Süddeutsche Zeitung

Neue islamische Fakultäten:Deutsche Unis setzen auf den Islam

Ein ehrgeiziges und problembehaftetes Vorhaben: Sechs deutsche Universitäten werden ab Oktober Studenten zu islamischen Theologen und Religionslehrern ausbilden. Der Staat fördert das. Doch es gibt bereits erste Konflikte.

Matthias Drobinski

Als der Streit richtig heiß wurde, ist er selbst nach Wiesbaden gefahren, um zu kämpfen. Ist im hessischen Kultusministerium aufgetreten und hat gesagt: Ihr müsst das uns geben, den Frankfurtern, gemeinsam mit den Gießenern. Nicht den Marburgern, die das auch wollen, wie es auch die Landesregierung zuvor favorisierte - schon allein weil man dort die Mittel- und Oberhessen fördern wollte.

Es war eine dramatische Sitzung im Februar, am Ende aber fuhr Matthias Lutz-Bachmann, Philosophie-Professor und Vizepräsident der Frankfurter Uni, glücklich nach Hause. "Da war ich schon stolz", sagt er noch heute. Er hatte gewonnen. Frankfurt würde viel Geld vom Bund bekommen, bis zu vier Millionen Euro, um das Fach "Islamische Studien" einzurichten, Professoren zu berufen, Mitarbeiter einzustellen. Im Oktober zu Beginn des Wintersemesters soll es losgehen.

Der Islam wird in Deutschland häufig als Problem gesehen - für sechs Universitäten aber hat es sich gelohnt, auf die junge Religion im Land zu setzen. Auch in Münster und Osnabrück wird es zum kommenden Semester einen Studiengang islamische Theologie geben, in Tübingen und in Erlangen, jeweils ausgestattet mit jenem Geld, das Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) auf Empfehlung des Wissenschaftsrats bereitstellt.

Für Münster/Osnabrück machte sich NRW stark, das von diesem Schuljahr an islamischen Religionsunterricht flächendeckend anbieten will, für Erlangen die Bayern, Tübingen liegt praktischerweise in Schavans baden-württembergischer Heimat - nur Frankfurt fehlte der Fürsprecher. Zudem gab es Misstrauen gegen die Hessen, weil es dort einen Islam-Lehrstuhl gibt, den lange Zeit der türkische Staat als Stiftungsprofessur finanzierte; "aber wir konnten zeigen, dass bei uns Forschung und Lehre unabhängig sind", sagt der Uni-Vize Lutz-Bachmann.

Was die vier künftigen Islam-Zentren vorhaben, ist so ehrgeizig wie problembehaftet. Sie sollen über die bisherige islamische Religionswissenschaft hinaus eine islamische Theologie entwickeln, analog zu den evangelischen und katholischen Fakultäten. Sie sollen unabhängige Wissenschaft betreiben, respektiert im Westen und in der islamischen Welt. Und sie sollen islamische Theologen ausbilden, vor allem Religionslehrer, aber auch Imame - gemäß den Grundlagen des Islams, also so, wie die Unis auch evangelische und katholische Theologen und Religionslehrer ausbilden.

Nur: Wer bestimmt, was Grundlage des Islams ist, des sunnitischen, des schiitischen? Wer entscheidet, welcher Professor - oder gar welche Professorin - ausgewählt wird? Was passiert, wenn ein Professor bezweifelt, dass Mohammed gelebt hat, wie das der Münsteraner Professor Sven Kalisch getan hat? Worüber sollen angehende Theologen und Lehrer geprüft werden?

Bei den katholischen Fakultäten gibt der Vatikan sein Nihil obstat ("nichts steht entgegen"), wenn ein Professor berufen wird; Rom oder der Ortsbischof können die Lehrerlaubnis auch wieder entziehen. Bei den Protestanten entscheiden die Landeskirchen. Auch bei der Ausbildung künftiger Pfarrer, Theologen, Religionslehrer geht nichts ohne die Kirchen, so ist das in den verschiedenen Staat-Kirche-Verträgen festgelegt.

