Neue School of Education:"Lehramtsstudenten sind billig"

Die TU München will die Lehrerausbildung revolutionieren und baut eine "School of Education" auf. Gründungsdekan wird Pisa-Macher Manfred Prenzel.

C. Burtscheidt, M. Thurau

Es ist ein doppelter Coup: Andere Hochschulen bauen allenfalls Fakultäten in Zukunftstechnologien auf, die Technische Universität (TU) München fasst jetzt ausgerechnet die Lehrerbildung, die überall sonst eher ein Schattendasein führt, in einer neuen Fakultät zusammen und weist dies mit Nachdruck als strategischen Schritt aus. Und für mindestens ebenso viel Aufsehen sorgt die damit verbundene Personalie: Gründungsdekan ist Manfred Prenzel, bis vor kurzem deutscher Koordinator der Pisa-Studien. Im Gespräch erläutert der bekannte Bildungsforscher aus Kiel seine Pläne für die neue "School of Education".

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SZ: Welches Zeichen sehen Sie in der Gründung der neuen Fakultät?

Manfred Prenzel: Die Lehrerbildung ist die Zukunftstechnologie in einer Wissensgesellschaft. Denn die Schule hat eine Schlüsselfunktion - als die Einrichtung, die einen großen Teil der Wissensvermittlung gewährleistet. Darauf zu setzen, liegt nicht zuletzt auch im Eigeninteresse der Universitäten.

SZ: Warum gilt die Lehrerbildung an den Universitäten als Stiefkind?

Prenzel: Das hat eine längere Geschichte. Eine Wurzel ist sicher die Eingliederung der Pädagogischen Hochschulen, die für die damaligen Volksschulen ausbildeten, in die Universitäten. An einzelnen Fragen, etwa der nach dem Schicksal der Fachdidaktiken, lässt sich das festmachen. Meist hat man sie den Fachdisziplinen zugeschlagen und scheinbar aufgewertet. Biologiedidaktiker etwa gehörten jetzt zu den Biologen. Gleichzeitig aber waren sie dort die schwächste Kraft, sie hatten viele Lehrverpflichtungen und oft Schwierigkeiten, in der Forschung mitzuhalten. Das hat dazu geführt, dass man sie als obendrein meist kleine Gruppe an den Instituten immer weniger wahrgenommen hat.

SZ: Ein Bedeutungsschwund?

Prenzel: Über die vergangenen Jahre hin lässt sich ein Reputationsverlust an den Universitäten zeigen, wenngleich sich das nicht mit den Positionen auf den Prestigeskalen deckt. In der allgemeinen Wertschätzung rangieren Lehrkräfte immer noch ziemlich weit oben. Offenbar ist in der gegenwärtigen Wissensrevolution aber die wichtige Rolle der Lehrer als Wissenstransporteure unberücksichtigt geblieben.

SZ: Die Lehrerbildung hat im Grunde keine Lobby, die Universitäten fühlen sich meist nicht richtig zuständig, der Staat, auch wenn er das Staatsexamen vorschreibt, auch nicht. Wie kann man aus dieser Situation herauskommen?

Prenzel: Indem man Verantwortung schafft. Eine School of Education kann diese Verantwortung übernehmen, als Einrichtung, die mächtig genug ist, um gestalten und Prioritäten setzen zu können. Jedenfalls gibt es international gute Beispiele für dieses Modell, und ich wette darauf, dass es in zehn Jahren auch in Deutschland eine ganze Reihe solcher Einrichtungen geben wird. Den Studierenden soll die School auch so etwas wie eine Heimat geben.

SZ: Was meinen Sie damit?

Prenzel: Ein professionelles Zentrum, wenn Sie so wollen. Oft beklagen die Studierenden, dass sie nicht wissen, wohin sie gehören. Sie studieren zwei, manchmal sogar drei Fächer und zusätzlich bildungswissenschaftliche Inhalte. Und wohin sie auch kommen, erleben sie Diplom- oder Masterstudenten, die wissenschaftlich auf einem anderen Niveau unterwegs sind, was auch dazu führt, dass sich die angehenden Lehrer als, sagen wir, Physiker oder Biologen nicht ganz vollwertig fühlen. Dabei hat die Ausbildung viele strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Medizinstudium: Ärzte müssen zwar mit der Wissenschaft vertraut sein, aber sie haben ein anderes Aufgabenfeld als Forscher. Man erwartet von ihnen, dass sie eine ausgezeichnete Praxis machen, auf dem gegenwärtigen Stand des Wissens.

SZ: Die Lehrerausbildung gilt vielfach nicht gerade als praxisorientiert. Was ist an diesem Vorwurf noch dran?

