Open Innovation: Ideen der Mitarbeiter:Uns fragt ja niemand!

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Warum viel Geld in Forschung, Marketing und PR stecken, wenn die eigenen Mitarbeiter die besten Ideen haben? Damit sie die nicht länger für sich behalten, setzen Unternehmen nun auf "Open Innovation". Als Belohnung für die beste Idee winkt mitunter sogar ein Wellness-Urlaub.

Viola Schenz

Am Anfang war der Zettelkasten. Er hing neben dem Schwarzen Brett und trug den Aufdruck "Ideen". Wer einen Vorschlag hatte, wie sich Konferenzen beschleunigen oder Bleistifte sparen lassen, konnte ihn hier loswerden. Wenn der Zettelkasten zum Monatsende von einem Betriebsrat geleert wurde, fanden sich zwar auch anonyme Notizen wie "Müller ist doof!", aber es waren auch richtig brauchbare Ideen dabei. Aus dem Ideenkasten wurde irgendwann eine Ideenbörse, wo die telefonisch, schriftlich oder persönlich eingereichten Vorschläge sortiert, begutachtet und im Idealfall umgesetzt wurden - und die besten prämiert. Als Preise winkten Geld oder sogar ein Wochenende im Wellness-Hotel.

Aus dem Hut gezaubert: Viele Unternehmen geben sich große Mühe, gute Ideen ihrer Mitarbeiter blitzschnell aufzugreifen und umzusetzen. Schließlich bringen Innovationen in der Regel Geld ein. (Foto: dpa/dpaweb)

Mittlerweile gehen solche Ideenbörsen im Zeitgeist auf und nennen sich "Open Innovation" (OI). Allmählich finden Firmen nämlich Gefallen daran, die Geistesblitze nicht nur ihrer Mitarbeiter, sondern auch ihrer Kunden zu nutzen. Das Wissen der vielen, das Wikipedia und all die Wer-weiß-was-Foren so populär und erfolgreich macht, sollte auch in einem Unternehmens zum Einsatz kommen können, so die Logik. Open Innovation basiert auf dem Prinzip: je mehr, je lebhafter, je vielfältiger, desto besser. Es ist der Gegenentwurf zu Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ("Closed Innovation"), wo "Experten" abgeschottet vor sich hinbrüten.

Die kollektive Intelligenz ihrer Kunden wissen Unternehmen schon länger zu schätzen, sie laden auf ihren Websites dazu ein, Ideen einzubringen. Warum viel Geld in Forschung und Entwicklung, in Marketing und PR stecken, wenn all das die Anwender frei Haus liefern? "Herzlich Willkommen im Ideenportal", heißt es etwa auf der Website eines Telekommunikationsunternehmens. "Wie wir unsere Produkte und Services optimieren können, wisst Ihr oft am besten. Hast Du eine Idee für uns? Wir möchten das Telekommunikationsunternehmen sein, welches Dir zuhört und, wenn möglich, Deine Wünsche verwirklicht."

So weit die Theorie. "Doch in der Praxis gestaltet sich ein offener Mitwirkungsprozess oft schwierig", beobachtet Kathrin Möslein, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Forschungsschwerpunkt Innovation und Führung. In der Praxis wollen Ideen-Portale nämlich gut betreut sein. Niemand mag es, wenn seine liebevoll erdachten und sorgfältig ausgearbeiteten Vorschläge unbeachtet bleiben. Der Google etwa hatte einst seine Nutzer zu einem Wettbewerb aufgerufen und brauchte dann zwei Jahre, um die 150.000 eingegangenen Ideen zu bearbeiten - die Aktion war gründlich schiefgelaufen. So kann es auch firmenintern geschehen, am Ende sitzen die OI-Mitarbeiter auf einer Halde aufgestauter Ideen-Mails, die alle beantwortet, gelobt und sogar realisiert sein wollen.

Nutzlose Impulse nerven

Wie macht man aber Kollege Meier klar, dass seine Impulse nutzlos sind und man gerne auf weitere verzichten würde? Wie erklärt man Frau Huber, dass ihr Verbesserungsvorschlag ganz nett, aber unbezahlbar ist? All das erfordert Personal, Psychologie und Professionalität. "Open Innovation ist Chance und Herausforderung zugleich", sagt Möslein, "sie kann Mitarbeitern Wertschätzung, Spaß an der Arbeit und ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln. Sie kann sie aber auch verprellen, wenn sie sich nicht ernstgenommen und einbezogen vorkommen."

