Neue Unternehmensmodelle:Arbeit, Leben und alles dazwischen

Lesezeit: 7 Min.

Einzelne Lebensbereiche zu vereinbaren, ist vor allem für Frauen eine Herausforderung. Von den Lösungen profitieren jedoch alle, wie diese vier Firmen beweisen.

Von Ann-Kathrin Eckardt, Felicitas Wilke, Kathrin Werner und Lea Hampel

Dark Horse: Machen statt diskutieren

  • Unternehmen: Dark Horse
  • Firmensitz: Berlin
  • Beschäftigte: 30
  • Sagen von sich: Wir sind alle Chefs

Als Manuel Ott seinen Eltern erzählte, dass er mit 29 Kommilitonen eine Firma gründen will, hatte er ein paar Wochen später eine Stellenausschreibung der Stadt Freiburg im Briefkasten. Der Absender: sein Vater. Auch Freunde und Bekannte warnten den Geografen: Bist du verrückt? Mit 30 Leuten eine Firma gründen?

Sechs Jahre später sitzt der 34-Jährige an einem langen Holztisch in einer Wohnküche in Berlin Kreuzberg. Es ist, wenn man so will, sein Arbeitsplatz, aus dem Start-up ist längst ein richtiges Unternehmen geworden, dessen Kundenliste sich wie ein Auszug aus dem Dax liest: SAP, Telekom, DHL, Audi, E.on, Lufthansa, Deutsche Bahn.

Sie alle wollen von der Innovationsagentur lernen, neu zu denken. "Machen statt diskutieren" ist dabei ein zentraler Grundsatz. Ideen werden nicht mehr in endlosen Meetings zu Tode analysiert, sondern mit Pfeifenputzern, Tonpapier, Styroporkugeln und anderem Krimskrams zu Modellen geformt. Raus aus den Büros, rein in die Bastelecke. Und vor allem: rein in eine neue Arbeitswelt.

"Wir haben uns selbst unseren Traumarbeitsplatz geschaffen"

Denn die 30 Gründer - alle Absolventen eines Design-Thinking-Aufbaustudiums in Potsdam - lehren nicht nur eine neue Art zu denken. Sie leben auch eine neue Art zu arbeiten vor, haben einen Gegenentwurf zu einer Arbeitswelt geschaffen, in der Geldverdienen ein notwendiges Übel und das Wochenende der einzige Lichtblick im Arbeitsalltag ist. Bei Dark Horse dagegen lautet das Motto: Thank God it's Monday!

"Wir haben uns selbst unseren Traumarbeitsplatz geschaffen": die Innovationsagentur Dark Horse in Berlin (Foto: KAY HERSCHELMANN)

"Wir haben uns selbst unseren Traumarbeitsplatz geschaffen", sagt Manuel Ott. Zurzeit ist der 34-Jährige einer von 17 so getauften Mönchen. Kutte und Kreuz tragen sie allerdings alle nicht. Ein Mönch ist bei Dark Horse ein Gründer, der arbeitet. Sie halten den Laden am Laufen. Die Pilger hingegen kriegen ein Kind, gehen auf Reisen, schreiben ihre Doktorarbeit, arbeiten woanders, bekommen in der Zeit aber auch kein Geld. Einmal im Jahr kann jede und jeder sagen, was er im nächsten Jahr sein will, Mönch oder Pilger, und wenn er arbeitet, wie viele Stunden.

Bezahlt wird nach einem Mischmodell

"Wir wollen gar nicht, dass jeder unbedingt Vollzeit für Dark Horse arbeitet", sagt Lisa Zoth, Otts Kollegin. "Das Interdisziplinäre ist unser großer Schatz. Jeder bringt ja von einer anderen Arbeit oder einer Reise Ideen und Kontakte mit."

Jeden Freitagmorgen beim Jour fixe werden die anfallenden Aufgaben und Aufträge am langen Holztisch verteilt. Bezahlt wird nach einem Mischmodell: Es gibt eine Grundausschüttung für alle und je nachdem, wie viele Projekte man hat, verdient man anteilig mehr. Ämter und Dienste rotieren. Entschieden wird nicht demokratisch, sondern nach dem Prinzip der Soziokratie. Heißt: Wer da ist, hat das Sagen.

Ein Moderator - einen Chef gibt es ja nicht - fragt die Anwesenden einzeln: "Kannst du mit der Entscheidung leben?", und nicht etwa: "Bist du dafür?" Wer sein Veto einlegt, muss einen Alternativvorschlag machen. "Natürlich", sagt Ott, "gibt es auch bei uns mal Streit", aber nach sechs Jahren sind immer noch alle 30 Gründer miteinander befreundet.

