Online-Nachhilfe:Lerncoach aus der Cloud

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Während der Corona-Krise ist das Angebot digitaler Nachhilfe deutlich gewachsen. Einige Lehrer kümmern sich dabei besonders um Kinder aus bildungsfernen Familien.

Seit dem landesweiten Lockdown im Frühjahr ist Homeschooling in aller Munde. Viele Schulen wurden damals auf dem falschen Fuß erwischt. Man hatte schlicht keine Erfahrung mit der ausschließlich digitalen Vermittlung von Lernstoff. Anders sieht es da bei der Nachhilfe aus. Virtuelle Nachhilfeschulen gibt es schon seit Jahren. Im Laufe der Zeit ist hier ein großer Markt entstanden. Im Zuge der Corona-Krise sind weitere Anbieter hinzugekommen. Dabei fällt auf, dass sich viele mittlerweile ausdrücklich an eine Gruppe von Schülern wenden, die bislang nicht im Fokus standen: leistungsschwache Kinder und Jugendliche aus sozial schwierigen und bildungsfernen Familien. Denn sie sind nach Einschätzung von Experten durch die Krise besonders benachteiligt. Wird es für die Mehrheit der Kinder schon schwer, den entgangenen Lernstoff aufzuholen, könnte es für die Schwächeren ganz unmöglich sein. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie oft keine Unterstützung von zu Hause bekommen. Bei einer repräsentativen Umfrage des IFO Zentrums für Bildungsökonomik unter Eltern, die im September veröffentlicht wurde, kam heraus, dass sich ihre Kinder während der Schulschließungen nur noch etwa halb so lange am Tag mit schulischen Themen beschäftigt haben wie vorher. Kinder aus schwächeren sozialen Schichten hätten noch viel weniger für die Schule getan. Bildungsfachleute befürchten, dass sich die Schere im Bildungssystem damit noch weiter geöffnet hat.

An dieser Stelle setzt die Corona School an. Studenten aus Bonn haben sie im März als Online-Nachhilfe-Plattform gegründet. Grundsätzlich sollte die Nachhilfe, die von Studenten im Einzelunterricht über Zoom erteilt wird, zwar allen Schülern offenstehen, die Nachhilfe brauchen. Von Anfang an aber hatte man die leistungsschwachen Schüler im Fokus. "Wir wollen in erster Linie bildungsbenachteiligte Schüler und Schülerinnen erreichen. Diese soziale Mission spricht auch immer mehr Studierende an", sagt Lukas Pin, einer der vier Gründer. Inzwischen bieten in der Corona School schon etwa 8000 Studierende aus ganz Deutschland ihre Hilfe in allen gängigen Unterrichtsfächern an. Die Online-Schule bildet "Lernpaare", ein Schüler hat in einem Fach also immer denselben ehrenamtlich tätigen Lehrer. Diese persönliche Beziehung sehen Pädagogen und Nachhilfelehrer als entscheidend für den Lernerfolg an, denn sie fördert die Motivation der Kinder und Jugendlichen.

"Unsere Nachhilfelehrer sind alle Leute, die ihr Fach mit Begeisterung studieren. Diese Begeisterung geben sie oft an den Schüler weiter", sagt Pin. Die Nachhilfe bei der Corona School ist kostenlos. Das soll auch in der Zukunft so bleiben, denn die Nachhilfeschule soll es auch noch geben, wenn die Pandemie überstanden ist. Das Problem ist aber, dass viele Eltern von Kindern aus der Zielgruppe nichts von der Corona School und anderen Nachhilfeangeboten wissen. Pin und sein Team wollen deshalb Schulen ansprechen sowie in Jugendzentren und Sportvereinen auf ihr Angebot aufmerksam machen.

Auch die nahe von München ansässige Firma Easy-Tutor hat in der Krise bedürftige Schülerinnen und Schüler in den Blick genommen. Normalerweise müssen sie für die individuell erteilte Nachhilfe übers Internet Geld bezahlen. Mit Beginn der Schulschließungen wurden Hilfebedürftigen kostenlose Stunden angeboten. Später stieg die Hypovereinsbank (HVB) ein und stellte 115 000 Euro zur Verfügung. "Als Start-up konnten wir die Spendenaktion nur in einem begrenzten Umfang machen. Mit der Förderung der HVB konnten wir dann aber 2500 Familien unterstützen", sagt Geschäftsführer Massimo Cancellara. Nachhilfelehrer von Easy-Tutor haben schon vor Beginn der Corona-Krise leistungsschwache Schüler unterrichtet. "Die sind über Bildungsgutscheine zu uns gekommen", erklärt Cancellara. Bildungsgutscheine werden im Rahmen des Bildungspakets von der Bundesagentur für Arbeit an Geringverdiener und Empfänger von Hartz-IV-Leistungen, beziehungsweise deren Kinder vergeben. Und zwar nicht erst dann, wenn eine Versetzung gefährdet ist, sondern es reicht, wenn ein Schüler in einem bestimmten Fach nicht mitkommt. Die Gutscheine müssen beantragt werden. Viele Nachhilfeschulen bieten dabei ihre Unterstützung an. Außerdem muss die jeweilige Schule den entsprechenden Bedarf an Nachhilfe für den Antrag bestätigen.

Aber selbst wenn alle Eltern leistungsschwacher Schüler über die Möglichkeiten der kostenlosen Nachhilfe Bescheid wüssten, ist das Problem damit nach Einschätzung von Heiner Barz, Erziehungswissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, nicht gelöst. "Die Hauptschwierigkeit ist, dass sich die Eltern kümmern müssen. Sie müssen ihre Kinder anhalten, den Nachhilfeunterricht auch ernsthaft zu nutzen", betont er. Allerdings räumt er ein, dass ein guter Nachhilfelehrer einiges erreichen kann, wenn er es schafft, seinen Schüler zu motivieren. "Wenn dann die Aufgaben mundgerecht gestellt werden, die Wissenslücken gezielt geschlossen werden, dann kann das durchaus Selbstbewusstsein erzeugen", sagt Barz. Mit einigen wenigen Stunden über ein paar Wochen, werde man aber nichts erreichen, es brauche schon viele Monate, damit sich eine Grundhaltung ändere.

Voraussetzung für die Online-Nachhilfe ist eine funktionierende technische Ausrüstung. Schüler benötigen einen PC oder ein Laptop. Mindestens aber ein Smartphone, auch wenn das nach Einschätzung vieler Nachhilfelehrer wegen des sehr kleinen Monitors nicht empfehlenswert ist. Aber die Kinder brauchen auch eine Umgebung, in der sie in Ruhe lernen können. Diese Voraussetzung ist in vielen Haushalten der leistungsschwachen Schüler nicht gegeben. Da würde es aber auch nichts helfen, wenn der Nachhilfelehrer persönlich vorbei käme. Trotz vieler Widrigkeiten ist Lukas Pin von der Corona School zuversichtlich, auch leistungsschwachen Schülern helfen zu können: "Wir bekommen viele positive Rückmeldungen. Die Schüler sagen, so, wie mein Lehrer hier, hat sich noch niemand mit mir hingesetzt und alles in Ruhe erklärt."

© SZ vom 04.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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