Pharmaindustrie:Haben Sie es mal mit Tabletten versucht?

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Die Pharmaindustrie findet nicht genügend Ingenieure mit biotechnologischen Kenntnissen. Auch fachfremde Kandidaten haben jetzt gute Chancen.

Von Christine Demmer

In manchen Pharmafirmen durchlaufen junge Ingenieurinnen ein zweijähriges Traineeprogramm, um dann in der Arzneimittelproduktion zu arbeiten. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Mit Audi und Porsche stehen im Lebenslauf von Christopher Benkert zwei feine Adressen aus der Automobilindustrie. Doch nun sagt der junge Wirtschaftsingenieur mit Masterabschluss in Industrial Engineering im vollen Karrierelauf "Halt", um zu einem mittelständischen Pharmabetrieb in der Oberpfalz zu gehen. Er habe, erklärt Benkert, nicht nur an einem winzigen Rädchen werkeln, sondern beim großen Ganzen mitmachen wollen. Als Produktionsingenieur beim Arzneimittelhersteller Bionorica in Neumarkt betreut der 28-Jährige nun eine von fünf riesigen Maschinen, mit denen die zuvor produzierten Tabletten, Tropfen und Tinkturen verpackt werden.

Das ist nicht trivial. Denn die Maschine muss immer dann umgerüstet werden, wenn sich die Größe, Farbe oder Form der Tabletten ändert, wenn neue Produkte hinzukommen oder wenn sich die Anforderungen der Kunden an die Umverpackung ändern. "Jedes Abnehmerland hat andere Vorstellungen, wie Arzneimittelverpackungen auszusehen haben", sagt der Ingenieur. Dafür musste er zumindest in groben Zügen lernen, wie Arzneimittel entwickelt und hergestellt werden und warum dabei peinlich genau auf nationale und internationale Vorschriften, die sogenannte Good Manufacturers Practice (GMP), zu achten ist. Nun überblicke er die gesamte Herstellung, sagt Benkert zufrieden, und arbeite überdies mit Produkten, die aus der Natur stammen und den Menschen helfen. Dem Ingenieur gefällt das. Und auch das: "Wir sind schon recht gesucht."

Mit "wir" meint Benkert Ingenieure, die sich in der pharmazeutischen und biotechnologischen Produktion um die Technik außerhalb der Labore kümmern. Schmerzhaft spürbar für die Industrie wurde der Mangel an Ingenieuren mit Pharmakenntnissen zu Beginn der Neunzigerjahre, erklärt Professor Bertram Wolf, der den Masterstudiengang Pharmatechnik an der Hochschule Anhalt leitet. Seither kann man das Fach an der Schnittstelle von Ingenieurwissenschaft und Pharmazie an fast einem Dutzend Hochschulen studieren. "Die Berufsaussichten sind sehr gut", sagt Wolf und belegt das mit einem seiner Absolventen, der binnen einer Woche vier Einladungen zum Vorstellungsgespräch bekommen habe. Auf vier Bewerbungen.

Unterrichtsfächer wie Biopharmazeutika und Pharmakokinetik mögen dem klassischen Maschinenbauer, Verfahrenstechniker und Chemieingenieur wie böhmische Dörfer verkommen. Gewiss, man kann sich einarbeiten. Den kleineren Herstellern aber sind Pharmaingenieure lieber. "Wir könnten aus dem Stand zehn Ingenieure für die Wirkstoffproduktion einstellen", sagt Ingo Henes, Personalleiter bei Rentschler Biotechnologie in Laupheim. Aber er verlangt Berufs- und Branchenerfahrung. "Wenn ich zum Beispiel von GMP spreche, müssen die Kandidaten wissen, was das in der täglichen Anwendung bedeutet. Fürs Umschulen fehlt uns hier die Kapazität."

Bei Rentschler arbeiten 700 Menschen. Die Personaldecke ist zu dünn, um fachfremde Ingenieure durch ein Traineeprogramm zu schicken. Auch der Standort zwischen Ulm und Biberach mit Branchengrößen wie Boehringer und Ratiopharm um die Ecke macht das Recruiting schwierig. "Wir machen Hochschulmarketing, wir betreiben Mundpropaganda, und wir bekommen ja auch viele Bewerbungen von Berufseinsteigern", sagt Henes. "Was uns fehlt, sind Ingenieure, die die Besonderheiten unseres Geschäfts verstehen."

In der Not entwickelt Rentschler Ingenieure anderer Fachgebiete und Pharmatechniker für den eigenen Bedarf weiter. "Doch auch Pharmatechniker fehlen", klagt Henes. Hat er es schon mal mit saftigen Gehaltsaufschlägen probiert? Der Personalchef winkt ab: "Die Konkurrenz zieht mit." Henes hält den Beruf des Ingenieurs in der Pharma- und Biotech-Produktion für weit unterschätzt. "Wir sind eine zukunftsträchtige Industrie mit sehr guten Entwicklungschancen und sicheren Arbeitsplätzen." Und an die junge, die sinnsuchende Generation Y gerichtet: "Ist es nicht großartig, mit der Herstellung von Wirkstoffen zur Heilung von schweren Krankheiten aktiv beizutragen?"

Birgit Huber leitet das Recruiting bei Sanofi in Deutschland, Österreich und der Schweiz und stellt jedes Jahr etwa 50 Ingenieure ein. Sie zählt die Tätigkeitsbereiche auf: "Für die Medizintechnik, für die Wirkstoffproduktion und für die Fertigung der Arzneimittel." Klassische Produktionsingenieure, wie etwa Chemieingenieure oder Maschinenbauer, bekomme man relativ gut, sagt Huber. Statt auf die raren Pharmaingenieure zu warten, stellt Sanofi sowohl Bachelor- als auch Diplom- und Masterabsolventen aller ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge ein.

Das für die Tätigkeit an den Produktionsanlagen notwendige pharmazeutische Spezialwissen bringt der Konzern Ingenieuren wie Franziska Wilk in einem zweijährigen Traineeprogramm selber bei. Anderthalb Jahre lang bearbeitete die Bioingenieurin interne Investitionsprojekte, anschließend ging es in die Produktion.

Wilk ist froh, dass sie schon im Studium die Besonderheiten der Pharmaindustrie kennengelernt hat. "Ohne biotechnologische Kenntnisse wäre es schwieriger geworden", sagt sie. "So wusste ich beispielsweise schon, dass Mikroorganismen eine besondere Behandlung brauchen und welche Vorschriften man bei der Arzneimittelherstellung beachten muss." Als Assistentin des Standortleiters steht die 34-Jährige in den Startlöchern zum Management. Am besten an ihrem Beruf gefällt ihr die Abwechslung: "Selbst nach fünf Jahren kommt immer noch mal etwas Neues."

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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