Süddeutsche Zeitung

OECD zu Bildung:Lernen in der Kita: Je früher, desto besser

Wer als Kind richtig gefördert wurde, bekommt später ein höheres Gehalt. Deshalb rät die OECD, ihre Bildungsausgaben umzuschichten - Kleinkinder sollten stärker unterstützt werden.

Felix Berth

Je jünger ein Kind ist, desto mehr Geld sollte der Staat dafür ausgeben. Das verlangt eine Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die OECD, die auch die Pisa-Studien verantwortet, rät Industriestaaten wie Deutschland deshalb zu einer grundlegenden Korrektur der Bildungsausgaben: "Immer noch geht der größte Teil des Budgets an Kinder im schulpflichtigen Alter", kritisiert die Studie. Die frühe Kindheit komme dabei in fast allen Staaten zu kurz. Länder wie die Bundesrepublik sollten deshalb "eine Neuausrichtung der Bildungsausgaben zugunsten der ersten Lebensjahre" vornehmen.

Die Studie "Doing better for families" stützt sich auf Ergebnisse von Ökonomen, Psychologen und Hirnforschern. "Die frühen Jahre von Kindern sind entscheidend für ihre späteren Leistungen", so der OECD-Bericht. Werden Kinder schon vor Schulbeginn angemessen unterstützt, würden sie später in der Schule besser abschneiden. Als Erwachsene hätten sie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt; außerdem würden sie höhere Einkommen erzielen. Aus Sicht des Staates seien Investitionen in frühe Bildung deshalb am lohnendsten.

Die OECD stellt zwar fest, dass die meisten Industriestaaten ihre Ausgaben für frühe Bildung in den vergangenen Jahren gesteigert haben. Derzeit komme im Schnitt etwa ein Viertel aller Familienausgaben Kindern unter sechs Jahren zugute. Doch das grundlegende Muster habe sich nicht geändert: Immer noch gehe die meiste staatliche Unterstützung an Familien mit Kindern im Schulalter. Dies sollten Länder überdenken, gerade wenn sie - wie derzeit häufig - Sparprogramme zu Lasten der Familien planen. Dann sollten Fördermittel umgeschichtet werden, "von späteren Lebensabschnitten möglichst weit nach vorn".

Die OECD äußert sich besorgt über die wachsende Kinderarmut, die häufig mit Arbeitslosigkeit der Eltern einhergeht. Gerade Alleinerziehende bräuchten deshalb bessere Chancen, Arbeitsplätze zu finden. Die gängige These, dass dies in den meisten Fällen ausschließlich an fehlender Kinderbetreuung scheitert, vertritt die OECD allerdings nicht. Die Studie weist hingegen darauf hin, dass es sich für Alleinerziehende oft gar nicht lohne, einen Job anzunehmen.

In Deutschland etwa habe eine arbeitslose Alleinerziehende mit Kindern im Alter von zwei und drei Jahren kaum einen ökonomischen Anreiz, einen Job zu suchen: Von einem durchschnittlichen Einkommen würden auf ihrem Konto etwa 87Prozent gar nicht ankommen - dieser Anteil werde für Kita-Gebühren, Sozialleistungen, Steuern sowie entfallene staatliche Hilfen fällig.

Nur wenige Staaten schneiden in dieser Modellrechnung noch schlechter ab: In der Schweiz und in Irland sinke das verfügbare Einkommen sogar, sobald eine Alleinerziehende eine Arbeit aufnimmt. Die meisten OECD-Staaten haben das Problem allerdings besser gelöst: Bei ihnen bleibt Alleinerziehenden bei Arbeitsbeginn mehr netto vom brutto als in Deutschland.

Die Untersuchung warnt davor, von familienpolitischen Initiativen einen großen Impuls für Geburtenraten zu erwarten. Finanzielle Unterstützungen hätten tendenziell einen positiven, gleichwohl aber sehr kleinen Effekt auf die Fertilität. Allerdings, so die OECD, zeigen die skandinavischen Staaten, dass Geburtenraten nicht immer nur sinken können: In Dänemark, Schweden, Island und Norwegen bekommen Frauen seit einigen Jahren wieder mehr Kinder.

"Elternschaft und beruflicher Erfolg schließen einander nicht aus"

Dazu trage ein Bündel von Leistungen bei, zu denen gute Kinderbetreuung und Elterngeld-Regelungen zählen. Auch dass das Einkommen von Frauen nicht wesentlich niedriger sei als das von Männern, sei förderlich: "Elternschaft und beruflicher Erfolg schließen einander nicht aus, sondern gelten hier als etwas, das sich gleichzeitig realisieren lässt", so die OECD.

Die OECD kritisiert, dass das Thema Kindesmisshandlungen bisher international zu wenig beachtet worden sei. Neben dem moralischen Aspekt ("Eine verantwortungsvolle Gesellschaft hat die Pflicht, alles zu tun, um Kindesmisshandlungen zu verhindern"), betont die OECD, dass jede Kindeswohlgefährdung eine Gesellschaft ökonomisch beeinträchtige. Nach Schätzungen für die USA und Australien entstehe diesen Staaten durch Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern jährlich ein Schaden in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Am besten geschützt seien Kinder in Ländern mit geringen sozialen Unterschieden und niedrigen Armutsquoten: Dort würden deutlich weniger Kinder misshandelt als in Staaten mit großer Ungleichheit und hoher Armut.

Ein extremes Beispiel sei Russland, wo - anders als in den allermeisten Industriestaaten - die Zahl der Kindstötungen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sei. Sie sei dort inzwischen fast zehnmal so hoch wie in Dänemark, Deutschland oder Frankreich.

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SZ vom 28.04.2011/holz
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