Personalentwicklung:Lernen von den Jungen

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Austausch über Hierarchiestufen hinweg: Reverse Mentoring stellt das übliche Coaching auf den Kopf. (Foto: Daimler AG)

Das "Reverse Mentoring" stellt herkömmliche Coaching-Programme auf den Kopf: Junge Mitarbeiter beraten dabei ihre älteren Kollegen. Genutzt wird es vor allem von internationalen Unternehmen, die neue Trends aufspüren und den Nachwuchs an sich binden wollen.

Von Martin Scheele

Als Alexandra Heitmann den Anruf bekam, hielt sie es erst für einen Scherz. Die Rechtsanwältin, 33 Jahre alt und Associate in der internationalen Wirtschaftskanzlei Ashurst, sollte plötzlich Bernd Egbers, 43, Partner und Aufsichtsratsmitglied im Board der Kanzlei coachen.

Der Anruf liegt nun einige Wochen zurück, und inzwischen tauschen sich Heitmann und Egbers regelmäßig aus - bei persönlichen Treffen, via Telefon und per E-Mail. "Wir wollen im Arbeitsalltag die Perspektiven wechseln und einen frischen Blick auf Themen werden, die wir gar nicht auf dem Radar haben", sagt Egbers. "Und wir wollen eine Brücke zwischen Basis und Management schlagen."

Um letzteres ging es auch gleich beim ersten Gespräch. Die jungen Associates der Firma waren in Aufruhr. Es war unklar, wer es bei der nächsten Beförderungsrunde in den Rang eines Senior Associates schaffen würde. Es gab Gerüchte und Verdächtigungen. "Unsere interne Kommunikation war zu diesem Zeitpunkt unglücklich", sagt Egbers. "Wir haben völlig unterschätzt, welche Bedeutung das Thema hat."

Jung coacht Alt - so könnte man die Methode des "Reverse Mentoring" übersetzen. Sie stellt bekannte Mentoren-Programme auf den Kopf, denn hier sollen erfahrene Führungskräfte innehalten und von den Jüngeren lernen. "Reverse-Mentoring-Programme gibt es zwar schon seit 20 Jahren, aber sie erfahren im Digital-Zeitalter eine besondere Dynamik", sagt Werner Bruns, Soziologieprofessor an der Rheinischen Fachhochschule Köln. "Wenn es um soziale Medien, Trends in Netz, Käuferverhalten, Employier Recruiting oder moderne Arbeitsbedingungen geht, sind die Digital Natives beim Wissens- und Erfahrungstransfer potentielle Ansprechpartner."

Die Erfahrungen der Digital Natives seien komprimierter, nicht in langen Jahren erworben, sondern in kurzen Zyklen angeeignet, oft in nur zwei bis drei Jahren, mit permanent sich ändernden Blickwinkeln, nicht nur analog, aufbauend, sondern digital, sprunghaft und spontan.

Reverse Mentoring, darauf weist Karlheinz Schwuchow, Professor für Internationales Management der Hochschule Bremen hin, hat einen weiteren Vorteil: "Das Programm bricht die Hierarchien auf." Gemeinsames Lernen zwischen den Generationen werde möglich und altes Top-down-Denken relativiert. Voraussetzung für die Bildung von Reverse-Mentoring-Teams bei Ashurst ist, dass die Mitglieder keine Schnittmenge bei der täglichen Arbeit haben und nicht in direkter Berichtslinie zusammenarbeiten.

Ganz uneigennützig sind solche Mentoring-Programme nicht. Kanzleien wie Ashurst verlieren auf dem Weg zur Partnerschaft die meisten Senior Associates. Wer nicht befördert wird, geht zur Konkurrenz. Für Bernd Egbers eröffnet das Mentoring-Programm völlig neue Perspektiven - nicht nur auf die weibliche Sicht der Dinge. Noch sind Frauen an der Spitze der Kanzlei rar. Nur drei Partnerinnen gibt es im 21-köpfigen Partnerteam in Deutschland.

"Wir wissen, dass wir Nachholbedarf haben", sagt Egbers. "Schon beim ersten Treffen hatte ich zahlreiche Aha-Erlebnisse. An mir waren diverse Themen, die offenbar stark in der Mitarbeiterschaft diskutiert werden, komplett vorbeigegangen. Das hat mir wirklich die Augen geöffnet, dass wir uns auch auf Führungsebene stärker einbringen und vor allem schlichtweg besser kommunizieren müssen." Für Alexandra Heitmann ist eines der Vorteile des Programms, "dass die jüngeren Mitarbeiter nun ein Sprachrohr zur Geschäftsleitung haben".

Ashurst passt in die Reihe der Firmen, die Reverse-Mentoring-Programme anbieten. Es sind vor allem international aufgestellte Unternehmen wie Lufthansa, IBM, Volkswagen, Deutsche Telekom, der Bosch-Konzern und Henkel. "Im Mittelstand ist das noch nicht in der Breite angekommen", sagt Betriebswirtschaftler Schwuchow. "Dort wird das eher informell geregelt."

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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