"Lehramtsstudenten sind billig"

Prenzel: Das ist ein Thema, keine Frage. Aber nicht zuletzt mit der Umstellung auf das zweistufige Studienmodell mit Bachelor- und Masterabschluss verankern die Hochschulen zunehmend schon früh im Studium Praxis-Anteile. Für mich ist eher die Frage, welche Art von Praxis man da vermitteln will. Es kann schließlich nicht darum gehen, einfache Unterrichtstechniken zu zeigen. Die Studierenden müssen ein wissenschaftliches Verständnis des Handelns von Lehrkräften entwickeln.

Manfred Prenzel, dpa

Manfred Prenzel: Er war bis vor kurzem nationaler Projektmanager der Pisa-Studien, leitet das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) und ist Professor an der Universität Kiel.

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SZ: Ist man in Deutschland endlich so weit, das zu vermitteln?

Prenzel: Womöglich gibt es da in Deutschland tatsächlich eine andere Tradition als anderswo. Wenn Sie englischsprachige mit deutschen Lehrbüchern vergleichen, sehen Sie da einen Klassenunterschied, was die Verständlichkeit und Farbigkeit angeht. In den angelsächsischen Ländern wird das Lehren mehr geschätzt - und auch besser bezahlt. Wenn Sie hier ein Lehrbuch schreiben, stecken Sie ein Jahr Ihres Lebens hinein, und das war's.

SZ: Waren Reformversuche in der Lehrerbildung bisher nicht eher bescheiden?

Prenzel: Ich glaube, dass viele schon länger ernstlich darüber nachdenken, was sie verbessern können. Schließlich ist die Zahl der Lehramtsstudenten groß, und sie sind meist preiswerte Studierende. Viele Universitäten leben von ihnen.

SZ: Es scheint aber oft so, als wollten sie sie nicht.

Prenzel: Aber wenn sie nicht mehr da wären, erginge es diesen Unis schlecht. Vielleicht sollte auch das mehr ins Bewusstsein rücken.

SZ: Seit Jahren gibt es die Debatte darüber, ob die Kultusbürokratie nicht auf das Staatsexamen verzichten sollte. Hielten Sie das für sinnvoll?

Prenzel: Das ist keine wirklich interessante Strukturdebatte. Viel entscheidender ist die Frage nach der Qualität der Ausbildung. Da ist es unerheblich, ob man die mit einem Staatsexamen oder einem anderen Abschluss erreicht.

SZ: Viele geben dem Bachelor - gerade in den Staatsexamensfächern - als Berufsabschluss keine Zukunft. Darf und muss jeder den Master machen - was den Sparzielen der Politik entgegenliefe?

Prenzel: Wenn man Lehrer anspruchsvoll qualifizieren will, braucht man Zeit und kommt somit um den Master als Regelabschluss nicht herum.

SZ: Warum gehen Sie an die TU und nicht an die LMU, die man ja eher mit der Lehrerbildung assoziieren könnte?

Prenzel: Ich finde es bemerkenswert, dass es gerade eine TU ist, die die Lehrerbildung zu ihrem Anliegen macht und dies sehr offensiv vertritt. Ich wollte nie jemanden zum Jagen tragen. Das gehört zu meinem Verständnis von Pädagogik.

SZ: Was machte die TU bislang schon anders bei ihrer Lehrerausbildung?

Prenzel: Natürlich ist die Idee, eine eigene Fakultät zu gründen, nicht vom Himmel gefallen. Es ist vielmehr die konsequente Fortführung eines Prozesses, in dem die TU in bemerkenswerter Weise den Kontakt zu Schulen gesucht hat und ihn pflegt. Es ist schon länger nicht zu übersehen, dass hier ein anderer Blick auf die Schulen herrscht, sie werden als Partner gesehen. Und eine ganze Reihe von Initiativen der Hochschule zeigen, dass sie sich um ihren Nachwuchs kümmert, der ja aus den Schulen kommt.

SZ: Sie sind als ,Pisa-Macher' in der Bildungsforschung eine große Nummer. Was werden Sie in München etablieren?

Prenzel: Die School of Education wird und muss eine starke Bildungsforschung aufbauen, die das Kerngeschäft Schule im Blickpunkt hat: die Institution selbst, den Unterricht, das Ganztagsumfeld, Lehrerbildung und Lehrerfortbildung. Sie wird beispielsweise Lebensspannen übergreifende Lernprozesse untersuchen. Was ist anschlussfähiges Wissen? Was müssen Schüler basal vermittelt bekommen?

SZ: Genau in dieser Frage haben Sie sich bei den Lehrerverbänden nicht gerade Freunde gemacht, als Sie bei der Diskussion um die Lehrpläne für das achtjährige Gymnasium gesagt haben, man könne durchaus noch auf Stoff und Stunden verzichten, es käme darauf an, welche Lernqualität der Unterricht habe. Wie kann man die verbessern?

