Süddeutsche Zeitung

Ausbildung beim Staat:Lieber ein sicherer als ein spannender Job

Viele Abiturienten liebäugeln mit dem öffentlichen Dienst. Das hat verschiedene Gründe.

Von Bärbel Brockmann

"Geh doch in den öffentlichen Dienst. Da hast du einen sicheren Arbeitsplatz, schuftest dich nicht krumm und später ist auch in der Rente gut für dich gesorgt." Viele Eltern haben in den vergangenen Jahrzehnten versucht, ihren Kindern ein Berufsleben bei Vater Staat schmackhaft zu machen. Eher selten mit Erfolg. Meistens winkten die Kinder ab: "Bloß nicht, das ist total uncool, und man verdient auch schlecht."

Junge Menschen der sogenannten Generation Z sehen das etwas anders. Mit "Generation Z" sind die um die Jahrtausendwende Geborenen gemeint; sie machen jetzt ihr Abitur und müssen sich entscheiden, was sie einmal werden wollen. Nach einer im Dezember 2020 von der Beratungsgesellschaft EY veröffentlichten Studie will inzwischen mehr als ein Viertel der jungen Menschen in den öffentlichen Dienst. Nicht unbedingt, weil ihnen die Art der Tätigkeit dort besonders gefällt. In diesem Punkt bevorzugten die angehenden Akademiker andere Branchen, IT und Software etwa, das Gesundheitswesen oder auch die Wissenschaft. Aber befragt, was bei der späteren Arbeitgeberwahl den Ausschlag gebe, nannten 67 Prozent die Jobsicherheit. Verglichen mit der Befragung zwei Jahre früher ist das immerhin eine Zunahme von zehn Prozent.

Als Beamter muss man sich wohl keine Sorgen um seine berufliche Existenz macht - dieser Gedanke motiviert

"Den jungen Menschen heute ist Sicherheit sehr wichtig. Die Corona-Pandemie hat dieses Sicherheitsbedürfnis noch verstärkt. Außerdem hat die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bei ihnen eine hohe Priorität. Und hier glauben sie, ist der öffentliche Dienst für sie genau richtig", sagt Andreas Butz, Personalexperte bei EY. Die EY-Studie wurde auf Basis der Befragung von Bachelor-Studierenden erstellt. Aber Butz weist darauf hin, dass der Altersunterschied eines Zweitsemesterstudenten zu einer Abiturientin minimal sei.

Erik Jardin beispielsweise will Polizist werden. Der 18-Jährige geht auf ein Gymnasium in Pulheim bei Köln und macht im Mai sein Abitur. Für ihn war schon länger klar, dass er später im öffentlichen Dienst arbeiten will. Lehrer werden war zuerst eine Option, aber dann fand er die Polizei doch spannender. Denn man kommt mehr herum, hat mit vielen Menschen zu tun, während man in der Schule meist an einen Ort gebunden ist und auch immer mehr oder weniger denselben Unterrichtsstoff vermitteln muss. Den mehrstufigen Bewerbungsprozess bei der Landespolizei Nordrhein-Westfalen hat er schon gestartet. Das fing mit einem ausgefüllten Online-Fragebogen und per Post verschickten medizinischen Angaben an und ging weiter mit einem Bewerbungsgespräch und einem Assessment-Center. "Jetzt steht nur noch der medizinische Test aus. Dann wäre ich angenommen. Das wäre natürlich ein Traum", sagt der junge Mann. Später einmal will er im Landeskriminalamt arbeiten. Bei seiner Wahl spielte aber nicht nur die Neigung eine Rolle, sondern auch die Erwartung, sich keine Sorgen um seine berufliche Existenz machen zu müssen. "Als Beamter wird man nicht reich, aber man verdient genug, um durchs Leben zu kommen. Und man hat diese Sicherheit im Beruf und damit im Leben. Das ist mir sehr wichtig", sagt er.