  • Unternehmen: Vaude
  • Firmensitz: Tettnang
  • Beschäftigte: ca. 500
  • Sagen von sich: Bis fünf Uhr reicht

Antje von Dewitz, Vaude-Chefin und selbst vierfache Mutter, setzt auf Familienfreundlichkeit und Flexibilität: "Kinder sind bei uns im Unternehmen eigentlich immer präsent, an der Baby-Fotowand in meinem Büro genauso wie in unserem Kinderhaus. Alle Kollegen machen sich einen Spaß daraus zu spekulieren, wer wieder schwanger sein könnte. 24 Babys wurden in diesem Jahr in unser Unternehmen hineingeboren. Hochgerechnet auf unsere fast 500 Angestellten ist das schon sehr viel, wenn man bedenkt, dass in Deutschland pro 1000 Einwohner acht Babys auf die Welt kommen.

Chefin und vierfache Mutter: Antje von Dewitz setzt bei Vaude ganz auf Familienfreundlichkeit und Flexibilität. (Foto: © Michael Trippel; SZ)

Mein Vater hatte bereits Ende der Achtziger Pläne für das Kinderhaus geschmiedet, ich habe es dann 2001 gegründet - auch, weil meine eigenen Erfahrungen mit ins Spiel kamen: Als ich gerade bei Vaude angefangen hatte, wurde ich schwanger und musste schauen, wie das mit der Vereinbarkeit klappt. Zwischendurch habe ich in einem Unternehmen gearbeitet, das mir wenig Flexibilität zugestanden hat. Ich hätte nicht mit gutem Gewissen gehen dürfen, wenn mal was mit meinen Kindern gewesen wäre.

Manchmal ist es der helle Wahnsinn!

Damals habe ich gespürt, was das mit mir macht und wie es mir die Energie entzieht. Dieses Gefühl soll bei Vaude niemand haben. Klar, es ist ein großer organisatorischer Aufwand: Bei uns arbeitet mehr als 50 Prozent der Belegschaft in Teilzeit, es gibt alles, von 15 bis 95 Prozent Arbeitszeit, viele arbeiten öfter von zu Hause aus. Und 24 Babys bedeuten, Mutterschutz und Erziehungszeiten einzuplanen, befristeten Ersatz zu finden, Rückkehrer wieder einzugliedern.

Manchmal ist es der helle Wahnsinn! Trotzdem. Wir haben nicht nur 38 Prozent weibliche Führungskräfte, sondern auch männliche Abteilungsleiter, die mit erfolgreichen Frauen zusammen sind und sich die Verantwortung für die Kinder aufteilen. Viele von ihnen müssen um fünf als Führungskräfte gehen, um die Kinder abzuholen und nach Hause zu bringen.

Ich lebe unsere Unternehmenskultur auch selbst: abends möglichst keine Meetings, so oft wie möglich um sechs zu Hause sein und die Wochenenden für die Familie freihalten. Ich kann heute in verantwortungsvoller Position so arbeiten, wie es sich für mich richtig anfühlt. Dass ich heute auch woanders vier Kinder hätte und angestellte Unternehmensleiterin wäre? Glaub ich fast nicht."

  • Unternehmen: Vita Needle Company
  • Firmensitz: Needham, Mass., USA
  • Beschäftigte: ca. 50
  • Sagen von sich: Wir sind Freunde fürs Leben

Der Älteste ist jeden Morgen als erstes in der Fabrik. Bill Ferson ist 97 Jahre alt und berufstätig. Er ist Mitarbeiter einer kleinen Firma im Örtchen Needham im US-amerikanischen Bundesstaat Massachusetts. Sie heißt Vita Needle und fertigt kleine Edelstahlrohre und Präzisionsnadeln. Als er bei der Firma anheuerte, wollte er eigentlich nur einen Teilzeitjob für ein paar Monate. Das ist jetzt 27 Jahre her. "Ich werde nie aufhören zu arbeiten", sagt der Weißhaarige heute.

Bill Ferson, 94 Jahre alt (Foto: GE; SZ)

Bill Fersons hohes Alter ist keine große Ausnahme bei Vita Needle. Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter ist 73 Jahre. Während in den USA wie in Deutschland schon Menschen ab Mitte 40 Schwierigkeiten haben, einen neuen Job zu finden, sobald sie arbeitslos werden, gilt bei Vita Needle: Je älter, desto besser.

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Ältere Leute könnten sich besser auf Details konzentrieren und achteten mehr auf Qualität, sagt Firmenchef Frederick Hartman. Das ist wichtig in seiner Fabrik, in der noch viel per Hand gedrechselt wird. Außerdem würden die Alten seltener kündigen als junge Mitarbeiter.

Bei Vita Needle wird noch viel in Handarbeit gefertigt. (Foto: GE; SZ)

Seit vor allem Alte in der Firma arbeiten steigt der Gewinn

Seit 1932 gibt es das Unternehmen, es gehört schon seit mehr als 80 Jahren Hartmans Familie. Uralte Mitarbeiter hat er aber erst seit den 80er-Jahren, als er an die Firmenspitze rückte. Damals konnte Vita Needle in einer Krise nur Teilzeitjobs vergeben. Die einzigen Bewerber waren schon recht alt und hatten ihre vorherigen Jobs verloren.

"Es war eine Offenbarung", sagt Hartman. "Und ein gutes Arrangement für uns alle." Seitdem stieg der Gewinn der Firma. Die Lohnkosten sind auch deshalb so gering, weil der Staat für die alten Teilzeitkräfte die Krankenkasse und andere Lohnnebenkosten übernimmt. Sie verdienen zwischen 10 und 20 Dollar pro Stunde.

