Vor circa 100 Jahren zogen amerikanische Unternehmersöhne an die Harvard University in Cambridge, Massachusetts. Sie schrieben eifrig mit, was die Professoren vortrugen, schwitzten im Hörsaal über Klausuren und verfassten zu Hause seitenlange Abhandlungen über ein Problem, das ihnen der Vater oder der Dozent aufgegeben hatte. Nach zwei Jahren verließen die jungen Männer die Universität um viel Familiengeld ärmer und den akademischen Grad Master of Business Administration (MBA) reicher.
Mit dem zunehmenden Weltwirtschafts-Wettkampf wanderte der MBA in andere Kontinente ein. So konnte man vor 60 Jahren schon in England, in der Schweiz und in Frankreich die damals beste Managerausbildung bekommen, freilich noch immer mit einer Lernzeit von zwei Jahren, im Class Room mit Anwesenheitspflicht und zum Preis eines neuen Mittelklassewagens. 1980 gab es in Deutschland vielleicht ein paar Hundert Manager, auf deren Visitenkarten das elitäre Kürzel MBA Zeugnis davon ablegte, dass sich seine Besitzer den eroberten Wissensschatz viel Geld hatten kosten lassen.
Heute erregt der MBA bei Weitem nicht mehr so großes Aufsehen wie damals. An fast jeder Hochschule mit wirtschaftswissenschaftlicher Fakultät wird der Studiengang angeboten, an Fachhochschulen und mit Hochschulen kooperierenden Akademien sowieso. Allein in Deutschland gibt es einige Hundert Studienangebote, hinzu kommen im Ausland offerierte Programme und die wachsenden Möglichkeiten im Cyberspace. Wem es an Lust auf Unterricht im Hörsaal mangelt oder wer tagsüber keine Zeit zum Lernen hat, der studiert eben zeitlich ganz nach Belieben im virtuellen Raum. Sofern man schriftlich versichert, sich dabei nicht helfen zu lassen, kann man sogar die Klausuren online schreiben, das geht zum Beispiel an der IUBH Internationalen Hochschule. Viele MBA-Programme umfassen nur noch 1800 Lehr- und Lernstunden, zum Beispiel an der SRH Fernhochschule - das Studium von Fachliteratur ist in diese Anzahl von Stunden eingeschlossen. Und für Sparfüchse das Wichtigste: Das komplette Wissen samt Abschluss bekommt man heute zu einem Bruchteil des Preises, den Großvater und Vater noch hatten bezahlen müssen. Oft ist man schon für ungefähr 8000 Euro dabei, zum Beispiel bei der Diploma Hochschule.
Das Argument verfängt bei vielen: Reines E-Learning kostet deutlich weniger als der klassische MBA
Der frappante Preisverfall ist auf die Zunahme des MBA-Angebots insgesamt und auf die Standardisierungsmöglichkeiten und die Akzeptanz des Online-Lernens zurückzuführen. In den zurückliegenden fünf Jahren schnellte die Anzahl der im Internet studierbaren MBA-Programme enorm in die Höhe. Zwischen den Studienjahren 2012/13 und 2016/17 ist die Anzahl der vom amerikanischen Qualitätsprüfer AACSB akkreditierten Business Schools mit einem Online-MBA-Angebot von 91 auf 140 gestiegen - ein Plus von 65 Prozentpunkten. In großen Flächenstaaten wie Australien, Indien oder Brasilien und auch in Deutschland wächst der Anteil solcher MBA-Programme, bei denen sich Dozenten und Studenten nicht zwingend persönlich zu Gesicht bekommen. Falls überhaupt Präsenzphasen in das Programm integriert wurden, sind sie nicht immer verpflichtend. Das komme beruflich eingespannten Lernenden sehr entgegen, weiß Professor Marco Halber, Studiengangsleiter des Executive MBA für Ärzte an der SRH Fernhochschule: "Die meisten Ärzte sind froh, wenn sie nicht zu festen Studienzeiten irgendwo erscheinen müssen." Es gebe zwar Online-Foren, auch Exkursionen stehen auf dem Programm. "Wir fördern das", versichert Halber. "Aber nur ein Bruchteil nimmt das wahr. Die meisten sind froh, wenn sie mit den anderen Studierenden möglichst wenig zu tun haben."
