Süddeutsche Zeitung

Neue Pisa-Studie:Die Furcht vor der Statistik

Am Dienstag wird die dritte Pisa-Studie veröffentlicht. Die ersten Gerüchte über mögliche Schlusslichter und Spitzenreiter sickern bereits durch - zum Unmut der Politiker. Die raten zu mehr Gelassenheit.

Tanjev Schultz

Schon wieder Pisa. An diesem Dienstag erscheinen die Ergebnisse eines neuen Bundesländer-Vergleichs, es ist mittlerweile der dritte. Voriges Jahr wurden die internationalen Ergebnisse veröffentlicht, die bundesweiten Trends sind deshalb bereits bekannt: In den Naturwissenschaften schafften die deutschen Schüler einen Sprung nach vorn. Ihre Pisa-Werte liegen nun über dem OECD-Durchschnitt. Im Lesen und in Mathematik sind die Leistungen dagegen nur Mittelmaß, und mit 20 Prozent ist die Gruppe der besonders schwachen Schüler nach wie vor dramatisch groß.

Die Forscher sagen zwar, der Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozialer Herkunft habe sich im Vergleich zur ersten Pisa-Studie vor acht Jahren etwas abgeschwächt. Doch weiter gilt: Migranten- und Arbeiterkinder haben es in deutschen Schulen besonders schwer.

Ein starkes Leistungsgefälle gibt es in Deutschland auch zwischen den Bundesländern. In den früheren Studien lagen die Schüler in Bremen oder Hamburg weit hinter denen in Bayern oder Sachsen; die Unterschiede entsprechen dem Lernzuwachs von bis zu zwei Schuljahren. Entsprechend nervös erwarten die Kultusminister jetzt die neuen Daten.

Lesen im Kaffeesatz

Werden die Bayern wieder oben stehen und die Bremer im Keller? Die Forscher haben ein Schweigegelübde abgelegt; die Kultusminister versichern, noch nichts Genaues zu wissen. Eine Meldung des Spiegel, wonach die ostdeutschen Länder besser abschneiden als der Westen, bezeichnet der Leiter der Studie, Manfred Prenzel, als "Spekulation".

Und dass dem Magazin zufolge Brandenburg und Thüringen beim Einfluss der sozialer Herkunft auf die Leistung positiv auffalle, nennt der Kieler Professor "Kaffeesatzleserei". Diese Meldung beruhe "sicher nicht auf Befunden", sagte Prenzel der Süddeutschen Zeitung.

Vor jeder neuen Studie kursieren Gerüchte und echte oder vermeintliche Vorabinformationen. Dabei ist dieses Mal für alle, die sich ein wenig mit Statistik auskennen und die früheren Studien ausgewertet haben, längst ausgemacht: Bayern, Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg werden in der Spitzengruppe sein.

Und die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen werden, selbst wenn sie ein paar Punkte gutmachen sollten, noch immer recht weit hinten liegen. Gibt es leichte Verschiebungen in den Rangplätzen, ist Vorsicht geboten, denn unterschiedliche Ränge können bei Pisa auf einer kleinen Differenz beruhen, die statistisch gar nicht bedeutsam ist.

Nicht nur Pisa-Forscher Prenzel ruft zu größerer Gelassenheit und weniger Hysterie im Umgang mit den Studien auf. Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister von Sachsen-Anhalt, verlangt in diesem Sinne eine "kritische Inventur der Pisa-Kultur". Die Studien seien nützlich, aber die Aufgeregtheit könne man sich allmählich sparen, sagt Olbertz. Politiker und Pädagogen dürften auf die Pisa-Werte nicht starren wie ein Kaninchen auf die Schlange.

Vor allem in Ländern, die schlecht abschneiden, befürchten die Politiker, Pisa könnte Schüler und Lehrer demotivieren. In Bremen beispielsweise kämpfen Gymnasiasten mit dem Ruf, sie würden ein "Deppenabitur" ablegen. Pisa zeigt zwar gar nicht, wie schwer das Abitur ist, sondern nur, was 15-Jährige können. Dabei allerdings sind die regionalen Unterschiede zwischen Gymnasiasten beträchtlich; auch die neue Studie könnte die Debatte über ein bundesweites Zentralabitur neu entfachen.

Bremen erneut Schlusslicht?

Groß sind außerdem - gerade in den Stadtstaaten, in denen viele Migranten leben - die Bildungslücken in Haupt- und Gesamtschulen. In Bremen hofft Schulsenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) darauf, dass Pisa der Hansestadt wie vor drei Jahren Fortschritte bescheinigt, auch wenn sie sich darauf einstellt, dass Bremen erneut auf dem letzten Platz landet. Die Politik habe doch längst reagiert, beteuert Jürgens-Pieper. So habe Bremen in den Ferien mehrere Förderprogramme für schwache Schüler eingerichtet.

Die äußeren Umstände seien für die Schulen in Bremen aber nicht gerade leicht, sagt die Senatorin. Sie spielt auf die hohe Arbeitslosigkeit, die geringe Bildung vieler Eltern und den klammen Landeshaushalt an. Bremen hat die Zahl der Schulstunden in den Grundschulen erhöht; in den weiterführenden Schulen würde Jürgens-Pieper nun ebenfalls gern mehr Unterricht erteilen lassen. Doch dafür fehlt ihr noch das nötige Geld. Vielleicht kommt ihr ein schlechter Pisa-Platz da sogar ganz gelegen, um die Haushaltspolitiker wachzurütteln.

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SZ vom 17.11.2008/dmo
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