Unternehmensgründer Fred Hartman (links) und sein Sohn Frederick Hartman stehen in den Firmenräumen von Vita Needle. (Foto: GE; SZ)

"Ich werde hier nicht reich", sagt Bill Ferson. Im Gegenzug bekommt er aber absolute Freiheit. Die Mitarbeiter können zu Hause bleiben, wenn sie auf die Enkel aufpassen wollen. Jeder kann in seinem eigenen Tempo arbeiten. Die Kahlen und Weißhaarigen machen Mittagspause zusammen im so genannten Clubhaus, erzählen sich Geschichten. "Meine Freunde sind alle unter der Erde", sagt Ferson. "Das hier sind alles meine neuen Freunde."

Rosa Finnegan hielt lange den Rekord als älteste Mitarbeiterin. "Herzukommen hält mich am Laufen, es ist etwas, auf das ich mich freuen kann", sagte sie in einem Interview im Jahr 2013. Sie starb kurze Zeit nachdem sie ihren Job aufgegeben hatte - im Alter von 102 Jahren.

  • Unternehmen: Häring & Ludwig
  • Firmensitz: Gröbenzell
  • Beschäftigte: 2
  • Sagen von sich: Halbe Zeit, volle Kraft

PLAN W: Sie haben in München eine Personalberatung gegründet, die Hochqualifizierte in Teilzeit und Jobsharing vermittelt. Warum?


Martina Ludwig: Wir selbst haben lange in Teilzeit gearbeitet und schlechte Erfahrungen mit Headhuntern gemacht, die an Teilzeitbeschäftigten kein Interesse haben. Weil die Provision nun mal vom Jahresgehalt abhängt und bei Teilzeit entsprechend niedrig ausfällt.

Christina Häring: Und weil wir viele super ausgebildete und kompetente Frauen kennen, die aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten und es damit unheimlich schwer haben, sich beruflich zu entwickeln und zu verändern - auf ihrem Niveau. Daraus ist die Idee entstanden, eine Personalberatung mit Fokus auf flexiblen Arbeitsmodellen zu gründen.

Ludwig: Und dass flexible Modelle funktionieren, das leben wir selbst vor: Wir leiten unser Unternehmen im Jobsharing.

Christina Häring (links) und Martina Ludwig (rechts) wollen Arbeitgeber davon überzeugen, dass Karriere in Teilzeit möglich ist. (Foto: N/A)

Welche Voraussetzungen braucht es, damit Jobsharing auch wirklich klappt?

Häring: Die Chemie muss stimmen. Wir beide zum Beispiel vertrauen uns blind. Meinungsverschiedenheiten haben wir höchstens mal bei Formulierungen. Werte und Arbeitsstil müssen einfach passen, das ist die Grundvoraussetzung. Wenn sich dann noch die jeweiligen Kompetenzen ergänzen, ist das ideal.

Ludwig: Das Schöne ist, dass man flexibel bleibt, weil nicht 100 Prozent der eigenen Zeit verplant sind. Wenn viel los ist, arbeitet man auch mal vollzeitnah, dann mal wieder weniger. Auch für Unternehmen ist es gut, je nach Auftragslage flexibel sein zu können. Von diesem Mehrwert wollen wir die Arbeitgeber überzeugen.

Und, wie läuft Ihr Geschäft?

Ludwig: Nun, wir stehen natürlich noch am Anfang. Wir haben Erfolge und Misserfolge. Wir haben Kandidatinnen an Unternehmen vermittelt, die für eine bestimmte Funktion explizit eine Teilzeitkraft gesucht haben. Aber es scheitert auch mal eine Jobsharing-Platzierung am Bauchgefühl des Unternehmers, der sich nicht traut, es einfach auszuprobieren.

Häring: Ein breiterer Kulturwandel wird erst eintreten, wenn nicht mehr die meisten Entscheider Ehefrauen zu Hause haben, die ihnen den Rücken freihalten. Aber gerade kleinere und mittlere Unternehmen sind schon heute Teilzeit gegenüber offen. Da wird der Einzelne gesehen mit seinen Kompetenzen.

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Eigentlich sollte das ja normal sein.

Häring: Ist es aber nicht immer. Unsere Kandidatinnen kommen meist zu uns, weil sie sich schlicht auch als Teilzeitkraft eine respektvolle Behandlung wünschen.

Ludwig: Jeder sollte in dem Modell arbeiten können, das zu seiner aktuellen Lebenssituation passt. Familienfreundlichkeit funktioniert aber nur, wenn sie wirklich gelebt wird, zum Beispiel wenn auch Führungskräfte mal in Teilzeit arbeiten. Sie wird langfristig immer wichtiger werden, spätestens, wenn künftig Menschen nicht nur wegen ihrer Kinder, sondern auch wegen pflegebedürftiger Eltern nicht mehr durchgehend Vollzeit arbeiten können. In Zukunft wird Vereinbarkeit einfach dazugehören, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

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