen im vierten Gang

Französischunterricht auf Englisch und ein "Schüler der Woche": Armin Eifertinger war der Staatsdienst zu behäbig, jetzt erprobt er an einer Privatschule neue Pädagogikansätze.

Tina Baier

Armin Eifertinger ist es gewohnt, auf höfliche Art für Disziplin zu sorgen. Privat als Vater von drei Kindern - und beruflich als Leiter der Phorms-Schule im Münchner Stadtviertel Bogenhausen, wo er die Verantwortung für knapp 500 Schüler hat. So schnell kann ihn nichts aus der Ruhe bringen - außer, wenn es zu ruhig wird.

Das war wohl auch der Grund, warum er vor acht Jahren ein bequemes Leben als verbeamteter Lehrer für Wirtschaft und Sport am Gymnasium in Erding aufgab und mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und seinem Sohn nach Brüssel zog, um dort eine deutsche Fachoberschule aufzubauen. "Es war die erste Fachoberschule im Ausland, die von der Kultusministerkonferenz anerkannt wurde", sagt er stolz. Und: "Im Ausland fährt man im Schulwesen im vierten Gang, hier im ersten."

Als er zurückkam, ist es ihm schwergefallen, zurückzuschalten. Weil er wieder in den Staatsdienst wollte, bewarb sich Eifertinger im Kultusministerium als stellvertretender Schulleiter. Spätestens beim Vorstellungsgespräch wurde ihm klar, dass in Bayern eigene Regeln gelten. "Die erste Frage war: ,Wie alt sind Sie eigentlich?'", erinnert sich Eifertinger und wirkt dabei noch heute empört. "Die hat gar nicht interessiert, was ich kann." Eifertinger hat den Posten nicht bekommen, weil er zu jung war. "Sie wollten lieber einen honorigen Schulleiter über 50 mit Bauchansatz", sagt er. "Jemanden, der seine Aufgabe vor allem in der Erfüllung der Gesetze sieht."

Eifertinger ist das Gegenteil eines Beamtentypus. Er muss eher Lücken im Gesetz suchen und Spielräume ausloten, um das Beste für die Kinder seiner Schule herauszuholen. Für ihn zählt vor allem, was jemand kann - woher jemand kommt, ist unwichtig. Ganz bewusst nimmt er nicht nur Schüler aus reichen Elternhäusern auf. Das Schulgeld wird gestaffelt nach dem Einkommen berechnet. Offenheit gegenüber anderen Kulturen gehört zum Konzept der Phorms-Schule. Unterrichtet wird auf Deutsch und auf Englisch. "Phorms ist die pädagogische Antwort auf die Globalisierung der Welt", sagt Eifertinger.

Das führt fast zwangsläufig immer wieder zu Kollisionen mit der Mir-san-mir-Mentalität im bayerischen Kultusministerium. Etwa wenn es darum geht, englischsprachige Lehrer anzustellen. Erst vor kurzem glaubte Eifertinger, endlich einen Mathematiklehrer gefunden zu haben. "Der Mann hat 30 Jahre in Kanada unterrichtet", sagt Eifertinger. Das Kultusministerium traute ihm trotzdem nicht zu, bayerischen Schülern das Rechnen beizubringen. Der Mann konnte kein zweites Staatsexamen vorweisen. "Ja, wo soll ich denn einen Mathematik-Lehrer hernehmen?", wettert Eifertinger auf Münchnerisch. "Soll ich mir einen schnitzen?" Und man traut ihm zu, dass er sich schon irgendwie einigen wird mit den Zuständigen im Kultusministerium. So wie bei der Biologielehrerin, die an der amerikanischen Elite-Universität Harvard studiert hat, und die das Ministerium zunächst auch nicht akzeptieren wollte. "Ich habe den Vorteil, dass ich weiß, wie sie dort ticken", sagt Eifertinger.

An der Phorms-Schule werden die Kinder von halb acht Uhr morgens bis sieben Uhr abends betreut. Der Unterricht beginnt um viertel vor neun und endet um halb vier. Danach gibt es bis 19 Uhr Angebote im Hort. 90 Kinder gehen in den zweisprachigen Kindergarten, wo sie schon im Vorschulalter lesen lernen. 260 besuchen die Grundschule und 150 das Gymnasium, das sich noch im Aufbau befindet.