Gerade in der gewährten Freiheit, sich nur mit dem Lernstoff und sich selbst beschäftigen zu müssen, liegen aber auch Risiken. Man muss sich in Disziplin üben, doch nicht nur das. "Bei reinen Online-MBA-Programmen sehe ich die Gefahr, dass der persönliche Austausch zu kurz kommt", sagt Thomas Graf, Betreiber der Plattform MBA-Compass. "Interaktionen mit Dozenten und Kommilitonen finden höchstens während live gehaltener Online-Vorlesungen statt: Und das eher selten und dann auch nur in Form kurzer Fragen und Antworten." Wenn die Studierenden einander nicht begegnen, schwindet die Möglichkeit der beruflichen Vernetzung, und Karriereservices, wie sie Präsenzhochschulen anbieten, kann man nicht in Anspruch nehmen. Auch Auslandsaufenthalte und Unternehmensbesuche fallen flach.
Wem der persönliche Austausch wichtig ist, der sollte ein kombiniertes Programm wählen
Andererseits hat Graf selbst einen Executive MBA absolviert, der neben Präsenzphasen in Madrid und Shanghai auch mehrere Monate reinen Online-Lernens beinhaltete. "Diese Phasen waren so interaktiv angelegt, dass mir der Lernerfolg fast noch größer als in klassischen Präsenzveranstaltungen erschien", sagt Graf. "Denn an Online-Diskussionen muss man aktiv teilnehmen. Dagegen kann man sich in einem Hörsaal mit 50 Studierenden auch mal verstecken oder geistig nicht teilnehmen", beschreibt er seine Erfahrungen.
Gleichwohl empfand er den echten persönlichen Austausch mit seinen Kommilitonen und Dozenten äußerst bereichernd. "Online-MBA-Programme können einen Nutzen bringen, wenn man vor allem auf die Flexibilität schaut", resümiert Graf. "Nur erscheint mir dieser Nutzen als recht eingeschränkt, weil der persönliche Austausch entfällt."
Trotz dieser Nachteile lassen sich bei fast allen großen Weiterbildungsunternehmen neben Blended-Learning-Programmen, in denen zwischen dem Studieren zu Hause und dem Unterricht im Klassenzimmer gewechselt wird, auch reine Online-MBA-Programme buchen. Deren Gesamtdauer hängt von der Lernintensität der Teilnehmer ab: Wer gründlicher und schneller studiert, kann sich früher als trödelnde Kollegen an die Abschlussarbeit machen. Die Schulen geben hier nur Richtwerte vor, die zwischen zwölf und 48 Monaten variieren.
Einen weiteren Vorteil des Online-Studiums sollte man auch nicht außer Betracht lassen: Am Ende des virtuellen Studiums macht den Lernenden im Umgang mit dem PC so schnell niemand etwas vor. "Und das sind die Kernkompetenzen der Zukunft", versichert MBA-Experte Graf aus München. "Nirgendwo lernt man den Umgang mit der IT so gut wie in einem Studienprogramm, das zu 100 Prozent online ist." Sei es die effiziente Kommunikation im Chatroom oder die in der Videokonferenz - im Online-Studium werden viele Studierende an ihnen bislang völlig fremde Formen der Kooperation herangeführt.
Hinzu kommt die Freiheit, selbst entscheiden zu können, wann und wo man lernt. "Die Studenten sagen ganz klar, dass der große Vorteil des Online-Studiums in der Flexibilität liegt", sagt Graf. "Viele schaffen es aufgrund ihrer beruflichen Belastung nicht, drei oder vier Tage im Monat herauszuschneiden und zu einer Hochschule oder in ein Studienzentrum zu fahren." Und da kaum zu erwarten ist, dass sich die Belastung ehrgeiziger Berufstätiger verringert, lautet denn auch Grafs Prognose: "Online-Programme werden mit Sicherheit weiter zunehmen."