Süddeutsche Zeitung

Weiterbildungen zur agilen Arbeit:Show oder Start in bessere Teamarbeit?

Lesezeit: 3 min

Flache Hierarchien und mehr Flexibilität: Manche Entscheider setzen auf New Work für den Unternehmenserfolg. Was hinter diesem Führungsstil steckt.

Von Christine Demmer

"Von morgen an arbeiten wir agil!" Diese Anordnung eines Chefs ist ein Witz für Eingeweihte, denn sie ist aus Sicht von Anhängern der sogenannten New Work ein sicherer Weg in die Sackgasse. Hinter der agilen Arbeit, ein Wesensmerkmal der New Work, steht nämlich nicht das strikte Anordnen, sondern das Befähigen der Mitarbeiter, auf Veränderungen blitzschnell reagieren zu können. Agile Arbeit gilt heute als Patentrezept für den Unternehmenserfolg. Wer allerdings per Anweisung geführt und bei jedem Fehler mit Strafe rechnen muss, kann gar nicht agil arbeiten. New Work funktioniert nur dann, wenn Unternehmen auf die Kompetenz und Leistungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter vertrauen und ihnen die Entscheidung überlassen, was wie wo und wann getan werden muss: "Machen Sie das so, wie Sie meinen."

In speziellen Fortbildungen werden Chefinnen und Chefs mit den Prinzipien der New Work vertraut gemacht. "Es gibt kein Unternehmen, das sich nicht mit der neuen Organisation von Arbeit befassen muss", betont Carsten Meier, einer der Mitbegründer der Berliner New-Work-Beratung Intraprenör. Sein Traum ist es, die Arbeitswelt so zu verändern, "dass viel mehr Menschen morgens gern zur Arbeit gehen und es ihnen möglich ist, sich mit ihren Talenten und Fähigkeiten einzubringen".

Ein Seminar zu dieser Thematik zu besuchen, ist auch deshalb sinnvoll, weil so manche Führungskraft ordentlich daran zu knabbern hat, dass ihre Autorität jederzeit von einem Teammitglied herausgefordert werden kann. Frithjof Bergmann, austroamerikanischer Philosoph und Erfinder der New Work, empfiehlt sogar, bei jeder Strategieentwicklung die Mitarbeiter einzubeziehen und zu fragen: "Passt das für dich? Gehst du mit? Und was kannst du dazu beitragen?" Allerdings prallen dabei zuweilen Eigenbild und Fremdbild aufeinander. Denn wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin glaubt, einen sinnvollen Beitrag leisten zu können, kann der Vorgesetzte das womöglich ganz anders sehen - und umgekehrt.

Mehr Freiheiten für die Mitarbeiter gehören ebenso dazu wie Coaching

New Work schließt nicht nur die Verlagerung der Verantwortlichkeit auf die ausführende Ebene sowie die Freigabe von Arbeitszeit und -ort mit ein, sondern auch motivierendes Coaching durch die Vorgesetzten. An dieser Stelle setzen die Weiterbildungsangebote für Führungskräfte, Personaler und Organisationsfachleute an. In Dauer und Intensität sind sie ebenso unterschiedlich wie die Art und Weise, in der New Work in den Betrieben ausgestaltet werden kann. Interessenten sollten sich gut überlegen, ob ihnen ein Überblick über die Ziele und Methoden von New Work genügt oder ob sie beim Umbau ihres Unternehmens mitwirken und tiefergehende Kenntnisse dazu erwerben wollen.

Ebenso groß wie das inhaltliche Spektrum der Fortbildungsseminare ist die Preisspanne - die Kosten können mehrere Hundert bis einige Tausend Euro betragen. Über die Führungsweisen in der New Work aufzuklären und darin zu schulen verspricht zum Beispiel die WiSo-Führungskräfte-Akademie (WFA) mit ihrem Online-Kurs "Agile & Digital Leadership". In vier Sitzungen à 120 Minuten Dauer werden Managerinnen und Manager mit dem Thema vertraut gemacht. Einem zweitägigen Webinar zum agilen Arbeiten der Trainer Company in Berlin schließt sich eine Praxisphase an, in der die Seminarleiter zwei Wochen lang Führungskräfte bei der Umsetzung des Gelernten in die Praxis unterstützen.

An Personaler wendet sich die Haufe Akademie mit ihrem ebenfalls zweitägigen Zertifikats-Seminar "New Work - Gestaltungsumfeld für HR", das in diesem und nächsten Jahr in mehreren deutschen Großstädten stattfindet. Es beginnt mit der Selbstreflexion -"Was lässt mich morgens aufstehen?" - und endet mit der Vorstellung neuer Organisations- und Führungsprinzipien. Zudem bestimmen die Teilnehmer den Standort ihres eigenen Unternehmens - "Wie sieht unsere Kultur aus, und wie messen wir sie?" Und sie erfahren, was die Personalabteilung zur Gestaltung der neuen Arbeitswelt beitragen kann. Der letztgenannte Punkt ist zentral in der achttätigen, berufsbegleitenden Ausbildung zum New Work Facilitator, die von der TAM Akademie Berlin angeboten wird. Personaler oder andere Fach- und Führungskräfte, die New Work zu ihrem Beruf machen und zu Experten für die Gestaltung agiler Arbeitswelten werden wollen, können an der IU Internationalen Hochschule ein Fernstudium belegen - und einen Bachelor- oder den MBA-Titel erwerben.

Die Bedürfnisse des einzelnen Mitarbeiters treten oft zu sehr in den Hintergrund

So schön die Botschaft von der neuen, selbstbestimmten Arbeitswelt klingt: Die meisten Experten stimmen darin überein, dass es nicht reichen wird, nur die Entscheidungen nach unten zu delegieren, die Arbeitsstrukturen zu lockern und die Führungskräfte und Mitarbeiter zu coachen. "Der strukturelle Empowerment-Ansatz und mit ihm viele New-Work-Initiativen konzentrieren sich auf die Strukturen eines Unternehmens und nicht auf die Menschen, die in diesen Strukturen arbeiten müssen", kritisiert Carsten Schermuly, Professor an der SRH Hochschule Berlin. In der zu geringen Beachtung des Individuums sieht er das Scheitern vieler Maßnahmen begründet. "Während ein Mitarbeiter aufgrund eines hohen Sicherheitsbedürfnisses das Arbeiten in einer Hierarchie schätzt", nennt Schermuly ein Beispiel, "kann sich ein anderer in derselben Arbeitssituation in seinem Autonomiebedürfnis verletzt fühlen". Wenn Agilität gar zur Show wird, man im Büro ein paar Wände einreißt, von Schreibtisch auf Rollcontainer umstellt und jeder Vorgesetzte kurzerhand zum Coach seiner Leute erklärt wird, ist New Work meilenweit entfernt.

Auf den richtigen Kurs kommen kluge Steuerleute, die vor allem eines verstehen: ihre Crew behutsam in die neue Arbeitswelt zu führen und bei dem Veränderungsprozess die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter zu respektieren.

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