Süddeutsche Zeitung

OECD-Studie:Fürs Arbeitsleben ungeeignet

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Nur Platz 15 von 17: Eine Studie gibt deutschen Hochschulen schlechte Noten, weil sie elitär und ineffizient sind.

Cerstin Gammelin

Deutsche Hochschulen bilden zu wenig aus und orientieren sich nicht genug an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Das ist ein Ergebnis einer Studie der Brüsseler Denkfabrik The Lisbon Council, die an diesem Dienstag in der belgischen Hauptstadt vorgestellt wird.

"Ziel deutscher Hochschullehrer ist es, gute Wissenschaftler auszubilden", sagte Peer Ederer, Direktor für Bildung am Lisbon Council, der Süddeutschen Zeitung. Ob damit die Qualifikationen vermittelt würden, die die Absolventen am Arbeitsmarkt bräuchten, "ist für die meisten Hochschullehrer zweitrangig. Sie glauben, der Arbeitsmarkt wird es schon richten", kritisierte Ederer.

Soziale und ökonomische Qualifikationen

Die Studie vergleicht Hochschulsysteme aus siebzehn Ländern, die der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angehören. In dem Ranking belegt Deutschland nur Rang 15, vor Österreich und Spanien. Die Hochschulsysteme dieser drei Staaten seien "am wenigsten effizient", schreiben die Wissenschaftler.

Bestnoten vergaben sie an die Hochschulsysteme aus Australien, Dänemark und Großbritannien. Die Universitäten und Hochschulen dieser Staaten würden ihre Ausbildungspläne am besten an den sozialen und ökonomischen Qualifikationen ausrichten, die "auf einem modernen, wissensbasierten Arbeitsmarkt gefordert werden".

Zudem hätten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung besonders viele Menschen in diesen Staaten Zugang zu Hochschulen. Das sichere sowohl produzierenden Unternehmen als auch der Dienstleitungsbranche eine Vielzahl an gutausgebildeten Arbeitskräften.

Bildungssysteme für die Massen

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass entlang der Qualität der Hochschulsysteme zwei Ländergruppen unterschieden werden können. Die Systeme in angelsächsischen Ländern und in Skandinavien seien darauf ausgerichtet, "dass möglichst viele Menschen eine möglichst gute Ausbildung abschließen, um dann im Arbeitsmarkt möglichst gut Geld zu verdienen", sagte Ederer. Neben den drei führenden Ländern dominierten mit Finnland, Irland, Schweden und den USA gleich sieben skandinavisch-angelsächsische Staaten die oberen Plätze des Rankings.

Auffällig sei zudem, dass der Block aus germanisch-romanischen Staaten das Schlusslicht bilde. Dazu gehörten neben Deutschland, Australien und Spanien auch Frankreich, Ungarn, Italien, die Niederlande, die Schweiz und Polen. Ohne generell über Vorzüge und Nachteile von sozialen und ökonomischen Modelle urteilen zu wollen, so schreiben die Wissenschaftler, sei doch ersichtlich, dass diese Staaten ihre Hochschulsysteme zu wenig für breitere Bevölkerungsschichten öffneten.

"Viel mehr Menschen müssen einen demokratischen und leichten Zugang zur Hochschulbildung bekommen", sagte Bildungsdirektor Ederer. Er kritisierte, dass gerade Deutschland viel zu wenig hochqualifizierte Fachkräfte ausbilde. Den meisten Studenten bleibe der Abschluss der höchsten Bildungsstufen verwehrt. Die seien praktisch nur Eliten zugänglich.

Auf der nächsten Seite: Europa muss massiv in Bildung investieren.

Kreativität, Flexibilität und Lust am Lernen

Ein Universitätssystem habe aber weit umfangreichere Aufgaben als "nur Nobelpreisträger zu erzeugen oder Lehrern eine Anstellung auf Lebenszeit zu garantieren", heißt es in der Studie. Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, benötigten deutsche Unternehmen "eine breite Basis an modern ausgebildeten Arbeitskräften". Gleichwohl sei Deutschland für viele ausländische Studenten ein attraktiver Studienort.

Derzeit verfügt Europa weltweit über die höchste Dichte an hochqualifizierten Arbeitskräften. Um diesen Vorsprung vor den rasch aufschließenden Volkswirtschaften aus Indien oder China zu sichern, "müssen wir jetzt massiv in Bildung investieren", sagte Paul Hofheinz, Direktor des Lisbon Council. Die Hochschulen müssten ihre Bildung darauf ausrichten, vor allem Fähigkeiten wie Kreativität, Flexibilität und die Lust am Lernen zu fördern.

"Wir brauchen noch mehr gut ausgebildete Menschen", forderte Hofheinz. Die Brüsseler Denkfabrik wolle mit dem Ranking der Hochschulsysteme vor allem die Debatte darüber eröffnen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Bisher zeigten sich die EU-Mitgliedsländer zu wenig flexibel. Hofheinz sprach sich auch dafür aus, die Bildungsangebote attraktiver zu machen.

Die Wissenschaftler des Lisbon Council plädieren zudem dafür, die Voraussetzungen für lebenslanges Lernen zu schaffen. Universitäten und Hochschulen dürften nicht nur 20 bis 29-Jährigen offen stehen. Auch Menschen, die bereits mitten im Berufsleben stünden, müssten ohne komplizierte Formalitäten an den Hochschulen lernen dürfen. "Wir brauchen Institutionen für lebenslanges Lernen", sagte Bildungsdirektor Ederer.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2008/heh
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