Orientierung an der Uni:Warum Tutoren immer wichtiger werden

Zum Wintersemester 2011 sind so viele Studenten wie nie zuvor an den Hochschulen eingeschrieben. Das erfordert besondere Maßnahmen: Immer häufiger übernehmen ältere Studenten Übungskurse an den Massenuniversitäten. Ohne sie würde der Lehrbetrieb vielerorts gar nicht funktionieren.

Martina Scherf

"Alles Weitere bitte ich Sie, mit Ihrem Tutor zu besprechen". Die Einführungsvorlesung in Schulpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ist beendet, 700 Studenten drängen ins Freie. Die Köpfe voller Fragen: Woher bekomme ich die richtigen Bücher, welche Übungen sind sinnvoll, was muss ich bis zur Prüfung wissen? Der Professor entschwindet, er muss - wie viele seiner Kollegen in Bayern - die gleiche Vorlesung noch einmal halten, trotz Live-Übertragung in einen zweiten Hörsaal. Willkommen im Wintersemester 2011 mit den höchsten Studentenzahlen aller Zeiten. Zum Glück gibt es aber Tutoren. Ohne sie würde der Lehrbetrieb vielerorts gar nicht funktionieren.

Überfüllter Audimax zum Semesterbeginn in der Münchner LMU, 2011

Überfülltes Audimax zum Semesterbeginn in der Münchner LMU: Um dem Ansturm der Studienanfänger Herr zu werden, übernehmen immer häufiger ältere Studenten Übungskurse an den Universitäten.

(Foto: Stephan Rumpf)

Multiple-Choice-Training in Pädagogik, Mathe-Nachhilfe für Maschinenbauer oder die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens: Um den Ansturm der Studenten zu bewältigen, überlassen viele Fakultäten Studierenden aus höheren Semestern immer mehr Begleitkurse zu den Vorlesungen. Finanziert werden die Tutorien in der Regel aus Studiengebühren, und sie helfen, den Mangel an Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern ein wenig zu lindern - auch wenn das niemand so deutlich aussprechen mag. "Wir schauen neidisch auf andere Länder, die kleine Gruppen anbieten können", sagt Martin Wirsing, Vizepräsident für Lehre an der LMU. Mit den Personaletats der deutschen Universitäten ist das längst nicht mehr möglich.

Das Tutorensystem hat aber auch viel Kreativität freigesetzt: "Manchmal fragen wir uns, warum wir das eine oder andere nicht schon früher gemacht haben", sagt Michael Wensing, Studiendekan der Technischen Fakultät an der Universität Erlangen. Weil in Zeiten der Bologna-Reform jeder Tag und jede Note zählt, ist es für die Erstsemester eine große Hilfe, wenn ältere Studierende sie unterstützen. Schließlich ist eine Massenuni erst einmal undurchschaubar, und schon der Stundenplan, den man aus Modulen zusammenbauen muss, häufig eine Herausforderung.

Viele Studenten sagen: Wir brauchen die Tutorien unbedingt", berichtet Studiendekan Wensing. Er würde gerne - wie die meisten Professoren - noch viel mehr Tutoren beschäftigen. In diesem Jahr haben sich an der Technischen Fakultät in Erlangen fast dreimal so viele Studenten eingeschrieben wie in den vergangenen Jahren: 1150 Anfänger im Sommersemester, 2100 im Wintersemester. "Es spielt wohl auch eine Rolle, dass es aus der Wirtschaft heißt: Wir brauchen Ingenieure", meint Wensing.

Dreimal so viele Studenten, dreimal so viele Klausuren

Für einzelne Vorlesungen hat die Universität Erlangen in diesem Semester eigens die Stadthalle angemietet. Aber dreimal so viele Studenten - das bedeutet auch dreimal so viele Übungsstunden und dreimal so viele Klausuren zu korrigieren. Das Lehrpersonal ist aber bei weitem nicht im gleichen Maße gewachsen wie die Studentenzahl. Gleichzeitig sollen die angehenden Akademiker möglichst zügig zu ihrem Abschluss kommen. Deshalb heißt es: üben, üben, üben, und zwar am besten mit einem Tutor.

Wer das schnell begriffen hat, ist im Vorteil, meint Marcel Schellong, Leiter des Studienzentrums bei den Germanisten an der LMU. Manche Studenten schrecken zuerst vor einem freiwilligen Zusatzkurs zurück. Doch wenn die Prüfung droht, sagt Schellong, kommen sie doch.

Am Ende profitieren beide Seiten von diesem System. "Man lernt am besten, wenn man den Stoff noch einmal erklären muss", sagt Siegfried Depner. Er ist selbst Tutor und studiert im 5. Semester Informatik an der Universität Augsburg. Manche Hochschulen sprechen Studenten schon im ersten Semester an und führen sie langsam an den Tutorendienst heran. Andere setzen erst Masterstudenten als Tutoren ein. Der Stundenlohn - üblich sind 7,50 Euro, wie auch für wissenschaftliche Hilfskräfte - ist es nicht, was die jungen Leute an dem Job reizt. Vielmehr sind es die Vorteile, nahe am wissenschaftlichen Betrieb zu sein und Fähigkeiten zu schulen, die man später gut brauchen kann: Rhetorik, Teamarbeit, mit Feedback umgehen.

Dafür müssen die Tutoren ordentlich Leistung bringen: Sie sollen unteren Semestern verständlich machen, was der Professor doziert. Und vielen Erstsemestern dienen sie auch als Kummerkasten. Im besten Fall sind sie auf ihren Job vorbereitet worden, auch wenn die "Didaktik-Seminare" oft nur einen Tag dauern. Die BWL-Fakultät an der LMU schweißt ihr Team vor Semesterbeginn während einer ganzen Klausurwoche zusammen. Wenn dann die Erstsemester kommen, genießen die neuen Studenten eine vierwöchige Orientierungsphase unter der Obhut ihrer Tutoren.

Einen Vorteil haben die Lehrstunden auf Augenhöhe in jedem Fall: Einem Tutor gegenüber traut man sich Fragen zu stellen, bei denen man einem Professor gegenüber Hemmungen hätte. "Der intensive Austausch in kleineren Gruppen ist enorm wichtig - gerade in Zeiten von Großveranstaltungen", sagt Wensing.

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