Süddeutsche Zeitung

Open Space:Leise sein und aufräumen

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Offene Bürokonzepte funktionieren besser, wenn es klare Regeln und einen guten Lärmschutz gibt. Auch wichtig: Die Beschäftigten sollten bei den Planungen mitreden dürfen.

Von Ingrid Weidner

Neu gestaltete Büroräume ähneln oft mehr einer Hotellobby der gehobenen Mittelklasse als einem Arbeitsraum. Doch quietschbunte Sessel, eine teure Espressomaschine und eine hauseigene Bibliothek erhöhen nicht unbedingt die Motivation der Mitarbeiter. "Wieso darf Arbeit nicht mehr nach Arbeit aussehen?", fragt sich Nick Kratzer, Sozialwissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München. "Das perfekte Büro gibt es nicht", ergänzt der Wissenschaftler, weil sich das Arbeitsleben dort immer zwischen den Gegenpolen Konzentration und Kommunikation abspiele. Deshalb brauchen offene Bürolandschaften Rückzugsräume und Flächen, die den Austausch fördern.

In einer Studie mit mehreren Projektpartnern wollen die ISF-Wissenschaftler herausfinden, wie moderne Open-Space-Arbeitswelten gestaltet sein sollten, damit sich die Mitarbeiter wohlfühlen, gern und produktiv arbeiten und gesund bleiben. Rudolf Bischler, Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens Streit Service & Solutions in Hausach, einer Kleinstadt im Kinzigtal im Schwarzwald, beteiligt sich an der Studie.

Das 1951 als Papierhaus Streit gegründete Unternehmen im Schwarzwald stattet selbst Büros aus, liefert Bürotechnik und beschäftigt 240 Mitarbeiter, von denen etwa 65 einen Büroarbeitsplatz haben. Im Familienunternehmen wurde schon länger darüber nachgedacht, wie sich die Bürostruktur verändern ließe. "Wir wollten unsere Werte Offenheit, Transparenz, schnelle Prozesse und eine höhere Effizienz auch in der Gestaltung unserer Büroräume umsetzen", sagt Bischler. Bisher arbeiteten die Angestellten verteilt über drei Standorte, es gab Einzelbüros für die Führungskräfte, halboffene Strukturen und Cubicals.

Unterstützung holte sich Bischler vom Offenburger Architekturbüro Partner AG. Die Architektin Ute Stubenrauch leitete das Projekt. "Am Anfang steht immer ein Workshop mit der Geschäftsleitung, in dem Fragen geklärt werden wie beispielsweise zur Weiterentwicklung des Unternehmens und Ziele für die kommenden Jahre." Daran schließen sich weitere Workshops mit den Mitarbeitern an. "Jede Abteilung schickt einen Vertreter, und die Mitarbeiter gestalten gemeinsam. Dabei geht es um praktische Fragen wie die Anzahl der Besprechungsräume, wo die Kaffeeküche oder die Garderobe sein soll", sagt Stubenrauch.

"Die Mitarbeiter zu beteiligen war ganz wichtig", sagt Rudolf Bischler. Auch für seine Idee, auf Einzelbüros zu verzichten, konnte der Geschäftsführer alle Führungskräfte überzeugen. Das habe die Akzeptanz des Projekts unter den Mitarbeitern erhöht. Seit 2014 arbeiten alle Mitarbeiter an einem Standort, dafür wurde eine komplette Etage entkernt, 1300 Quadratmeter Bürofläche wurden neu gestaltet.

Die Grundlage für das Architekturbüro bildete der gemeinsam in den Workshops ausgearbeitete Grundriss. Um möglichst viel Tageslicht in das tiefe Gebäude zu bekommen und die Belüftung zu erleichtern, planten die Architekten ein nach oben offenes Atrium. Es gibt drei Besprechungsräume, 61 feste Arbeitsplätze sowie 25 Arbeitsplätze mit Rückzugszonen. Marta Berthold von der Partner AG war die verantwortliche Innenarchitektin. Sie schlug kräftige Farben wie Pink, Orange und Lila für die Besprechungsräume oder die Teeküche vor. Einige der Möbel wurden extra aus der in der Region vorkommenden Schwarzwälder Weißtanne angefertigt.

Entscheidend für das Arbeitsklima in einer offenen Arbeitsumgebung ist aber der Lärmpegel. Das Architekturbüro zog einen Akustiker hinzu, der die Belastungen berechnete, die Innenarchitektin suchte passende Lösungen. In den Räumen von Streit wurde beispielsweise ein Teppichboden verlegt, der über einen sogenannten Akustikrücken verfügt und Geräusche dämpft. Eingebaute Deckensegel absorbieren Lärm, auch die verwendeten Möbel wurden danach ausgewählt.

Open Space ist ein dehnbarer Begriff. Manche Firmen reißen Wände ein, schieben die Schreibtische zusammen und nennen das Großraumbüro Open Space, vernachlässigen aber den Schallschutz. Manchmal wollen Arbeitgeber schlicht sparen und riskieren dafür frustrierte Angestellte. Doch ein gut geplantes Büro kann die Motivation der Mitarbeiter auch erhöhen, wie Ute Stubenrauch betont. "Die Akustikplanung ist zwar teuer, doch absolut notwendig, wenn Mitarbeiter dort gut und konzentriert arbeiten sollen." Auch das Kostenargument lässt die Architektin nicht gelten, denn "Wände bauen ist viel teurer", sagt Stubenrauch. Unternehmen sparten mit einem stimmigen Bürokonzept Geld, so Stubenrauch, denn die Mitarbeiter seien seltener krank. Ansprechende Räume helfen auch, sich jungen Mitarbeitern als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren.

Das sieht Rudolf Bischler ähnlich. "Wir haben in unserer Region Vollbeschäftigung. Auch deshalb ist es wichtig, den Mitarbeitern ein Umfeld zu bieten, das besonders ist und in dem sie gerne arbeiten."

Neben einer professionellen Planung braucht das Open-Space-Büro aber auch Regeln des Zusammenarbeitens, betont Stubenrauch. "Regeln sind wichtig, etwa für das Telefonieren oder dass ein Mitarbeiter, der sich in einer der Rückzugszonen aufhält, nicht angesprochen wird", sagt Stubenrauch. Zwar telefonieren die Mitarbeiter von Streit viel, doch in der offenen Bürolandschaft läuten keine Telefone, der Hinweis erscheint am Bildschirm oder als Lichtsignal am Apparat. Die verwendeten Headsets schirmen Geräusche von außen ab, der Telefonierende kann sich auf das Gespräch konzentrieren und spricht leiser, als mit dem Hörer in der Hand.

Zu den von der Belegschaft ausgearbeiteten Verhaltensregeln zählt auch eine Clean Desk Policy; jeder Mitarbeiter hinterlässt nach Dienstschluss einen aufgeräumten Schreibtisch. Zur Büro-Etikette gehört auch, dass es keinen Kaffee am Arbeitsplatz gibt, sondern das Heißgetränk nur in den dafür vorgesehenen Zonen getrunken werden soll. Da es keine Stechuhr sondern ein Vertrauensarbeitszeitmodell gibt, gönnen sich die Angestellten individuelle Kaffeepausen.

Auch wenn Streit einmal als Papierlieferant begann, sind die Papierstapel von den Schreibtischen der Mitarbeiter verschwunden, ein digitales Archiv ersetzt das Papier. Geschäftsführer Bischler ist zufrieden mit dem Ergebnis und gibt zu: "Ich konnte mir selbst nicht vorstellen, dass es so gut funktioniert."

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Quelle:
SZ vom 06.04.2018
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