Nahost-Konflikt: Debatte um Schulbuch:Wer will schon Frieden?

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Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer - und das soll auch so bleiben. Sowohl Israel als auch Palästinenser lehnen ein Schulbuch ab, das beide Seiten des Nahost-Konflikts erklärt. Die Fronten werden schon im Klassenzimmer gepflegt.

Peter Münch, Tel Aviv

Die Lehrer und Schüler an der Shaar Hanegev High School von Sderot wollen nicht nachgeben. Sie wollen weiterarbeiten mit einem einzigartigen Geschichtsbuch, das die israelische und die palästinensische Sichtweise auf den Konflikt nebeneinanderstellt. Doch der Bannstrahl kam direkt aus Jerusalem, aus dem Erziehungsministerium: Dieses Buch habe an einer israelischen Schule nichts zu suchen, es sei anti-zionistisch und vermittle eine Fülle falscher Fakten.

Ein Schulbuch, das beide Seiten des Nahost-Konflikts darlegt, ist nicht erwünscht - weder in Israel noch bei den Palästinensern. (Das Symbolbild zeigt eine Gruppe palästinensischer Schulmädchen, die während einer Ausgangssperre 2002 die Rückkehr an ihre Schule forderten.) (Foto: Reuters)

Der Direktor wurde einbestellt, und ein Streit ist entbrannt, der weit hinausweist über den aktuellen Fall. Er könnte als Lehrstück darüber dienen, wie bereits in den Schulen die Fronten gepflegt werden und wie verhindert wird, dass aus der umkämpften Vergangenheit heraus der Weg in eine friedliche Zukunft gefunden wird.

Entzündet hat sich der Streit an einem 56 Seiten dünnen Buch, das gewissermaßen ein Nachzögling des Osloer Friedensprozesses ist. "Lernen, wie die anderen Geschichte erzählen", heißt das Werk, das die meist konträre israelische und palästinensische Darstellung historischer Ereignisse einfach einmal gleichgewichtig gelten lässt. Links auf der Seite wird geschildert, wie die Israelis sie sehen, rechts steht die palästinensische Darstellung - und in der Mitte ist Raum für Notizen, für eigene Gedanken und Schlussfolgerungen der Schüler.

Das Buch ist eine Koproduktion des inzwischen gestorbenen israelischen Psychologen Dan Bar-On und des palästinensischen Erziehungswissenschaftlers Sami Adwan. Gemeinsam mit einer Gruppe israelischer und palästinensischer Lehrer haben sie sich schon vor mehr als zehn Jahren in einem von ihnen gegründeten Friedensforschungsinstitut daran gemacht, Brücken über die Gräben der Vergangenheit zu bauen.

Doch bekanntermaßen ist des einen Terrorist des anderen Freiheitskämpfer, und so spiegelt das Büchlein vor allem eindrucksvoll, wie unterschiedlich Geschichte interpretiert und wie stark sie in Dienst genommen werden kann. Da wird zum Beispiel unter dem historischen Datum 1948 links der Gründungsmythos des jüdischen Staats im Unabhängigkeitskrieg beschrieben, rechts wird die palästinensische Sichtweise auf diesen Krieg und die "Nakba", die dadurch ausgelöste Katastrophe der Vertreibung, geschildert.

Das erklärte Ziel von Bar-On und Adwan war es, "die Geschichte zu entwaffnen" - was mitten im laufenden Konflikt allerdings ein recht verwegenes Unterfangen ist. Denn der Trend geht auch im Erziehungswesen in die andere Richtung: In Gaza machte die Hamas dagegen mobil, dass an UN-Schulen auch etwas über den Holocaust gelehrt werden sollte, und in Israel hat Erziehungsminister Gideon Saar sogar den arabischen Schulen verboten, den Begriff "Nakba" zu verwenden.

Trotz ausländischer Unterstützung - aus den USA, Deutschland und Schweden - hat das Buch nirgends Eingang in den offiziellen Lehrbetrieb gefunden. Doch in jüngster Zeit war wieder ein wenig Hoffnung gekeimt. Denn parallel zum Projekt an der Highschool von Sderot hatte die palästinensische Autonomiebehörde bekanntgegeben, dass das Büchlein zu Testzwecken an zwei Schulen in Jericho eingesetzt werden soll. Das Erziehungsministerium in Jerusalem stand blamiert da, von Feigheit und Ignoranz war die Rede. Doch dann machten die Palästinenser plötzlich einen Rückzieher. Die Proteste waren zu stark geworden.

© SZ vom 27.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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