Süddeutsche Zeitung

Frage an den SZ-Jobcoach:Muss der Chef Überstunden bezahlen?

Lesezeit: 2 min

Erzieherin Vanessa M. soll auf verspätete Eltern warten und neuerdings früher zur Arbeit kommen - mehr Geld gibt es für die zusätzliche Arbeitszeit nicht. Sie fragt den Jobcoach, ob das rechtens ist.

SZ-Leserin Vanessa M. fragt:

Ich arbeite als Erzieherin in einem Kindergarten mit festen Arbeitszeiten, die wir mit einer Stempeluhr aufzeichnen müssen. Wenn Eltern sich am Nachmittag verspäten, muss mindestens eine Kollegin so lange bleiben, bis das Kind abgeholt ist. Die Zeit wird nicht gutgeschrieben. Jetzt verlangt der Träger des Kindergartens, dass wir zwei Minuten vor Beginn und zwei Minuten nach Ende der Arbeitszeit ein- beziehungsweise ausstempeln. Auch diese Zeit soll uns nicht angerechnet werden. Eine Begründung gab es nicht, wir nehmen an, dass es darum geht, dass wir unsere Schuhe bereits gewechselt und die Jacken ausgezogen haben, also arbeitsbereit sind. Wir fühlen uns gegängelt und ungerecht behandelt. Kann der Arbeitgeber das einfach so anordnen, ohne uns Zeit gutzuschreiben?

Ina Reinsch antwortet:

Liebe Frau M., wenn Mitarbeitern Entscheidungen nur von oben mitgeteilt werden, führt das zwangsläufig zu Unzufriedenheit. Sie als Erzieherin wissen, wie wichtig es ist, Entscheidungen zu begründen und tun das vermutlich täglich bei Ihren Schützlingen. Ihr Arbeitgeber missachtet diesen Grundgedanken. Sein Führungsstil ist sicher verbesserungswürdig. Lassen Sie uns aber zunächst einen Schritt zurücktreten und schauen, ob seine Ansichten in der Sache korrekt sind.

Unter Arbeitszeit versteht man die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit - ohne Pausen. Existiert keine anderweitige Regelung, beginnt die Arbeitszeit dann, wenn der Beschäftigte seine Tätigkeit am Arbeitsplatz aufnimmt. Gilt Umkleidezeit als Arbeitszeit? In der Regel nein. Es sei denn, dass der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung und das Umkleiden im Betrieb anordnet. Das sehe ich hier eher nicht. Denn auch andere Arbeitnehmer legen Mäntel und Jacken ab, bevor sie mit der Arbeit beginnen.

Anders sieht es aus, wenn Kinder zu spät abgeholt werden und Erzieherinnen und Erzieher deshalb länger bleiben müssen. Diese Zeit ist Arbeitszeit. Möglicherweise fallen sogar Überstunden an. Wer die zählen will, muss allerdings seinen Vertrag kennen. Unter Überstunden versteht man nämlich nur die über die vertraglich geltende Arbeitszeit hinaus geleisteten Stunden. Ist das Soll noch nicht erfüllt, fallen keine Überstunden an - und es bedarf auch keiner Gutschrift.

Eine generelle Pflicht zur Leistung von Überstunden gibt es übrigens nicht. Überstunden muss der Mitarbeiter nur dann machen, wenn er laut Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag dazu verpflichtet ist. Nur in Notsituationen kann der Chef den Mitarbeiter ausnahmsweise auch ohne entsprechende Klausel zur Zusatzarbeit heranziehen.

Und wie steht es mit der Bezahlung? Sehen die Regelungen eine Bezahlung vor, muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter dafür auch entlohnen. Existiert keine Regelung, wird es kompliziert. Die Vergütungspflicht richtet sich dann danach, ob der Mitarbeiter ein Extra den Umständen nach erwarten durfte. Das ist nach der Rechtsprechung nur dann der Fall, wenn sein Gehalt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht übersteigt. Der Chef kann allerdings in der Regel wählen, ob er Überstunden ausbezahlt oder gutschreibt.

Manchmal existieren auch noch sogenannte Pauschalierungsklauseln. Sie besagen, dass eine bestimmte Anzahl an Überstunden bereits mit dem normalen Monatslohn bezahlt sein soll. Sie müssen also ganz genau prüfen, wie Ihr Vertrag aussieht. Davon hängt ab, ob Ihr Arbeitgeber die Wartezeit für nicht abgeholte Kinder gutschreiben muss. In jedem Fall sollten Sie aber das Gespräch suchen. Ich bin ganz sicher, dass das zur Entschärfung der angespannten Stimmung beiträgt.

Ina Reinsch ist Rechtsanwältin, Autorin, und Referentin in München. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Arbeitsrecht.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2018
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