Nach Guttenberg: Schummeln im Studium:Augen zu und durch

Naive Professoren in einer Gesellschaft, die süchtig nach Titeln ist: Statt streng zu kontrollieren, reden sich viele Wissenschaftler ein, dass an der Uni nur selten geschummelt wird. Wenn sie sich da mal nicht täuschen.

Jeanne Rubner

Community - schon das Wort sagt alles. Die Gemeinde der Wissenschaftler ist eine Welt, die nach ihren Regeln lebt. Die sich selbst begutachtet, die Forschungsmittel verteilt und Studieninhalte festlegt. Und sie bestimmt die Regeln, nach denen junge Wissenschaftler in dieses Universum aufgenommen ("promoviert") werden. "Wissenschaftliche Sozialisation" hat der Heidelberger Rektor Bernhard Eitel die Promotion genannt. Die Promotion ist der akademische Ritterschlag.

Studentenstreik an der Münchner LMU, 2009

Wissenschaft mit Pappnase: Gelehrtenstatue an der Universität München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ausgerechnet ein moderner Ritter hat gegen diese Regeln verstoßen, der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat seine Dissertation in weiten Teilen abgeschrieben und sich eine Promotion erschlichen. Was aber tut die wissenschaftliche Community? Erst nachdem Studenten und Doktoranden protestiert hatten, meldeten sich Professoren zu Wort. Fast immer machten sie ihrer Empörung über den Plagiator Luft und verteidigten die Ehre der Universität und ihre eigene.

Wenig Selbstkritik, kaum ein Wort darüber, dass immerhin beide Gutachter Guttenbergs Dissertation mit der Bestnote "summa cum laude" bewertet haben. Im Gegenteil: Der Causa Guttenberg liege kein Fehler im universitären System zugrunde, es handele sich vielmehr um den Fall missbrauchten Vertrauens des Doktoranden gegenüber seinem Doktorvater. Auf das Vertrauen pocht auch der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, in seiner Stellungnahme: "Wissenschaft beruht auf den Prinzipien von Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Vertrauen." Eine auf Misstrauen gegründete Kontroll- und Prüfkultur jedoch entspreche nicht dem Wesen von Wissenschaft.

"Erschreckend dünne Bretter"

Dabei hatte Kleiner noch 2007, kurz nach seinem Amtsantritt als DFG-Präsident, eindringlich vor dürftigen Doktorarbeiten gewarnt: "Erschreckend dünne Bretter" würden allzu häufig gebohrt, sagte der Ingenieurwissenschaftler. Und jeder Hochschullehrer müsse die verantwortungsvolle und zeitintensive Betreuung von Doktoranden stärker als bisher als wichtige Aufgabe ernst nehmen. Soll das nun heute schon alles besser geworden sein?

Tatsächlich haben Betrugsfälle die Wissenschaftsgemeinde immer wieder aufgeschreckt. 1997 flog ein Ulmer Krebsmediziner auf, nachdem er massenweise Daten gefälscht und daraus fast 100 Veröffentlichungen produziert hatte. Anschließend entwarf die DFG "Regeln guter wissenschaftlicher Praxis".

Im Sommer 2009 wurde publik, dass das "Institut für Wissenschaftsberatung" in Bergisch Gladbach Professoren schmierte, damit sie Doktortitel vergaben. Einige Jahre zuvor hatte der Wissenschaftsrat die Dissertationen vieler Ärzte als Ritual ohne wissenschaftliche Standards angeprangert. Geändert hat sich wenig.

In seinem vor einem Jahr publizierten Buch "Das Wissenschaftsplagiat" wirft der Münchner Jurist Volker Rieble seinen Professorenkollegen vor, allzu milde mit Plagiatoren umzugehen. Werde einmal ein Betrug entdeckt, heiße es beschwichtigend, die Standards seien doch klar, abgeschrieben werde selten, und die Wissenschaft habe ausreichend Vorsorge getroffen, um den gelegentlichen Missetätern auf die Spur zu kommen. Vertrauen statt Kontrolle eben.

