Süddeutsche Zeitung

Neue Bildungsstudie:Benachteiligte Jungs - erfolgreiche Männer

Jungen landen häufiger auf Hauptschulen und machen seltener als Mädchen Abitur. Trotz der Misserfolge sind sie später im Vorteil.

F. Berth und T. Schultz

In deutschen Schulen sind Jungen benachteiligt. Zu diesem Ergebnis kommen führende deutsche Bildungsforscher in einem am Donnerstag vorgestellten Gutachten über Geschlechterunterschiede im Bildungssystem. Demnach werden Jungen öfter als Mädchen verspätet eingeschult, sie landen häufiger auf Förder- und Hauptschulen und machen seltener als Mädchen Abitur. In den meisten Bundesländern müssten Jungen mehr leisten, um eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten, heißt es in dem Gutachten des "Aktionsrates Bildung", dem unter anderem die Schulforscher Wilfried Bos, Hans-Peter Blossfeld und Manfred Prenzel angehören.

Die Wissenschaftler stützen ihre Diagnose auf verschiedene Datenquellen aus der Bildungsforschung und der allgemeinen Statistik. Mädchen würden sich im Durchschnitt "schulschlauer" verhalten, stellen sie fest. Das bedeutet, dass Mädchen sich besser an die Anforderungen der Schulen anpassen. Lehrer müssten deshalb stärker darauf achten, Jungen bei gleicher Leistung "nicht aufgrund ihres weniger angepassten Verhaltens" schlechter zu beurteilen als Mädchen. Falls es in einzelnen Schulstunden nicht möglich sei, beide Geschlechter gleichermaßen zu unterstützen, raten die Wissenschaftler dazu, Mädchen und Jungen phasenweise getrennt zu unterrichten.

Überprüfung der Geschlechterrollen

Der Aktionsrat bemängelte, dass in Kindergärten und Grundschulen zu wenige männliche Lehrer beschäftigt würden. Der Vorsitzende des Aktionsrates, der Erziehungswissenschaftler und Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, sprach von einer "Feminisierung" der Bildungseinrichtungen. Wenn an manchen Grundschulen nur äußerst wenige Männer unterrichten (siehe Grafik), müsse dies bei zukünftigen Personaleinstellungen korrigiert werden, verlangt der Aktionsrat. Lenzen stellte auch in vorsichtigen Worten einen Zusammenhang zum Amoklauf in Winnenden her: "Das Bildungssystem schafft es oft nicht, Jungen in einen Zustand psychischer Ausgeglichenheit zu bringen", sagte Lenzen.

Der Aktionsrat Bildung, der von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft unterstützt wird, warnte auch davor, Vorurteile über Männer und Frauen im Bildungssystem zu festigen. Lehrpläne und Lesebücher müssten überprüft werden, ob sie die Rollen der Geschlechter auf problematische Weise festschreiben. Jungen sollten nach Ansicht der Wissenschaftler bessere Leseanreize erhalten: Viele Lesebücher kämen derzeit eher den Interessen der Mädchen entgegen, beklagte Lenzen. Den Daten zufolge werden Jungen in ihren Leseleistungen im Lauf der Schulzeit von den Mädchen immer weiter abgehängt.

Der Aktionsrat Bildung versucht in seinem Gutachten auch, Unterschiede zwischen den Bundesländern herauszuarbeiten. Dabei zeigt sich, dass ostdeutsche Länder schlecht abschneiden. So gibt es dort besonders wenig männliches Personal an den Schulen. Jungen sind dort eher gefährdet, keinen Schulabschluss zu schaffen; auch bei den Lese-Leistungen in der Schule fallen Jungen in mehreren ostdeutschen Ländern besonders negativ auf.

Auf der nächsten Seite: Warum Frauen trotz ihrer Erfolge im Bildungssystem im Berufsleben aber immer noch im Nachteil sind.

Frauen verdienen weniger

Relativ gut kommen die Stadtstaaten Berlin und Hamburg weg, weil dort das Verhältnis der Geschlechter in vielen Bereichen ausgewogener ist. So zeigen sich dort bei den Lesefähigkeiten weniger große Unterschiede von Jungen und Mädchen. Allerdings sagt dies nichts über das gesamte Leistungsniveau aus - im bundesweiten Vergleich schneiden Schülerinnen und Schüler aus Hamburg und Berlin eher schlecht ab.

Trotz ihrer Erfolge im Bildungssystem sind Frauen im Berufsleben aber immer noch im Nachteil. Dafür spreche die geringere Erwerbsquote und das geringere Einkommen von Frauen, sagten die Experten. "Es ist bisher nicht gelungen, die Erfolge der Mädchen im Bildungssystem auch im Erwerbsleben abzubilden", sagte Lenzen. Offenbar gebe es bisher keinen Zusammenhang zwischen Erfolgen in der Schule und späteren Erfolgen im Beruf, sagte Lenzen.

Wachsende Kluft

Das Statistische Bundesamt hat kürzlich ermittelt, wie stark die Stundenlöhne von Alter und Geschlecht der Betroffenen abhängen. Demnach liegt die Einkommenskluft zwischen Männern und Frauen bei nur zwei Prozent, solange sie jünger als 25 Jahre sind. In den Jahren danach wächst diese Kluft allmählich, sodass 35- bis 39-jährige Frauen bereits 21 Prozent weniger verdienen als gleichaltrige Männer.

Weitere zwanzig Jahre später liegt der Unterschied sogar bei 29 Prozent. Dass die Schere sich so weit öffnet, dürfte auch daran liegen, dass männliche Karrieren bisher selten durch Berufsausstiege zur Kindererziehung gebremst werden.

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SZ vom 13.3.2008/bön
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