Wer aber ist bei den Muslimen der Vertrags- und Ansprechpartner des Staates? Eine staatlich anerkannte islamische Religionsgemeinschaft gibt es nicht, die Aleviten ausgenommen. Die verschiedenen islamischen Dachverbände repräsentieren nur Teile der Muslime in Deutschland; der Versuch, im Koordinierungsrat der Muslime (KRM) einen starken Vertragspartner des Staates zu schaffen, ist an internem Zwist faktisch gescheitert. Andererseits können die Bundesländer nicht in Eigenregie ohne die Muslime islamische Fakultäten und Islamunterricht aufbauen, beides lebt von der Authentizität der Hochschullehrer und Lehrer.

Alle vier Standorte der künftigen islamischen Fakultäten haben sich in dieser Situation für eine Hilfskonstruktion entschieden, die der Wissenschaftsrat vorgeschlagen hat. Die Unis haben Beiräte berufen, die weitgehend die Funktionen übernehmen, die bei den Christen die Kirchen spielen. Sie entscheiden bei der Berufung und Abberufung der Professoren mit und über die Studieninhalte. Die Art der Mitbestimmung ist unterschiedlich geregelt.

In Frankfurt/Gießen soll der Beirat nur bei der in Gießen angesiedelten Religionslehrerausbildung mitreden dürfen, im Beirat sitzen Vertreter der islamischen Verbände und Muslime, ernannt von der Uni. In Tübingen gibt es einen siebenköpfigen Beirat, der "ausschließlich in bekenntnisrelevanten Fragen" entscheiden soll. Drei Vertreter sollen von der türkisch-halbstaatlichen Ditib kommen, einer vom Verband der islamischen Kulturzentren, einer vom bosnischen Verband; zwei nicht organisierte Vertreter schlägt der Rektor vor. In Münster/Osnabrück haben die Verbände auch ein Vetorecht bei den vier Mitgliedern des achtköpfigen Beirats, die nicht von ihnen stammen.

Das stößt auf Kritik: Die Verbände gelten als theologisch konservativ - werden sie die Freiheit der Forschung und Lehre so akzeptieren, wie sich das die Unis, die Landesminister und Schavan vorstellen? "Wer anders denkt als die Verbandsvertreter, könnte Schwierigkeiten bekommen", sagt Lamya Kaddor, liberale Islamwissenschaftlerin und Mitautorin des ersten islamischen Religionsunterrichts-Buchs "Saphir". Sie fürchtet, dass der türkische Staat und theologisch unzureichend gebildete Funktionäre zu viel Einfluss auf die Wissenschaft gewinnen - und dass die islamische Theologie in Deutschland nicht das Vorbild an Freiheit und wissenschaftlicher Qualität sein wird, das sich die Initiatoren erhofften.

Auch die christlichen Kirchen tun sich schwer mit dem Beiratsmodell, obwohl sie seit Jahren dafür eintreten, dass es islamische Fakultäten und einen muslimischen Religionsunterricht gibt. Für sie ist das Modell ein Systembruch. Partner des Staates konnte bislang nur sein, wer anerkannte Religionsgemeinschaft war: die katholische und die evangelische Kirche, die neuapostolische wie der Zentralrat der Juden in Deutschland.

Warum soll das nun für Muslime nicht gelten? Weil es anders auf lange Sicht keine in Deutschland ausgebildeten islamischen Religionslehrer geben wird, heißt das Gegenargument. "Das Beirats-Modell ist ein Kompromiss", meint Bülent Ucar, Islam-Professor in Osnabrück, "aber einen besseren gibt es im Augenblick nicht." Die Verbände - ja, sie seien konservativ, "aber sie vertreten nun einmal viele Moschee-Gemeinden". Ucar arbeitet bei der Religionslehrerausbildung schon seit Jahren mit den Verbänden zusammen, der Freiheit von Forschung und der Lehre habe das nicht geschadet.

Er hat andere Sorgen: Wo sollen seine Studenten Arbeit finden? Der Bedarf an Religionslehrern wird zunehmen. Aber wer nicht Lehrer werden will? Der türkisch-islamische Moschee-Dachverband Ditib hat erklärt, dass er auch künftig auf Imame aus der Türkei setze. Ucar sagt dazu: "Das ist nicht gut für uns."

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SZ vom 05.09.2011/tina
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