Auffällig ist eine ungewohnte Mischung aus Disziplin und Offenheit. Eine Lehrerin entschuldigt sich sofort, als es beim Wechsel von einem Klassenzimmer ins andere etwas lauter zugeht. "Das ist natürlich noch nicht akzeptabel", sagt sie und dirigiert ihre Schüler in eine ordentliche britische Reihe. Ein Erstklassler, der den Gang entlang rennt, wird von Eifertinger persönlich erinnert, dass Laufen im Schulgebäude verboten ist. Ein Schüler, der beim Mittagessen ein Käppi trägt, wird ebenso ermahnt.

Und Hosen, bei denen der Schritt bis in die Kniekehle hängt, sind Eifertinger grundsätzlich ein Dorn im Auge. Vorschrift ist, mindestens ein Kleidungsstück der Schuluniform zu tragen. Die ist allerdings so lässig, dass auf den ersten Blick gar nicht auffällt, dass die meisten Schüler sich an diese Regel halten. Manchen Eltern sind die von Berliner Designern entworfenen Kleidungsstücke, die an einen Trainingsanzug erinnern, sogar zu leger. Vor allem für die Gymnasiasten soll es demnächst etwas Ordentlicheres geben.

Obwohl an der Phorms-Schule streng darauf geachtet wird, dass die Regeln eingehalten werden, ist die Atmosphäre offen. Weder Lehrer noch Schüler erschrecken, wenn Eifertinger unangemeldet in den Unterricht platzt. Wenn er etwas fragt, reißen sich die Kinder fast darum, es zu erklären. Man merkt: Die Schüler wissen, dass sie ernst genommen werden und dass man ihnen zuhört, wenn sie etwas sagen.

Für Eltern, denen schon der Leistungsdruck an den staatlichen Grundschulen zu viel ist, wäre die Phorms-Schule allerdings keine Alternative. Schon in der ersten Klasse wird ein "Schüler der Woche gekürt" und die Kinder bekommen jeden Tag Sternchen für gute Leistungen in ihren persönlichen Kalender geklebt. Der Unterricht ist anspruchsvoll. Französischunterricht auf Englisch etwa kann für Schüler aus rein deutschsprachigem Elternhaus schon zur Herausforderung werden. "Um weiterzukommen, muss man manchmal die Komfortzone verlassen", sagt Eifertinger. Und manchmal sogar kleine Risiken eingehen. Als Sportlehrer in Erding war er oft in der Situation abzuwägen, was ein Schüler noch schaffen kann, ohne dass es gefährlich wurde. Jetzt will er, dass seine Schüler auch in Lernfächern ihre eigenen Grenzen überwinden.

Von den Schülern wird viel gefordert, dafür bekommen sie aber auch viel geboten: Kleine Klassen mit jeweils einem Lehrer und einem Assistenten - einer von beiden spricht Englisch, der andere Deutsch. Jeder Schüler lernt nach einem individuellen Plan. Auch die Ausstattung ist wesentlich besser als an den öffentlichen Schulen. Jeder Lehrer hat einen eigenen Computer, der mit einem so genannten Smart Board verbunden ist, das statt einer Tafel im Klassenzimmer steht. Die Technik ermöglicht es beispielsweise, aktuelle Videos aus dem Internet zu zeigen, etwa von der amerikanischen Raumfahrtagentur Nasa. Gleichzeitig lässt sich das Smart Board wie eine normale Tafel zum Schreiben benutzen. Das Mittagessen wird seit neuestem von Holger Stromberg zubereitet, der auch die deutsche Fußballnationalmannschaft bekocht, und in den Pausen werden große Körbe mit Obst und Gebäck aufgestellt, aus denen sich jeder bedienen darf. Viele Eltern scheint das Konzept zu überzeugen. Derzeit stehen 2700 Namen auf der Warteliste.

Eifertinger schickt seine Kinder auf ganz normale öffentliche Gymnasien. Die Große, Laura, ist in der Oberstufe des achtjährigen Gymnasiums ganz schön beansprucht, sagt er. Sofie ist sehr begabt und "läuft einfach durch" und der zwölfjährige Jonas ist "betreuungsintensiv". Das klingt sympathisch normal.

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SZ vom 08.10.2010/holz
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