Süddeutsche Zeitung

Öffentlicher Dienst:Mehr Freiheit, weniger Geld 

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Im öffentlichen Dienst gibt es für Ingenieure eine Menge zu tun. Doch überall werden Stellen abgebaut. Das frustriert die technischen Beamten.

Von Christine Demmer

Herbert Mösch ist Ingenieur beim Landratsamt in Bayreuth. Auf seine letzte Beförderung musste er 15 Jahre warten. Florian Brand aus Miesbach ist ebenfalls technischer Beamter. Seit 2013 hat er die Mindestwartezeit für den Aufstieg erfüllt, immerhin volle neun Jahre. Doch vor seiner Höherstufung sind noch 13 andere Kollegen an der Reihe. "Das bedeutet eine zusätzliche Wartezeit von drei Jahren", sagt er. Das bedeutet: Allein mit Leistung wird aus einem Staatsdiener noch lange kein Oberstaatsdiener - selbst wenn er zu einer der gesuchtesten Berufsgruppen in Deutschland gehört.

Clemens Schwab sammelt Stimmen wie die der beiden Ingenieure, um auf den seit Jahren andauernden Beförderungsstau beim technischen Personal in Landrats-, Bau- und Naturschutzämtern in Bayern aufmerksam zu machen. Der Vermessungsingenieur und Leiter des Bauwesens am Amt für ländliche Entwicklung in Würzburg steht ehrenamtlich dem Zentralverband der Ingenieure im öffentlichen Dienst in Bayern (ZVI) vor.

Erst unlängst hat Schwab vom Bayrischen Landtag 400 zusätzliche Ingenieurstellen gefordert. Der Landtag lehnte ab: Die Kosten stünden der Haushaltskonsolidierung entgegen. "Das war mir klar", sagt Clemens Schwab trocken. "Die größten Beamtengruppen sind Lehrer und Polizisten, und bei beiden will man aus politischen Gründen nicht sparen. Da bleiben die Ingenieure halt auf der Strecke."

Tatsächlich brauchen Bau-, Umwelt- und Naturschutzingenieure einen langen Atem, um trotz aller Zulagen von der Eingangsbesoldung aus auf ein familienfreundliches Gehalt zu kommen. Das betrifft längst nicht nur die etwa 5000 verbeamteten Ingenieure im Freistaat Bayern, sondern deutschlandweit rund 38 000 Berufskollegen aus allen Ingenieursparten. Die Zahl 38 000 stammt aus dem Jahr 2011, inzwischen dürften viele von ihnen in Pension gegangen und nicht ersetzt worden sein. Denn landauf, landab arbeitet die Politik an der Verkleinerung des Beamtenapparats. Aber wenn Ersatz für ausscheidende Ingenieure fehlt und zusätzliche Stellen nur tröpfelnd bewilligt werden, verteilt sich die Arbeit zwangsläufig auf weniger Köpfe.

Damit Planfeststellungsverfahren abgeschlossen, technisches Gerät in Betrieb gehalten und wichtige Infrastrukturaufgaben auf den Weg gebracht werden, holen sich die Verantwortlichen von Bund, Ländern und Kommunen Ingenieurwissen von außen in die Rathäuser. "Das entlastet bis zu gewissem Umfang", sagt Schwab, "aber die externen Dienstleister brauchen Ansprechpartner auf Augenhöhe."

Ingenieur im öffentlichen Dienst zu sein, bedeutet heute mehr denn je, Fremdaufträge zu vergeben und deren Erledigung zu kontrollieren. Für gestresste und auf wechselnde Ziele hinarbeitende Ingenieure mag das geradezu paradiesisch klingen. Zumal der Job beim Staat ein großes Lebensrisiko ausschließt: Egal, was man tut oder nicht tut, als Beamter kann man nicht gefeuert werden. Allenfalls droht die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, und von den Ruhestandsbezügen aus den öffentlichen Händen lebt es sich deutlich besser als von der Rente. Die hohen Pensionen und die Arbeitsplatzsicherheit sind denn auch die stärksten - böse Zungen sagen: die einzigen - Argumente für den öffentlichen Dienst.

"Die Jüngeren wollen Geld verdienen und gehen deshalb lieber in die Privatwirtschaft. Mit Anfang, Mitte dreißig versuchen sie dann, bei uns Fuß zu fassen."

Doch bei den jungen Ingenieuren ziehen diese Argumente nicht mehr. Nach außen hin leiser als die Privatwirtschaft, doch intern sehr deutlich klagen vor allem die Länder und die Kommunen über den Nachwuchsmangel im technischen Bereich. "Die Jüngeren wollen Geld verdienen und gehen deshalb lieber in die Privatwirtschaft", sagt Vermessungsingenieur Schwab, "teilweise können wir unsere Stellen gar nicht besetzen." Aber werden nicht ohnehin überall Stellen eingespart? "Das genau ist ja das Problem", klärt der ZVI-Vorsitzende auf. "Im öffentlichen Dienst Bayern müssen wir bis zum Jahr 2019 rund 40 Prozent Personalabbau erreichen. Ingenieurstellen werden also gestrichen, obwohl wir dringend Ingenieure brauchen. Und selbst wenn wir freie Stellen haben, fehlen uns die Bewerber."

Umfragen zufolge geben Hochschulabsolventen zwar der Industrie und den Dienstleistungsunternehmen den Vorzug. Nach ein paar Berufsjahren und erfolgreicher Familiengründung liebäugeln viele jedoch mit dem öffentlichen Dienst. "Mit Anfang, Mitte dreißig versuchen sie dann, bei uns Fuß zu fassen", sagt Schwab. "Aber da gibt es dann wieder andere Hürden."

Doch so anders sind diese Hürden gar nicht: Wieder dreht es sich ums Geld. Der öffentliche Dienst schreibt eine einjährige Anwärterzeit mit reduzierten Bezügen und abschließender Prüfung vor. "Als Alleinverdiener kann man davon keine Familie ernähren", sagt Schwab. Hingegen sei die Beamtenprüfung kein Kunststück. Und wenn man nach einigen Jahren die ersten Besoldungsstufen genommen hat, haben Ingenieure im Dienst der Allgemeinheit enorme Vorteile gegenüber ihren Kollegen in der Privatwirtschaft: Sie können ihren Arbeitsbereich selbständig gestalten, haben geregelte Arbeitszeiten und überschaubare Reisetätigkeiten.

Wem die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben wichtiger ist als ein hohes Einkommen, der ist bei einer Bau-, Landrats-, Denkmalschutz- oder Naturschutzbehörde sicher aufgehoben. Wer Mannschaftsgeist sucht und Mitarbeiter führen möchte, sollte an die Bundeswehr denken. Wissenschaftlich Interessierten stehen bundeseigene Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Institute oder die Max-Plank-Gesellschaft offen. Hier kann freilich längst nicht jeder auf die Verbeamtung hoffen. In der Regel bleibt es bei einer Anstellung im öffentlichen Dienst. Da paart sich zwar der Nachteil des im Vergleich zur Industrie geringeren Einkommens mit dem der im Vergleich zu Beamten geringeren Pension. Dafür sind die Möglichkeiten, am Arbeitsplatz den eigenen Forschungsinteressen nachzugehen, umso größer. Und dabei fällt das Warten auf die Beförderung vermutlich leichter.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2015
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