Angst vor strikten Regeln

Der Grundsatz aber ist gefährlich in einem Land, das süchtig nach Titeln ist und in dem der Doktor noch immer als schmückend gilt. Und fast jeder, der studiert hat, kennt doch Belege für die schnelle Doktorarbeit. Ach, sagt dann der Professor, Ihre Diplomarbeit ist doch bereits eine halbe Dissertation - wollen Sie nicht noch bei mir promovieren? Oder der bekannte Journalist bekommt das Angebot, einen Doktortitel in Politik- oder Kommunikationswissenschaften zu erwerben. Neben dem Job, versteht sich. Also her mit dem Doktor.

Tatsächlich liegt eine wesentliche Schwachstelle in den sehr unterschiedlichen Qualitätsanforderungen an Dissertationen, von denen immerhin 25.000 jährlich in Deutschland angefertigt werden: Wie dick das wissenschaftliche Brett sein muss, an dem der Doktorand bohrt, hängt auch von seiner Disziplin und der jeweiligen Fakultät ab. In den Naturwissenschaften, in denen Ergebnisse nichts zählen, wenn sie nicht im Experiment verifizierbar sind und in internationalen Fachjournalen veröffentlicht werden, ist es naturgemäß leichter abzuschätzen, ob eine Arbeit mehr als nur Altbekanntes recycelt. In den Geistes- und Sozialwissenschaften und in Jura fehlt dieser Maßstab. Man muss sich also auf die Kompetenz und den fachlichen Ehrgeiz des Doktorvaters verlassen. Dass es zwischen einer Elite-Uni und einer Provinz-Hochschule große Unterschiede geben kann, versteht sich von selbst.

Falsch verstandene Kollegialität

"Wir können nach Guttenberg nicht zum Tagesgeschäft zurückkehren", ist Bernhard Kempen überzeugt. Der Kölner Jurist und Präsident des Deutschen Hochschulverbands fordert "kritische Selbstreflexion". Der Verband ist die Standesvertretung der Professoren, umso schwerer wiegt Kempens Appell. "Wir müssen bei der Betreuung viel intensiver und wachsamer sein." Das bedeute auch, in den eigenen Reihen die Professoren darauf hinzuweisen, wie Plagiate sich erkennen lassen. Alles andere wäre falsch verstandene Kollegialität, sagt Kempen.

Letztlich liegt für Kempen der Schlüssel in der professionellen Betreuung. "Man kann den Fakultäten kein Einheitsmuster vorschreiben", sagt er, "wohl aber intensive Betreuung, die den Leistungsfortschritt dokumentiert." Und DFG-Präsident Kleiner fordert einen "verbindlichen Arbeitszusammenhang" für Doktoranden, zum Beispiel in einem von der DFG geförderten Projekt.

Standards müssen stimmen

Das aber würde auch bedeuten, dass es Arbeiten wie "Gerechtigkeit als Gleichheit? Eine empirische Analyse der objektiven und subjektiven Responsivität von Bundestagsabgeordneten" nicht mehr geben dürfte. So lautet die Dissertation von Familienministerin Kristina Schröder; sie reichte sie 2009 ein, als sie bereits CDU-Bundestagsabgeordnete war. Man darf davon ausgehen, dass sich ihr Arbeitsmittelpunkt eher im Reichstag als im Mainzer Institut ihres Doktorvaters befand.

Vor strikten Regeln, dass - wie in angelsächsischen Ländern üblich - nur noch in Graduiertenschulen promoviert werden darf, schreckt die Community bislang zurück. DFG-Präsident Kleiner ist zwar überzeugt, dass diese Schulen einen "großen Sprung" bedeuten. Insofern sei man heute weiter als 2007, als er noch erhebliche Mängel bei der Promotion sah. Aber noch promovieren nur wenige in einer Graduiertenschule. Wenn aber die Promotion die "wissenschaftliche Sozialisation" sein soll, muss die Gemeinschaft wohl in Zukunft besser dafür sorgen, dass die Standards stimmen.

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