Online im Unterricht:Abi mit Google

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Nicht mehr länger abgeschottet von der Realität: In Dänemark dürfen Schüler sogar in ihren Abschlussprüfungen das Internet zu Rate ziehen. Deutschland beurteilt die Online-Revolution kritisch.

Elmar Jung

Zwischenprüfung zum Abitur. Die Zeit wird knapp, Julie Krarup muss langsam zum Ende kommen. Fast fünf Stunden feilt die 18-Jährige jetzt schon an ihrem Essay über die Bedeutung der Sprache. Mit ihrem Text ist die dänische Schülerin zufrieden, nur der Schluss gefällt ihr noch nicht. Ein Zitat würde helfen, denkt sie sich. Im Internet findet sie ein passendes. Ein Linguist hatte sich vor kurzem in einer Zeitung geäußert. "Sprache ist wandelbar", sagte er. Über eine Suchmaschine stößt Julie Krarup im Internet auf diesen Satz und schreibt ihn auf, "selbstverständlich mit Quellenangabe".

Mit dem Laptop ins Klassenzimmer: In Dänemark dürfen Schüler das Internet künftig auch in Klausuren nutzen. (Foto: Foto: dpa)

In Prüfungen kann es praktisch sein, Google oder ein Online-Lexikon befragen zu dürfen. Bisher war es Schülern verboten, bei Examen das Internet zu nutzen. Doch künftig soll es fester Bestandteil schriftlicher Prüfungen an Gymnasien sein. Als erstes Land weltweit erlaubt Dänemark seinen Schülern, während der Abiturprüfung online zu gehen. "Es wird Zeit, dass die Realität Einzug hält in den Prüfungsalltag", sagt Steen Lassen vom dänischen Bildungsministerium. "Seit vielen Jahren bestimmt das Internet unser Leben, ist allgegenwärtig. Nur Prüfungen an Schulen finden abgeschottet von der Außenwelt statt. Das ist doch merkwürdig."

Was Lassen merkwürdig findet, war lange Zeit normal. Hilfsmittel beschränkten sich meist auf den Gebrauch weniger Nachschlagewerke oder von Taschenrechnern und Formelsammlungen. Der Rest war Abrufen von Gelerntem. Moderne Technik kam nur zum Einsatz, wenn die Schüler schummelten.

Auf das Leben vorbereitet

Seit zwei Jahren läuft das Online-Projekt schon an 14 dänischen Gymnasien, zunächst nur in Dänisch, Mathematik, Gesellschaftskunde und Wirtschaft. Die Erfahrungen waren offenbar so gut, dass sich die Regierung in Kopenhagen entschloss, das Internet bei Examen von 2011 an flächendeckend zu erlauben. Es sei der richtige Weg, die Schüler auf das Leben vorzubereiten.

Davon ist auch Karl-Henrik Jørgensen überzeugt. Der Mann mit Nickelbrille und freundlichem Lächeln ist Rektor des Gymnasiums in Greve, 25 Kilometer südwestlich von Kopenhagen. Seine Schule gehört zu denen, die von Anfang an dabei sein wollten. "Die Schule muss der Welt ähneln und nicht umgekehrt", sagt er. Mehr als 250 Schüler machen am Gymnasium in Greve jedes Jahr Abitur, die vergangenen beiden Jahrgänge bereits mit dem Internet.

Bei aller Begeisterung für den Fortschritt sind sich die Pädagogen jedoch auch der Probleme bewusst. Denn das Netz macht vieles einfacher - auch das Schummeln. Deshalb sollen etwa E-Mails und das Kommunizieren in Chats oder über Seiten wie Facebook verboten bleiben. "Wir wollen den Schülern die Möglichkeit nehmen, das Lösen der Aufgaben outzusourcen", sagt Jørgensen.

Vertrauen in die Schüler

Ob sich jeder daran halten wird, ist fraglich. Stichprobenartig und bei Verdachtsfällen will man die Computer der Schüler prüfen, um zu verfolgen, welche Seiten besucht und wann nach außen kommuniziert worden ist. Das Kopieren ganzer Textpassagen will man mit einer Erkennungssoftware verhindern. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor bleibe natürlich, gibt Jørgensen zu. "Da müssen wir den Schülern auch ein wenig vertrauen."

Dass Vertrauen nicht ausreicht, wenn die Versuchung groß ist, weiß Pelle Rasmussen, Professor am Institut für Wissensvermittlung und Philosophie an der Universität in Aalborg. "Es wird immer geschummelt werden", sagt er. Um so wichtiger sei es deshalb, die Prüfungen an die neuen Verhältnisse anzupassen. Das Einordnen, Gewichten und Beurteilen von Informationen soll mehr ins Zentrum rücken. "Wir müssen vom bloßen Abfragen von Wissen wegkommen und mehr die analytischen Fähigkeiten der Schüler testen", sagt Rasmussen. Dazu gehört, einen kritischen Umgang mit Quellen zu lehren.

Die Aufgaben werden komplexer

Das Internet enthält viele ungeprüfte Informationen, haltlose Behauptungen, von Interessen geleitete Artikel. "Das Internet macht viele Fehler", sagt Rektor Jørgensen. Die Schüler müssten lernen, die Glaubwürdigkeit der Quellen beurteilen zu können. Keine leichte Aufgabe, findet der Pädagoge. Er sei sich deshalb sicher, dass die Schüler schon ordentlich lernen müssten, um das Internet in den Prüfungen auch wirklich sinnvoll einsetzen zu können. "Man muss Wissen haben, um sich Wissen aneignen zu können". Und fügt hinzu: "Die Aufgaben werden komplexer."

In der Tat scheint man in Dänemark fest entschlossen zu sein, sich dieser Online-Revolution durch keine Bedenken mehr vermiesen zu lassen. "Sollte es Probleme mit Betrugsversuchen geben, müssen wir eben eine Lösung dafür finden", sagt Gorm Leschly, Vorsitzender des Verbands der Gymnasiallehrer. Grundsätzlich aber sei die Entwicklung zu begrüßen und nicht mehr aufzuhalten. Auch der dänische Bildungsminister Bertel Haarder steht hinter dem Projekt. Das IT-Examen stehe ganz in der Tradition dänischer Wissensvermittlung.

Kritische Stimmen aus Deutschland

So muss man schon nach Deutschland blicken, um kritische Stimmen zu finden. Hierzulande lässt der Online-Zugang in Prüfungen bisher zumindest noch auf sich warten. Und wenn es nach Heinz-Peter Meidinger geht, soll das auch so bleiben. Der Vorsitzende des Philologenverbands spricht vom "Deckmäntelchen des Modernisierers", das man sich in Dänemark offenbar umhängen wolle. Am Ende springe dabei nicht viel heraus. Zumal mit einem enormen Zeitaufwand bei den Prüfungen zu rechnen sei, um die Informationsfülle zu verarbeiten.

Die Gymnasiastin Julie Krarup hat das bereits bemerkt. Oft verzichte sie deshalb auf einen Blick ins Internet, sagt sie. "Bei meiner letzten Prüfung habe ich davon kaum Gebrauch gemacht. Mir fehlte einfach die Zeit."

© SZ vom 23.11.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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