Neue Arbeitswelten:Heute hier, morgen dort

Überstunden in Deutschland

Computer und Smartphone sorgen für ständige Erreichbarkeit. Viele Arbeitnehmer verspüren daher Stress.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

In der neuen Deutschlandzentrale des Mobilfunkkonzerns Vodafone in Düsseldorf haben die Mitarbeiter künftig kein festes Büro mehr. Sie bekommen einen mobilen Schreibtisch und können sich dort niederlassen, wo sie ihr Projekt am besten erledigen.

Von Varinia Bernau

Sie kannten das natürlich aus amerikanischen Filmen. Die grauen Pappwände, die den riesigen Raum in viele kleine zerlegen; die eigentlich Schutz bieten sollen, tatsächlich aber eher dazu dienen, dass blöde Kollegen ab und an einen Spruch dran pinnen und bösartige unerkannt Radiergummis durch die Gegend schleudern können. So haben sie sich das also vorgestellt, die 5000 Mitarbeiter von Vodafone, als es hieß, dass es in Zukunft nur noch ein offenes Büro gibt.

Und deshalb hat Personalchef Dirk Barnard vor mehr als einem Jahr seine Abteilung zu einer Art Vorführraum gemacht. Beton, Glas und Stahl auf dem Campus schraubten sich damals noch in die Höhe, bis schließlich auch die 19. Etage der neuen Deutschlandzentrale hinter dem Bauzaun hervorragte. Und im fünften Stock des alten Gebäudes, wenige Fußminuten entfernt, konnten die Mitarbeiter bereits ansehen, wie ihr neues Büro von innen aussehen würde. Graue Pappwände gab es da nicht. Statt dessen: eine Menge Licht, das von beiden Fensterfronten in die schmalen Räume strömt, ohne von einer Wand gebremst zu werden. Eine Schicht Filz hinter den Bildern an der Wand, die den Lärm schluckt. Kollegen, die nun etwas leiser telefonieren, wenn sie nicht mehr nur mit einem, sondern mit sechs Kollegen im Büro sitzen. Und es konnte passieren, dass die Besucher plötzlich vor dem Schreibtisch des Personalleiters standen. Keine Tür schirmt ihn mehr ab.

Genau das ist es, was der Mobilfunkanbieter auf dem neuen Campus erreichen will: Starre Hierarchien abschleifen, in wechselnden Teams von Projekt zu Projekt zusammenrücken. "Die Aufgabe bestimmt, wo ich mich aufhalte - und nicht andersrum", sagt Barnard.

Keine festen Arbeitsplätze mehr

Deshalb gibt es auch keine festen Arbeitsplätze mehr. Jeder Mitarbeiter hat ein Handy und einen Laptop. Einen Schrank, der bis zur Hüfte reicht und, bei ausgestreckten Armen, von der linken bis zur rechten Fingerspitze. Und: einen Trolley. Jeder Mitarbeiter kann sich dort niederlassen, wo er das am besten erledigen kann, was gerade ansteht: In der Bibliothek mit Handy-Verbot. Auf der Terrasse mit drahtlosem Internet. Auf einem der Sofas. In einem der Telefonhäuschen aus Stoff. Oder: in einem der kleinen Räume mit Videokonferenzschalte und roten Plastikstühlen, die aussehen wie aus der Kinderecke eines Einkaufszentrums, aber trotzdem bequem sind. Barnard hat sich einen Spaß daraus gemacht, solch einen Stuhl denen anzubieten, die besonders skeptisch sind.

Arbeiten von zu Hause aus

"Früher hatte man einen festen Platz, an den man alles andere angebaut hat: den Computer für die Arbeit, den Kaffeebecher zur Erholung. Und wenn es mit dem Kollegen etwas zu besprechen gab, dann hat man einen Stuhl rangezogen. Das aber entspricht nicht mehr den wirtschaftlichen Anforderungen unseres Unternehmens", sagt Barnard. Er meint damit nicht nur, dass jemandem, der sich hinter seiner Kaffeetasse verschanzt, irgendwann die Anregungen fehlen. Er meint damit auch, dass es sich ein Unternehmen unter Kostendruck nicht mehr leisten kann, dass jeden Tag gut 40 Prozent aller Büroarbeitsplätze leer sind. Auf dem neuen Campus gibt es deshalb gut 1000 Schreibtische weniger, als es Mitarbeiter gibt. Und dennoch sorgt sich niemand, dass es eng werden könnte. Die Hälfte ihrer Arbeit dürfen die Mitarbeiter nun von zu Hause aus erledigen.

Abteilungsdenken abbauen

"Der Übergang zu den offenen Büros ist etwas, das wir weltweit in den nächsten Jahren noch viel öfter sehen werden", sagt Ruth Stock-Homburg, die an der TU Darmstadt zu Personalmanagement forscht. Die skandinavischen Länder, auch die Niederlande, seien besonders weit. Deutschland liege im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Neben Vodafone seien derzeit der Sporthersteller Adidas sowie die Deutsche Bank und Siemens dabei, die Arbeitsbedingungen den neuen Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter anzupassen. "Je wissensintensiver eine Branche, desto wichtiger ist der Austausch, desto wichtiger werden kurze Wege, Kommunikation und Kreativität."

Was für die eigenen Mitarbeiter gilt, betont Stock-Homburg, das gilt auch für die Kunden: "Auch Kunden gehen davon aus, dass sich ihre direkten Ansprechpartner mit anderen Bereichen abstimmen, damit ihr Auftrag zügig bearbeitet wird. Und das kann nur funktionieren, wenn Abteilungsdenken und fachliche Silos abgebaut werden."

Bei Vodafone in Düsseldorf, wo sie in dieser Woche mit dem Umzug auf den neuen Campus begonnen haben, kennt man sich aus mit der vernetzten Welt. Schließlich ist sie das Kerngeschäft des Mobilfunkanbieters. Eine Welt, in der sich Tausende Kilometer mit einem einzigen Anruf, die eigene Scheu mit einem Klick überwinden lassen. Und trotzdem findet sich nicht jeder in dieser neuen Welt zurecht. "Wir sind hier nicht die Badeschlappenfraktion", sagt Barnard. Also kein Start-up im Silicon Valley, wo die Mitarbeiter direkt von der Uni kommen - und sich ohnehin noch nicht all die in Konzernen üblichen Konventionen verinnerlicht haben.

"Führungskultur lässt sich nicht so schnell ändern"

In der deutschen Niederlassung von Vodafone liegt das Durchschnittsalter bei 40 Jahren. Man müsse eben viel vermitteln: Da sind die Sorgen eines Sachbearbeiters, bald könnten alle mithören, wenn er mal beim Arzt anruft. Und da ist der Abteilungsleiter, der noch immer meint, dass der, den er nicht sieht, auch nicht arbeitet. Und da ist schließlich die Hauptabteilungsleiterin, Mutter von zwei kleinen Kindern, die auf 30 Stunden runtergegangen ist, tatsächlich dann doch mehr arbeitet. Sie ist aber eben auch darauf angewiesen, dass die Leute aus ihrem Team ihre Termine so legen, dass man alles Wichtige an den Tagen besprechen kann, wenn sie im Haus ist.

"Die Führungskultur lässt sich nicht so schnell ändern wie die Einrichtung eines Büros", sagt Stock-Homburg. "In vielen Firmen sind Hierarchien fest verankert, ja verinnerlicht. Sich davon zu verabschieden, braucht Zeit. Und diese Zeit müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern auch geben."

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