"Lehramtsstudenten sind billig"

Prenzel: Schauen Sie sich Schulbücher der letzten 30 oder 40 Jahre an. Da ist von Stoffreduktion nichts zu sehen, die Bücher sind immer umfangreicher geworden. Doch was brauche ich von diesem Wissen wirklich über die Lebensspannen hinweg? Wenn ein Biologie-Buch 3000 Fachbegriffe in einem Schuljahr einführt, frage ich mich, was das soll. Darüber müssen wir ernsthaft nachdenken. Es könnte sein, dass wir mit 300 Begriffen, wenn sie denn wirklich verstanden sind, viel viel mehr erreichen als mit den 3000, die man irgendwo mal gehört hat, aber gleich wieder vergisst.

SZ: Wer aber setzt das durch? Die Kultusminister sind daran gescheitert.

Prenzel: Lehrer haben nach wie vor eine Menge Spielräume. Die Frage ist, was sie als wichtig erachten. Sollen die Schüler zentrale Begriffe wirklich verstehen oder Faktenwissen herunterreißen können? In dieser Hinsicht sind Prüfungen in der Tat ein wichtiger Schlüssel zum Lernen. Denn je nachdem, wie ich die Prüfungen gestalte, kann ich das steuern.

SZ: Das wurde schon vor zehn Jahren diskutiert. Ist da nicht wenig passiert?

Prenzel: Nein, die Bewegung geht insgesamt schon in diese Richtung. Die Debatte um die Kern-Curricula läuft weiter, wir reden im Moment über Bildungsstandards für die Oberstufe. Deswegen bin ich da nicht pessimistisch.

SZ: Wir hören nur die vielen Klagen der Eltern.

Prenzel: Entscheidend ist natürlich auch, wie souverän die Lehrkräfte sind. Je versierter sie fachlich sind, desto besser können sie die notwendigen Schnitte bei der Fülle des Stoffes setzen. Sind sie unsicher, neigen sie dazu, doch lieber den gesamten Stoff abzudecken.

SZ: Woher rührt die Unsicherheit?

Prenzel: Sie stehen im Spannungsverhältnis zwischen Schülern, Eltern, Verbänden und Politik; da verlieren manche ihre Souveränität. Umso mehr geht es darum, im Studium Professionalität zu entwickeln, eine klare Vorstellung davon, worauf es ankommt.

SZ: Wie sehr hängt die Bildungsqualität von der Schulstruktur ab? Der Sieger der jüngsten Pisa-E-Studie heißt Sachsen - mit einem für Westländer ungewöhnlichen zweigliedrigen Schulsystem.

Prenzel: Weder national noch international gesehen ist das ein ausschlaggebender Faktor. Da sind andere Größen wie Lehrpläne, Lehrerbildung, Lehrerfortbildung und nicht zuletzt das Elternhaus viel wichtiger.

SZ: Warum wird dann so viel über Strukturen diskutiert?

Prenzel: In Deutschland ist die Bildungsdebatte eben stark politisiert. Daran ist Pisa nicht ganz unschuldig. Auch wenn wir Bildungsforscher immer wieder betonen, im Zentrum steht die Frage nach der Qualität, liefern die Pisa-Ergebnisse doch stets Munition für politische Debatten, die in zu simple Strukturfragen münden.

SZ: Das Verhältnis von Bildungsforschern und Politikern sei nicht immer konfliktfrei, sagen Sie. Wo fehlt es der Politik an Einsicht?

Prenzel: Politik folgt einer anderen Logik als Wissenschaft. Und sie muss handeln, während wir Wissenschaftler uns gerne noch darauf zurückziehen, dass wir zu wenig wissen.

SZ: Die Politik lässt sich immer wieder von den Verbänden beeinflussen und steht auch in Bayern oft nicht gerade da.

Prenzel: Natürlich; Politiker brauchen Akzeptanz für ihre Entscheidungen. Wenn man sich aber umschaut, was in den Bundesländern gegenwärtig passiert: Egal, was sie versuchen, sie haben sofort mindestens fünf Gruppierungen gegen sich.

Wo immer in den letzten Jahren über die Qualität der Schulbildung debattiert wird, Manfred Prenzel ist ein äußerst gefragter Gesprächspartner. Schließlich war er bis vor kurzem nationaler Projektmanager der Pisa-Studien. In der OECD-Expertengruppe und im deutschen Konsortium für die Schulleistungsvergleiche ist der Bildungsforscher weiterhin dabei. Prenzel, Jahrgang 1952, leitet das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) und ist Professor an der Universität Kiel. Er hat an der Uni München (LMU) geforscht und sich dort habilitiert, war Professor in Regensburg, bevor er 1997 ans IPN ging. Seit Januar ist er zudem Gründungsdekan der "School of Education" der TU München.

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