Es war einmal in einer Zeit vor dem Mitmachinternet, da bekamen junge, engagierte Berufseinsteiger Heulkrämpfe, wenn sie ihr Filofax verlegten. Das wertvolle Objekt enthielt ungefähr 1834 vermeintlich überlebenswichtige Kontakte aus Politik und Wirtschaft. Heute braucht niemand mehr zu heulen, denn Netzwerken funktioniert ja jetzt online. Man muss keine 1834 Visitenkarten mehr in einer XXL-Brieftasche herumschleppen, sondern kann die Kontakte am PC bei Xing, LinkedIn und Co. verwalten.
Inzwischen sind noch ein paar mehr hinzugekommen, das geht ja ganz schnell. Mal eben "als Kontakt hinzufügen" angeklickt, und schon kommt die Bestätigung von der Gegenseite. Niemand würde die Ehre ablehnen und sich als Netzwerk-Spielverderber outen. Das jedoch wertet die einzelnen Kontakte ab. Und bringt Kontakt-Junkies in Not. Denn wenn Leute nach dem Motto sammeln "Wer viele kennt, muss wichtig sein", ist das ein klarer Fall von Sinnlosnetzwerken. Damit verschwenden gerade Business-Netzwerk-Einsteiger gerne ihre Zeit.
Ein Stück Reputation
Grundsätzlich sei nicht jedes kontaktfreudige Mitglied ein Sinnlosnetzwerker, meint Diplom-Soziologe Florian Renz, der in seiner Studie "Praktiken des Social Networking" Xing-User zu ihren Nutzungsgewohnheiten befragt hat. Auch wer im Business-Netzwerk hauptsächlich Ex-Partner und ehemalige Schulkameraden suche, könne daraus möglicherweise irgendwann geschäftliche Vorteile ziehen.
Aber: "Nutzer, die über viele hundert Kontakte verfügen, werden misstrauisch beäugt. Denn wie kann eine einzelne Person Beziehungen zu so vielen Menschen pflegen? Mit jedem bestätigten Kontakt gibt der Netzwerker ein Stück Reputation ab, darum möchte keiner einen unseriösen Geschäftspartner in seiner Liste haben."
Ein Kontakt, das ist nicht nur eine Telefonnummer, sondern (laut Meyers Lexikon Online 2.0) eine langfristige "Verbindung". Es geht um "das gegenseitige In-Beziehung-Treten zweier oder mehrerer Individuen, ihre Interaktion. Kontaktfähigkeit besteht darin, anderen Menschen mit angemessener Offenheit und Achtung zu begegnen . . ."
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Und das heißt nicht, einander schon bei der Kontaktaufnahme zu duzen, bloß weil man einen gemeinsamen Netzwerk-Bekannten hat. Oder einen Mit-Netzwerker zu ignorieren, weil er nur läppische 25 Kontakte aufweisen kann. Das aber geschieht andauernd bei Xing und anderen Plattformen, wenn Business-Netzwerk-Laien nur so zum Spaß mitmachen, ohne darüber nachzudenken, wie wichtig ein gesundes Netzwerk für die Karriere ist.
Business-Netzwerke können Karriere-Beschleuniger sein. Kreativitäts-Befruchter. Zielsetzungs-Hilfen. Aber oft produzieren ihre Mitglieder auch Netzwerk-Müll. Beispiel: der frischgebackene Webdesigner, der Kunden für seine Ich-AG braucht und darum dem frischgebackenen Motivationscoach, der damals in der zehnten Klasse neben ihm saß, den Internetauftritt zum Sondertarif gestaltet.
Freilich nur, weil er im Gegenzug zwei Beratungsstunden, die er eigentlich gar nicht braucht, zum halben Preis bekommt. Das ist Netzwerken, aber es bringt keinen von beiden weiter. Denn: Weder der Webdesigner, noch der Motivationscoach hat am Ende mehr als eine Aufwandsentschädigung verdient.