Wichtig sind daher Anreize, Stichwort Wellness-Wochenende, denn Angestellte rücken nicht immer automatisch mit ihrem Wissen raus. Eine Studie der Universität Toronto hat jüngst das Phänomen des "Wissen-Versteckens" offenbart, wonach Kollegen ihr Know-how ungern teilen. Die Wissenschaftler stellten fest, dass es in einem Betrieb umso offener zugehe, je weniger die Kommunikation über E-Mail und je mehr über persönlichen Kontakt abläuft.

Katrin Bacic, die beim Telekommunikationsunternehmen O2 die Innovationen vorantreiben soll, macht bisher mit ihren Strategien gute Erfahrungen. Oft sind es schon winzige Veränderungen, die viel verbessern. Bacic erzählt, wie sie zum Beispiel dem Konferenzraum die Sterilität genommen hat - mit beschreibbaren Wänden. Seitdem entdecken die O2-ler die Grafitti-Künstler in sich. "Man glaubt gar nicht, wie es den Leuten Spaß macht, Wände zu bekritzeln", sagt Bacic. Mit Blitzgedanken wohlgemerkt.

Wer setzt die Ideen um?

Dass die Betroffenen selbst am besten wissen, was gut für sie und ihr Produkt ist, zeigt das Beispiel Audi. In Ingolstadt gestalten die Arbeiter die Montage jetzt effizienter und ergonomischer. Statt, wie vor einigen Jahren noch üblich, selbst in die Karosserie rein- und rauszuklettern, gleiten sie mit einem speziell entwickelten Montagesitz ins Fahrzeuginnere. Das schont Knie und Rücken.

Offene Ideen können auch dem Produkt selbst zugutekommen. "Wenn bei der Entwicklung eines Modells zum Beispiel der Becherhalter zu nah an der Gangschaltung eingebaut ist, kann so ein Fehler heute über Open Innovation schneller behoben werden", sagt Oliver Schilling, Organisationsentwickler bei Audi. Beim Konkurrenten Daimler versucht man, Kunden- und Mitarbeiterideen effektiv zu kanalisieren. "Dieselben guten Ideen kommen immer wieder", sagt Wolfgang Gruel, auf dessen Visitenkarte "Business Innovator Daimler AG" steht. "Die Frage ist: Wer setzt sie endlich um?"

Das kann man auch im Fall des Münchner Flughafens fragen, wo ein 21-köpfiges Team damit beschäftigt ist, für "stressfreies Parken" zu sorgen. Ein Forum auf der Flughafen-Website lud Innovationsbegeisterte dazu ein. Vorgeschlagen wurde unter anderem, die Parkhäuser nicht durchzunummerieren, sondern ihnen Namen zu geben. In den USA wird das seit langem praktiziert. Im kalifornischen Disneyland etwa heißen die Parkareale "Goofy" oder "Pluto" und bilden die bekannten Zeichentrickfiguren zusätzlich ab - so finden sich sogar verirrte Kinder zurecht.

Jede Idee muss Nutzen bringen

Man fragt sich, warum ein solch simples und praktisches Prinzip in Deutschland nicht längst kopiert wird. Aber der Prozess zwischen Wahrnehmung einer Idee und ihrer Umsetzung verläuft oft zäh. Weil das so ist, prognostiziert Eric von Hippel, Ökonom und Spezialist für Wirtschaftlichkeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT), das Ende des klassischen Führens durch einen kleinen Zirkel. An die Stelle von Management und Vorstand werde, so von Hippel, die Schwarmintelligenz von Belegschaft und Nutzern treten.

Doch gemach. Open Innovation mag eine Alternative zu herkömmlichen Verfahren sein, nicht aber ihr Ersatz. Auch Oliver Schilling von Audi bremst die Euphorie: "Man sollte das nicht zu ernst nehmen, sondern sich immer fragen: Was ist der Nutzen? Wie ticken wir? Passt das zu unserer Unternehmenskultur?"

© SZ vom 04.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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