Während die Mitglieder des Kernteams intensiv an einem neuen Unternehmenskonzept arbeiten, wundern sich die übrigen Mitarbeiter. Eine von ihnen ist Johanna Kraus, die eigentlich anders heißt. Sie sagt rückblickend: "Es gab zu Beginn eine Info-Veranstaltung, darüber, dass Menschen zufriedener arbeiten, wenn sie ihre Arbeit eigenverantwortlich gestalten können. Und natürlich waren alle im Unternehmen informiert, da gibt es Gespräche. Aber was das dann bedeutet, das wussten wir nicht."
Nach einem halben Jahr gibt es schließlich einen Plan und tatsächlich sind es tiefgreifende Veränderungen, die sich der Ausschuss überlegt hat. Die komplette bisherige Struktur aus Fachabteilungen wird aufgelöst. Statt den typischen Funktionsabteilungen Entwicklung, Marketing, Produkt und Kundenbetreuung werden neue integrative Teams gebildet, die auf Kundengruppen ausgerichtet sind. Im Privatkunden-Team sitzen dann die Kundenbetreuerin, der Entwickler-Kollege und die Marketing-Frau zusammen, die vorher in getrennten Abteilungen waren, sich kaum kannten und einen anderen fachlichen Hintergrund haben. Auch fallen die bisherigen Hierarchie-Strukturen weg, statt Teamleitern und Abteilungsleitern werden Entscheidungen im Team gefällt. Jeder Einzelne übernimmt mehr Verantwortung - Selbstorganisation ist das Stichwort.
Viele Mitarbeiter sind neugierig, aber auch skeptisch
Die Mitarbeiter reagieren unterschiedlich: Zum Teil sind sie gespannt, neugierig, viele sind zunächst auch skeptisch und sehen für sich keinen Platz mehr in der neuen Struktur. "Wenn plötzlich hinterfragt wird, ob deine bisherige Arbeit überhaupt sinnvoll war und es deinen Tätigkeitsbereich auf einmal gar nicht mehr gibt, kann das für den Einzelnen sehr bitter sein", sagt Wirtschaftspsychologe Hensen. Mancher Kollege habe sich dann sehr schnell neu orientiert, sich einen neuen Aufgabenbereich gesucht, anderen sei das schwergefallen. Rückblickend sagt Geschäftsführer Armbrust über die Zeit nach der Umstellung: "Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, bei so großen Veränderungen auch Sicherheit zu geben."
Gerade für diejenigen, die bislang Führungsverantwortung hatten, bedeutet die Abschaffung der bisherigen Teamstrukturen eine große Umstellung. "Wer vorher viel auf Macht geschaut hat und darauf aus war, eine Karriereleiter hochzuklettern, ist damit nicht gut klargekommen", sagt Armbrust. Von einigen Mitarbeitern trennt sich das Unternehmen. "Letztlich hat der Wechsel Konflikte sichtbar gemacht, die vorher nicht zu sehen waren", sagt Hensen, der wie auch die anderen Mitglieder aus dem Konzept-Ausschuss den Prozess weiter eng begleitet.
Der Organisationssoziologe Stefan Kühl sagt: "Auch wenn Hierarchien die Kreativität und Flexibilität der Mitarbeiter einschränken, sorgen sie doch für geordnete Verhältnisse." In hierarchischen Unternehmen entwickelten sich Konflikte in der Regel zwischen Arbeitnehmerschaft und Management, schreibt Kühl auch in seinem Buch "Wenn die Affen den Zoo regieren". Jedes Problem kann letztlich durch den Verweis an den nächsthöheren Chef gelöst werden. "Gibt es keine stabilen Herrschaftsgefüge mehr, werden alle Machtfragen in mehr oder minder offenen Auseinandersetzungen ausgetragen", so Kühl. Weniger Hierarchie führe nicht zu weniger, sondern zu mehr Komplexität.