Süddeutsche Zeitung

Neue Pisa-Studie:Ein großes Durcheinander

Die OECD stellt wieder mal 65 Ländern ein Zeugnis über ihr Schulsystem aus -dabei ist der Erfolg von Bildung mehr als Statistik. Und nicht jedes Land nimmt die Ergebnisse so ernst wie Deutschland.

Tanjev Schultz

Schule ist Schule, könnte man meinen. Von wegen. Wer mit seiner Familie von Mainz nach München zieht oder von Halle nach Hannover, kann seinen ganz persönlichen Pisa-Schock erleben. Deutschland ist ein Land mit 16 Schulsystemen, jedes Bundesland hat sein eigenes. Die einen haben "Sekundarschulen", die anderen eine "Realschule plus" (sic!). Hier gibt es Zentralabitur, dort lokale Prüfungen. Die einen fangen in der sechsten Klasse mit der zweiten Fremdsprache an, die anderen erst in der siebten. In Deutschland existieren Tausende Lehrpläne und Schulbücher. Man kann es Vielfalt nennen. Oder ein großes Durcheinander.

Am Ende tritt Deutschland dennoch als ein Land an, wenn die Pisa-Studie alle drei Jahre die Leistungen 15-jähriger Schüler misst. Die neuen Ergebnisse erscheinen kommende Woche, 65 Staaten haben diesmal teilgenommen, die USA genauso wie Japan, Aserbaidschan oder das kleine Trinidad und Tobago. Und was sich nun dahinter an Vielfalt verbirgt! Sie denken, Deutschland hat Probleme mit seinen Schulen? Dann schauen Sie nach Russland, wo Schüler sich gute Noten kaufen. Oder nach Amerika, wo die Kinder der Armen reihenweise ohne Abschluss die Schule verlassen. Oder nach China, wo Schüler in Elite-Internaten unbarmherzig gedrillt werden.

Das alles misst und bewertet Pisa allerdings nicht. Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, testet nur, was die Schüler am Ende können. Der Weg zum Wissen kann ganz unterschiedlich sein. Ein gutes Ergebnis ist deshalb auch nicht unbedingt (nur) die Folge guter Schulen. Vielleicht pauken die Kinder bis in die Nacht in Nachhilfe-Instituten. Vielleicht gibt es niveauvolle Fernsehsendungen oder einfach tolle, intakte Familien.

Pisa sagt auch nichts darüber aus, wie kreativ und künstlerisch begabt die Schüler sind, wie bewandert in Geschichte oder Philosophie. Oder wie sozial und umsichtig, wie verantwortungsbewusst und couragiert. Pisa steht für "Programme for International Student Assessment", Programm zur internationalen Bewertung von Schülerleistungen. Die Studien beschränken sich auf grundlegende Fähigkeiten in Mathematik, den Naturwissenschaften und im Umgang mit Texten (Leseverständnis). Allein das ist ein Kraftakt. In allen Ländern werden Schulen und Schüler zufällig ausgewählt; um die Aufgaben kümmern sich internationale Forscherteams. Pisa ist eines der größten Unternehmen in der Geschichte der Sozialwissenschaften, die Auswertung der Daten kostet viel Zeit. Die Ergebnisse, die jetzt publiziert werden, beruhen auf Tests aus dem Frühjahr 2009.

Bildung ist weltweit zum großen Thema der Politik geworden. Ob in Italien, Großbritannien oder in den USA: Überall steht der Zustand der Schulen im Zentrum von Wahlkämpfen. Aber nicht überall spielt Pisa dabei eine so große Rolle wie in Deutschland. In Frankreich oder in den USA hat man die Studien eher wenig beachtet. Die erste Studie erschien 2001, und noch heute, bei der vierten, kann man Lehrern in Texas oder Florida begegnen, die mit Pisa nur den schiefen Turm assoziieren und nicht das Elend ihrer Highschools.

Mittlerweile mögen auch in Deutschland viele von Pisa nichts mehr hören. Warum eigentlich? Die Ergebnisse der Deutschen sind von Mal zu Mal ein wenig besser geworden.

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SZ vom 04.12.2010/holz
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