Nach dem Abitur gibt es in der Regel zwei Wege in den öffentlichen Dienst. Entweder, man macht ein Studium und bewirbt sich anschließend auf eine Stelle in einer Behörde. Oder man bewirbt sich direkt bei einer Behörde. In diesem Fall absolviert man dort in der Regel ein duales Studium. "Die dualen Studiengänge sind fachbezogen auf eine bestimmte Behörde oder eine bestimmte Aufgabe", sagt Beate Scherupp-Hilsberg, Expertin im Bereich Berufsberatung bei der Bundesagentur für Arbeit. Mit Abschluss dieser Ausbildung, in der man bereits Geld verdient, startet man dann im gehobenen Dienst. "In der Regel", wie Scherupp-Hilsberg betont, denn die Situation sei von Bundesland zu Bundesland durchaus unterschiedlich. Von der Laufbahn des gehobenen Dienstes hat man später oftmals auch die Möglichkeit, in den höheren Dienst aufzusteigen. "Je nach Behörde sind die Laufbahnen heute sehr durchlässig. Jemand, der aufsteigen möchte, vielleicht eine Führungsposition anstrebt, hat dazu vielfach die Möglichkeit", sagt Scherupp-Hilsberg.

Manche haben am Ende des Studiums Zweifel, ob es richtig ist, Einbußen beim Einstiegsgehalt hinzunehmen

Lars Scheffer hatte zunächst auch mit dem öffentlichen Dienst geliebäugelt. Polizist, Lehrer, vielleicht Rechtspfleger, das kam für den 17-Jährigen eine Zeit lang infrage. Aber dann fand er keinen dieser Berufe für sich wirklich interessant. Inzwischen tendiert der Gymnasiast aus Nordrhein-Westfalen eher zu einem Ingenieursstudium wie Elektrotechnik oder Maschinenbau. Scheffer bereitet sich gerade auf das Abitur vor und schätzt die Sicherheit, die der öffentliche Dienst als Arbeitgeber bietet. "Sicherheit hört sich erst einmal gut an, man kann vieles besser planen, und auch die Pension, die man später als Beamter bekommt, ist sehr gut. Aber für mich muss der Job vor allen Dingen Spaß machen. Denn wenn man tut, woran man Spaß hat, macht einem das das Leben leichter", sagt er. Geld ist auch bei Lars Scheffer nicht das treibende Argument. Man braucht es, um leben zu können, nicht mehr und nicht weniger.

Diese Haltung findet auch Andreas Butz von EY in den Befragungen von jungen Menschen grundsätzlich bestätigt. Aber am Ende eines Studiums kämen vielen dann vielleicht doch Zweifel, ob es richtig ist, für die Sicherheit des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst beim Einstiegsgehalt auf vier- oder fünftausend Euro im Jahr zu verzichten. "Wir sehen beim öffentlichen Dienst in der Vergütung einen strategischen Nachteil, denn grundsätzlich spielt Geld schon eine Rolle", sagt er. Neben dem Einkommen, der Freude an der Arbeit und der Sicherheit des Arbeitsplatzes ist vielen jungen Menschen auch das Ansehen wichtig, das sie im späteren Beruf haben werden. Das drückt sich nicht mehr in Statussymbolen wie einem Eigenheim oder einem großem Dienstwagen aus, sondern in dem Wunsch, etwas Sinnvolles und Gutes zu tun. "Wenn man in seinem Beruf etwa bewegen kann, kann man darauf stolz sein. Ich möchte meinen Kindern einmal zeigen, dass ich stolz auf meine Arbeit bin", sagt Erik Jardin.

Der öffentliche Dienst in Deutschland mit seinen circa 4,8 Millionen Beschäftigten braucht dringend Nachwuchs. Bis 2030 prognostiziert die Unternehmensberatung Mc Kinsey & Company eine Personallücke von 730 000 Menschen, vor allem weil bis dahin jeder dritte Beschäftigte in Rente geht. Allein in der mittleren Führungsebene, die größtenteils schon mit Akademikern besetzt ist, sollen dann 400 000 Stellen unbesetzt sein. Schon heute fehlt es an allen Ecken und Enden. Lehrer sind knapp, im Bauamt bleiben die Bauanträge lange unbearbeitet, weil die Sachbearbeiter fehlen, und die Digitalisierung kommt nur stockend voran, weil IT-Fachleute in die Privatwirtschaft gehen, statt zum Staat.

Dass die Generation Z die Lücke füllen wird, die die ausscheidenden Baby-Boomer hinterlassen, ist zumindest zweifelhaft. Denn selbst wenn die derzeitige Attraktivität in den Augen der jungen Menschen anhielte und sie nach ihrer Ausbildung tatsächlich in den öffentlichen Dienst gingen, wären es immer noch zu wenige, um die Lücke zu schließen.

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