Neue Chefs:Die Falschmacher

Falsche Wortwahl, falsches Auftreten, falscher Führungsstil: der schwierige Weg zum guten Chef.

Judith-Maria Gillies

Frauke Klemm wollte von Anfang an alles richtig machen. Als die ehemalige Angestellte der Leipziger Messe im Jahr 2000 die Kölner Internetagentur I-Gelb mitgründete, schwebte ihr ein "kollegialer Führungsstil" vor, wie sie sagt. Konkret sah das so aus: Wenn der Chefin der Projektentwurf eines ihrer Mitarbeiter nicht gefiel, lehnte sie ihn nicht ab, sondern ließ beim Kunden zwei Alternativen präsentieren - den Entwurf des Mitarbeiters und ihren eigenen. Heute weiß die 35-Jährige, dass das ein Fehler war: "Es ist besser, von Anfang an mit Bestimmtheit und Kompetenz die eigene Entscheidung durchzusetzen."

Vorgesetzer, Mitarbeiterin

Verpatzte Premiere: Der erste Eindruck entscheidet. Eine zweite Chance gibt es für den neuen Chef selten.

(Foto: Foto: photodisc)

Ähnliche Lektionen müssen viele Führungskräfte lernen, wenn sie ihren Chefposten antreten. "Viele Vorgesetzte rutschen bei ihren ersten Führungsschritten auf dem neuen Parkett aus", sagt Peter Krumbach-Mollenhauer, Geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsgesellschaft HR-Horizonte in Hamburg. Und Stolpersteine gibt es genug: ein arrogantes oder unsicheres Auftreten, die falsche Wortwahl oder ein unpassender Tonfall, ein schlechtes Timing oder ein deplatziertes Outfit.

Die Folgen einer verpatzten Premiere sind gravierend, wie Kognitionspsychologen wissen. "Der erste Auftritt des neuen Chefs prägt die Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern grundlegend", sagt Professor Gerd Gigerenzer, Direktor des Forschungsbereichs "Adaptives Verhalten und Kognition" am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. "Auch ein halbes Jahr später ist das Bild des Gegenübers weitgehend identisch mit dem ersten Eindruck." Das funktioniert so: Anhand von Mini-Stichproben bilden sich die Mitarbeiter ein Bild ihres neuen Vorgesetzten. In weniger als 30 Sekunden nimmt das Gehirn Aussehen, Auftreten, Gestik, Mimik und Ton des Gegenübers wahr und konstruiert aus diesen Puzzleteilen ein Gesamtbild. "Für den ersten Eindruck gibt es oft kaum eine zweite Chance, insbesondere wenn dieser emotional geprägt ist", sagt Professor Gigerenzer.

Kumpel oder Karrierist

Von Beginn an bei den Mitarbeitern einen Stein im Brett haben - dieses Ziel erreichen Führungskräfte am besten durch ernsthafte Vorbereitung auf ihre neue Rolle. "Schon in der ersten Woche sollten die neuen Chefs versuchen, die informellen Spielregeln des Betriebs zu erkunden", empfiehlt Krumbach-Mollenhauer. Als beste Informationsquelle eignet sich häufig die Assistentin, die schon für den bisherigen Chef gearbeitet hat.

Mögliche Fragen an sie: Wie hat der alte Chef Entscheidungen getroffen, und wie sind sie angekommen? Wo lagen wiederkehrende Streitpunkte in der Zusammenarbeit mit dem Team? Wer sollte wie und wann informiert werden?

Die Frage nach dem eigenen Auftreten muss jede neue Führungskraft allerdings für sich selbst beantworten. Ein allgemein erprobtes Chef-Gebahren nach der Devise "one fits all" sucht man vergebens. "Der richtige Führungsstil hängt ganz vom Menschentypus ab", sagt Professor Jörg Freiling vom Lehrstuhl für Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneurship an der Universität Bremen. "Ist ein Mensch beispielsweise vom Typ her machtbesessen und seiner Umwelt gegenüber misstrauisch, kann er diese Eigenschaften kaum ablegen und sollte daher einen zu ihm passenden Führungsstil wählen."

Die Falschmacher

Klar im Trend liegt seit Jahren der partizipative Führungsstil. Er baut darauf, dass Mitarbeiter eine Mitverantwortung für den Betrieb übernehmen wollen. Besonders junge Führungskräfte setzen auf diese Form der Mitarbeiterführung. So auch Jan Christoph Gras, Mitgründer der Berliner Firma Myphotobook. Chefsessel oder Chefbüro finden sich im Unternehmen des 28-Jährigen nicht. Er sitzt mit seinen 30 Mitarbeitern im Großraumbüro, duzt sich mit allen, geht mit einigen von ihnen auch mal zum Grillen, Segeln oder in die Kneipe. Um seine Richtlinienkompetenz trotz des vertraulichen Tons durchzusetzen, hat der Berliner seine eigene Methode entwickelt. Wird ihm bei der Arbeit zu viel privat gequatscht und ein Abgabetermin naht, "dann reicht ein kurzer Blick und jeder weiß, was zu tun ist", sagt Gras.

Klare Ansagen halten Führungs-Experten für wichtig. "Mitarbeiter wollen Chefs, die nicht nur zuhören, sondern auch die Richtung vorgeben", sagt Krumbach-Mollenhauer. Doch daran hapert es häufig. Das sehen viele frisch gebackene Chefs selber ein, wie eine aktuelle Umfrage der Beratungsgesellschaft Comteam aus dem bayerischen Gmund unter 300 Führungskräften zeigt. Obwohl junge Chefs die Teamführung als wichtigste Fähigkeit einschätzen, geben sie sich in dieser Disziplin selbst nur die Note "befriedigend". Viele andere Fertigkeiten wie die eigenen Fachkenntnisse benoten sie dagegen mit "gut".

Zu viel Ehrgeiz kann allerdings auch schaden. "Besonders junge Leute neigen dazu, den Erwartungen an Führungskräfte unbedingt gerecht werden zu wollen, ohne dass ihnen dies im frühen Stadium gelingen kann", warnt Professor Freiling. "Um sich keine Blöße gegenüber Kollegen und Mitarbeitern zu geben, bauen sie oft eine Scheinwelt um sich auf." Sie mimen vor den Mitarbeitern den perfekten Chef, also den, der alles im Griff hat, der die Richtung vorgibt, aber gleichzeitig kollegial und verständnisvoll ist.

Perfektion ist unglaubwürdig

Doch Vorsicht: Auf Dauer lässt sich das Theaterspiel nicht durchhalten, weil ein Anfänger eben niemals perfekt ist. Besser wäre es, selbstkritisch in sich hinein zu horchen, die eigenen Stärken und Schwächen zu erforschen und so eine individuelle, typgerechte Führung zu entwickeln - eben kein Chef aus dem Bilderbuch, sondern aus Fleisch und Blut. Nur so könne die neue Führungskraft ihre Glaubwürdigkeit bewahren, sagt Freiling. "Durch die Als-ob-Welten in unseren Betrieben werden wertvolle Ressourcen vergeudet."

Statt den Mitarbeitern Theater vorzuspielen, sollte man bewusst Signale senden. Das gilt auch für die Kleiderwahl, wie Agentur-Chefin Klemm weiß. "Da ich klein und blond bin, muss ich aufpassen, nicht die falschen Signale zu senden", sagt die Diplom-Kauffrau, die als Chefin stets korrekt in Hose und Blazer erscheint. "In einem Blümchenkleid würde ich sonst schnell in die Schublade des Weibchens rutschen." Und als Laura Ashley lässt sich schwer das Bild der taffen Vorgesetzten vermitteln.

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